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Michael Marek
Wo Erich Mielke seinen Kamillentee trank und
dabei den Überwachungsstaat perfektionierte
Die Zentrale der Staatssicherheit als Museum in
der Berliner Normannenstraße
Stasi raus!" rufen am Abend des 15. Januar 1990 mehrere 1.000
Demonstranten. Vor der Zentrale des Ministeriums für
Staatssicherheit (MfS) in Berlin-Lichtenberg spielen sich
chaotische Zustände ab. Das Gelände des verhassten
Geheimdienstes wird gestürmt. Türen werden aufgetreten,
Parolen an die Wand geschrieben, Bilder zertrümmert, Akten
fliegen durch die Luft. Bis heute ist nicht geklärt, ob die
Erstürmung ein - durch wen auch immer - geplanter Vorgang war,
um unauffällig Spitzelberichte und Namensdateien verschwinden
zu lassen. Tatsache aber ist, dass gerade die wichtigen
Gebäudeteile, wie das Archiv des Ministeriums für
Staatssicherheit (MfS) und die für Spionage zuständige
Hauptverwaltung für Spionage nicht in Mitleidenschaft gezogen
wurden.
Bürgerrechtler und Mitglieder der Bürgerkomitees
besetzen die Stasi-Zentrale. Eine Woche später entscheidet der
"Zentrale Runde Tisch", an diesem Ort eine Gedenkstätte zu
errichten. Zu diesen Initiativen der ersten Stunde gehört die
"Antistalinistische Aktion Berlin-Normannenstraße (ASTAK)
e.V.", die sich seit nunmehr 15 Jahren in herausragender Weise um
die Stasi-Zentrale kümmert. Der Verein ist aus den
DDR-Bürgerbewegungen gewachsen, im Vorstand sitzen ehemalige
politische Häftlinge.
"Forschungs- und Gedenkstätte Berlin-Normannenstraße",
verkündet das Plexiglasschild dem Besucher. Hier, im riesigen
Gebäudekarree des MfS, wo 15.000 von zuletzt mehr als 91.000
hauptamtlichen Mitarbeitern ihrem Verfolgungshandwerk nachgingen,
ist das Leben mit dem Auszug von Stasi-Chef Erich Mielke keineswegs
erloschen. Heute residieren in der einst hermetisch abgeriegelten
Zwingburg von rund 40 Häusern das Lichtenberger Congress
Center, die Deutsche Bahn AG, daneben die Sparda Bank, die
Gaststätte "Feldherrenhügel", das Bezirksamt Lichtenberg,
die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen und im Zentrum
des Geländes: das Haus Nummer 1. Seit 1990 wird das ehemalige
Hauptgebäude der MfS-Zentrale als Museum genutzt. Zu den
bedeutenden und gleichzeitig kuriosen Hinterlassenschaften
gehört das dritte Stockwerk - der im Originalzustand belassene
Arbeitsbereich von Erich Mielke, als zweitmächtigster Mann der
DDR hinter Erich Honecker von seinen Offizieren jovial auch Erich
der Zweite genannt.
Von besonderem Charme ist Mielkes Büroeinrichtung. Zum
Beispiel die versteckten Stahlschränke und die
altertümliche Telefonanlage auf dem kolossalen Arbeitstisch
des Stasichefs, von dem aus die Bespitzelung des Arbeiter- und
Bauernstaates kommandiert wurde. Im Nebenzimmer: eine Pritsche
für sein Mittagsschläfchen. Die Einrichtung wirkt im
Original noch kümmerlicher als auf den bekannten Fotos,
besonders im eigentlichen Büro des Staatssicherheitsministers:
der Schreibtisch mit abgenutztem Furnier, dahinter eine braune
Kunststoffcouch und Mielkes blauer Ohrensessel. "Das war Mielkes
Arbeitszimmer", kommentiert der Geschäftsführer der
Forschungs- und Gedenkstätte Jörg Drieselmann und
ergänzt lakonisch: "Was uns als Verletzung des guten
Geschmacks erscheint, dieses leicht in die Augen stechende blau,
kombiniert mit einem roten Teppich, ist für
DDR-Funktionäre der Normalfall gewesen. Die fanden das
unheimlich toll: rot und blau."
Drieselmann wurde 1974 wegen "staatsfeindlicher Hetze", wie es
im Sprachgebrauch der Stasi hieß, zu vier Jahren
Gefängnis in der DDR verurteilt. Von der Bundesrepublik zwei
Jahre später freigekauft, danach ein Publizistikstudium in
West-Berlin, arbeitet der 49-Jährige seit 1992 für die
ASTAK: "Für die Mielke-Mitarbeiter gab es auf dieser dritten
Etage eine eigene Teeküche. DDR-Bürgern in Design und
Farbgebung vertraut. Das heißt, die sattsam bekannten
hellblauen Fliesen an den Wänden, die normale
DDR-Einbauküche, so wie es halt war. Hier hat er mal 'ne
Stulle geschmiert oder ein Glas Kamillentee bekommen."
Offensichtlich waren Mielke & Co in der Lage, Macht
auszuüben, ohne ein ausschweifend-luxuriöses Leben zu
demonstrieren. Doch das gehört eher zu den banalen Einsichten,
die beim Gang durch die bunten Konferenzräume entstehen.
Weit über 600.000 Besucher haben die Räumlichkeiten
seit 1990 besichtigt. Woche für Woche kommen Schulklassen und
Touristen aus aller Welt, Bundeswehrsoldaten und Politiker. Es gibt
Anfragen aus aller Welt, etwa aus Südamerika, wie man mit dem
Erbe des Verfolgungsapparates umgegangen sei. Die kritische
Auseinandersetzung mit dem politischen System der DDR gehöre
dabei ebenso zu den Museumszielen wie der Versuch, das Gebäude
so authentisch wie möglich zu belassen, sagt Drieselmann. Form
und Inhalt der DDR sollen angemessen dargestellt werden und nicht
durch eine moderne, virtuelle Museumstechnik als
ästhetisierende Erlebniswelt präsentiert werden.
