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Susanne Balthasar
Dreiklang in Moll
Die Seelenlage der Deutschen und der Kummer mit
dem eigenen Sein
Was ist los mit unserem Land?, fragte Roman
Herzog 1997 in seiner berühmten Ruck-Rede. Herzogs Antwort:
"Der Verlust wirtschaftlicher Dynamik, die Erstarrung der
Gesellschaft, eine unglaubliche mentale Depression - das sind die
Stichworte der Krise. Sie bilden einen allgegenwärtigen
Dreiklang, aber einen Dreiklang in Moll." Sieben Jahre später
scheint sich nichts geändert zu haben. Im Gegenteil. Der
Dreiklang ist zu einem Klagelied geworden. Ein niederschmetternder
Grundton zieht durch das Land, immer hörbar, mal
gedämpft, doch meistens ein anschwellend stoßseufzender
Basston: das Jammern der Deutschen.
Arbeitslosigkeit, Hartz IV, PISA, die
Vergreisung der Republik, die Wirtschaftsflaute, die
Rentennullrunde, die Heuschrecken, nun die Neuwahl - eine Nachricht
gibt den Rhythmus vor und die Nation verfällt, orchestriert
von den Medien, dem Singsang in Moll mit der kaum vernehmbaren
Hoffnung auf Besserung: Arbeitslosengeld-II-Empfänger
können ihren Sommerurlaub nicht mehr bezahlen, Rentner sich
die Zähne für die Brötchen nicht mehr leisten und
was wird die Wahl schon bringen? Und dann sind da noch die
Talk-Shows, in denen besser verdienende Politiker und
Wirtschaftsmenschen unter fachkundiger Anleitung von Sabine
Christiansen und Maybritt Illner den Untergang des
Wohlfahrtsstaates tiefschwarz heraufziehen sehen. Die am
häufigsten gebrauchten Worte sind auf politischer Ebene der
Luxus, "den wir uns nicht mehr leisten können", die Abstriche,
"die alle machen müssen", denn so gehe es wirklich nicht mehr
weiter. Der Wirtschaftsstandort ist tagtäglich in Gefahr, auch
wenn manche Zahlen das Gegenteil belegen. Auf der Volksebene wird
die Botschaft übersetzt in: Alles wird teurer, früher
war's besser, heute möchte ich nicht mehr jung sein, und
deshalb gibt's auch keine Kinder mehr. Die sind doch ohnehin nur
noch dazu da, den bundesstaatlichen Abstieg von der Bezirks- in die
Kreisliga abzuwenden. Zukunft? Ham wa nich'.
Die Depression ist nicht nur eine
gefühlte. Dass die Deutschen tatsächlich ein Volk von
Pessimisten sind, hat nun eine internationale Studie des
Gallup-Institutes belegt: Gerade mal ein Viertel der
Bundesbürger sieht mit Optimismus in die Zukunft - in den USA
sind es 65 Prozent. Einen Konjunkturanstieg erwarten schwache acht
Prozent, ebenso wenige halten die Politik der Bundesregierung
für sozial gerecht, gegenüber satten 90 Prozent, die den
Politikern misstrauen, ein Drittel hat Angst vor Arbeitslosigkeit.
Damit sind die Deutschen weltweit Spitzenreiter im Schwarzsehen,
die Nation versinkt im mentalen Desaster. Pascale Hugues,
Korrespondentin einer französischen Wochenzeitung hat "eine
Art perverse Freude der Deutschen am Jammern" festgestellt: "Der
ganze Alltag ist ein Jammern. In diesem Land ist es schick zu
jammern." Teutonische Tristesse - und was sagt uns das über
die Deutschen?
Das Jammern ist so alt wie die deutsche
Sprache. Jammern kommt vom Mittelhochdeutschen "Jämer" und
geht auf das Wort jämar, traurig, zurück. Die Jammerei
ist allerdings keine deutsche Angelegenheit, sondern eine
wertvolles Kulturgut, das in allen Gesellschaften seit Urzeiten
existiert. Denn: Jammern ist grundsätzlich nicht verkehrt. Die
Systemtherapeutin und Sozialpädagogin Claudia Schwirtz
behauptet sogar: "Jammern ist das A und O. Wer nicht jammert, lebt
nicht lange." Gelegentliches Lamentieren ist also eine
psychologisch anerkannte Technik. Und auch Paul Watzlawick hat
schon konstatiert: "Machen wir uns nichts vor: Was oder wo
wären wir ohne unsere Unglücklichkeit. Wir haben sie
bitter nötig; im wahrsten Sine des Wortes." Statt den Kummer
in der eigenen Seele zu beerdigen, wird er in einem vitalen
Befreiungsakt an die frische Luft gelassen: je lauter desto besser.
In südlichen oder arabischen Ländern wird seelischer
Schmerz in exzessiven Klagelauten ausgelebt. Während ein
volltönender Schmerzlaut durchaus kathartisch sein kann, weil
der lärmend Klagende sein Leid als aktives Subjekt
bewältigt, sind solche archaisch-lautstarken Riten in den
Industriestaaten verpönt. Der Schmerz um die Toten ist einem
fast geräuschlosen Trauern gewichen, die Unzufriedenheit mit
der Welt im allgemeinen entweicht als leiser Nörgelton. Doch
wo es klagende Opfer gibt, gibt es auch immer Täter: Die
Ossis, die Wessis, die Alten, die Jungen, der Staat, die
Gesellschaft, die Rechten, die Linken, die da oben, die da unten -
einer hat immer Schuld. Handlungskompetenz abgeben, Trost
einsacken, fertig. Ohjeh. Symptome einer Depression. Seltsam nur
ist, dass das Ausland die Deutschen ganz anders sieht - nicht als
stets lammentierende Weltenbürger, sondern dort mag man sie.
Nach einer gerade vom PEW Research Center in Washington
veröffentlichten Studie steht Deutschland bei anderen
europäischen Ländern ganz vorne in der Beliebtheitsskala.
Aber selbst im Libanon (85 Prozent), in Russland (79) und in Kanada
(77) genießen die Deutschen einen guten Ruf. Kaum zu glauben,
denn nur 51 Prozent der Deutschen selbst glauben, dass sie in der
Welt gemocht werden, 43 Prozent sind gar der Überzeugung sie
seien unbeliebt. Und natürlich, die eigenen
Lebensverhältnisse werden auch nach der PEW-Studie schlecht
eingeschätzt. 73 Prozent der Deutschen sind damit
unzufrieden.
Warum wird gerade in Deutschland so viel
gejammert? Weil das Wetter oft nass und der Wald auch im Juli so
dunkel ist, dass die Welt draußen vor dem Fenster meistens
aussieht wie ein Seufzer in graubraun? Weil die Deutschen das Volk
der Dichter und Denker und nicht der Macher und Tuer sind? Andrea
Abele-Brehm, Professorin für Sozialpsychologie an der
Universität Erlangen sieht einen Zusammenhang: "Das Stereotyp
von den Deutschen ist, dass sie tiefgründig sind und nicht
lustig und fröhlich." In der grauen Volksseele hat sie einen
Grund für die Dauermeckerei ausgemacht, den anderen in der
Geschichte: "In den letzten 150 Jahren haben die Deutschen ein
negatives Bild von sich bekommen: Der verlorene Krieg 1870/ 71 und
dann die beiden Weltkriege." Am Ende bleibt ein frustriertes
Selbstbewusstsein und das Gefühl kläglichst benachteiligt
zu sein. Kürzlich hat der Minderwertigkeitskomplex die
Landesgrenze ins eigene Innere überschritten. Seit die
Sozialleistungen schrumpfen schleicht sich die Idee, dass selbst
die Deutschen mal besser dran waren, ins bundesbürgerliche
Bewusstsein. Die Konsequenz: Der Frust kommt als Selbsthass daher.
Pascale Hugues hat beobachtet: "Man jammert sogar darüber,
dass man jammert." Typisch Deutsch. Aber vielleicht der einzige
Ausweg aus der Kummerkrise. Ist nicht die Miesmacherei Schuld an
der Konsumflaute? Geht es uns Deutschen nicht immer noch gut?
Jammern wir nicht auf unglaublich hohem Niveau? Gibt es nicht auch
tausend gute Gründe für den Aufschwung? Immer mehr
Politiker fordern ein Ende des Lamentos und eine neue
Mentalität des Anpackens.
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