Dabei gibt es Makabres und Obskures zu sehen, das vom Machtwahn
einer vergangenen Epoche erzählt. Zu den Arbeitsräumen
Mielkes gehörte auch ein kleines Vorzimmer, in dem sein
persönlicher Fahrer auf Abruf bereit saß. Für die
Besucher hat man hier ein Radio aufgestellt, interessant deshalb,
weil die Mitarbeiter des MfS verpflichtet waren, auf ihren
Rundfunkgeräten jene Sender zu markieren, die zu hören
erlaubt waren. Einige Zimmer weiter haben die ASTAK-Mitarbeiter
eine kleine Ausstellung eingerichtet. Thema: Observierungstechnik
außerhalb der ministeriellen Stasi-Wände.
Der Verfolgungswahn der Staatssicherheit war ebenso absurd wie
gigantisch. "In keiner Stasi-Dienststelle", versichert Drieselmann,
"hat man moderne Bürotechnik gefunden, also Typenradmaschine,
Schreibcomputer". Der Hintergrund: Die Abhörspezialisten des
MfS gingen davon aus, dass elektronische Schreibtechnik
abhörbar sei. Um zu verhindern, dass ein sogenannter
imperialistischer Geheimdienst den Schreibcomputer von Mielkes
persönlicher Sekretärin "anzapfen" konnte, durfte nur
alte Schreibtechnik verwendet werden. Theoretisch hätte ja die
Gefahr bestanden, anhand der benutzten Karbonfarbbänder jene
Texte zu rekonstruieren, die geschrieben wurden. Folglich wäre
für ihre Vernichtung ein ungeheurer Verwaltungsaufwand
notwendig gewesen. Und das schien selbst der weitverzweigten
Stasi-Bürokratie zu umständlich.
Aber wird in den Ausstellungsräumlichkeiten den Besuchern
nicht die Banalität des Bösen präsentiert? "Es kommt
kaum jemand, der sagt: ,Mensch guck' mal, das ist Mielkes
Schreibtisch gewesen, toll!", entgegnet Drieselmann, "sondern es
ist das Gefühl, in Räumen sein zu können, die
über Jahrzehnte unzugänglich waren. Das ist das Geheimste
des Geheimen gewesen. Von hier aus sind die Fäden gesponnen
worden, jeden einzelnen DDR-Bürger an der Strippe zu halten.
Hier sind die Entscheidungen gefallen. Dies war ein Machtzentrum
der DDR. Und nun plötzlich kann man hier herumstolpern. Das
Haus ist ein Symbol für die 1989/90 stattgefundene Wende: Wer
heute noch Macht hat, dessen Arbeitsräume können morgen
schon Ausstellung sein."
Gleichwohl hatte die Macht der Staatssicherheit ihr Fundament
auch in einer vermeintlich unpolitischen Alltagssphäre. Ohne
die Mitarbeit hunderttausender DDR-Bürger, ohne das
Nebeneinander von Bespitzeln, Dulden und stummer Distanzierung
hätte sich die Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstrasse
nie zu einem furchtbaren undurchsichtigen Machtzentrum entwickeln
können.
In den zwölf Jahren des Bestehens haben die
ASTAK-Mitarbeiter einen stattlichen Fundus an einschlägigen
Objekten zusammengetragen: Im ersten Stock befinden sich
Observierungsgerätschaften wie Kameras in
Friedhofsgießkannen oder Kleingarten-Vogelhäuschen. Die
ausgestellte "operative Technik" ist Teil der Ausstellung
"Unterdrückung, Aufbegehren, Selbstfreiung". Zu sehen sind
erschütternde Verfolgungsschicksale, aber auch der Mut von
Bürgerrechtlern und deren Sieg über die SED-Herrschaft im
Herbst 1989 - ergänzt durch Wechselausstellungen über
Stasi-Kitsch, Chiffrierwesen des MfS, die Rolle der Volkspolizei
beim Aufstand vom 17. Juni 1953 oder die Hetzjagd auf Zeugen
Yehovas. Vor einigen Jahren hat man eine kleine Mediathek
eröffnet, außerdem gibt es eine Sammlung von
MfS-Unterlagen und andere Archivalien.
Ganz zu Beginn ihrer Arbeit verfügten die ASTAK-Mitglieder
nur über Enthusiasmus und Engagement, aber kein Geld. 1991
bekam man für zwei Jahre 13 ABM-Stellen. Heute finanziert sich
die Forschungs- und Gedenkstätte über Projektmittel des
Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, die
Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und zu 20 Prozent
über Eigenmittel. Davon bezahlt der Verein seine sechs
Angestellten, seine wissenschaftlichen Honorarreferenten und
Museumsführer, die Forschungs-, Ausstellungs- und
Betriebskosten. Aber wie lange geht das noch?
Schon mehrfach gab es Versuche durch den Berliner Senat und die
Bundesregierung, ein neues Konzept für die
Normannenstraße auszuarbeiten und die einstige Mielke-Zentrale
als nationalen Erinnerungsort unter Bundesobhut zu stellen. Trotz
der finanziellen Krise in Deutschland habe man keine Angst davor,
dass die Forschungs- und Gedenkstätte platt gemacht werden
könnte, meint Drieselmann selbstbewusst und fügt hinzu:
Vielmehr könne man aus der Beschäftigung mit der DDR
lernen, wie Macht sich organisiert und erhält.
Internet: www.stasimuseum.de
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