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Tanjev Schulz
Nichts als Schwindel?
Harsche Kritik am PISA-Projekt
Pünktlich zu den neuen PISA-Daten über die Leistungen
deutscher Schüler tritt Josef Kraus an, das Land vom
"PISA-Schwindel" zu befreien. Der konservative bayerische
Oberstudiendirektor und Präsident des Deutschen Lehrerverbands
will den Ruf der Kinder verteidigen: Sie "sind besser als ihr Ruf",
heißt sein Buch im Untertitel. Kraus breitet in einem -
zugegebenermaßen angenehm frischen - polemischen Ton seine
durchweg elitären Bildungsvorstellungen aus. Zunächst
will er aufräumen mit dem ganzen "PISA-Geschwätz". Viele
Interpretationen des internationalen Schulvergleichs seien schlicht
Legenden; die Hysterie über das Versagen der Deutschen belegt
für Kraus nur, wie gern sich die Nation selbst klein redet,
bejammert und beschimpft.
Wer mit grobem Schrot durch die Gegend ballert, trifft manchmal
sogar ins Schwarze. So zieht Kraus zurecht in Zweifel, ob nun
ausgerechnet Finnland mit seinen besonderen Bedingungen (kleine,
sehr homogene Bevölkerung) tatsächlich das geeignete
Vorbild für Deutschlands Reformen ist. Ansonsten aber weigert
sich Kraus beharrlich, unangenehme Wahrheiten zur Kenntnis zu
nehmen. Bayern sei doch Spitze, rechnet er dem Leser vor, sollen
sich doch die anderen Bundesländer daran ein Beispiel nehmen.
Am Ende holt er zum flammenden Plädoyer für den
Latein-Unterricht aus.
Gegen humanistische Bildung und gegen ein Latinum ist ja sicher
nichts zu sagen. Das Problem ist nur: Kraus zielt mit seinem Buch
an den Herausforderungen, die PISA aufzeigt, deutlich vorbei. Das
Manko in Deutschland, zumal in Bayern, sind nicht so sehr die
Spitzenschüler an den klassischen Gymnasien, in denen Cicero
noch gelesen und nicht für ein neues Auto oder Computerspiel
gehalten wird. Der erschütternde Befund aus PISA ist und
bleibt das große Leistungsgefälle zwischen starken und
schwachen Schülern, der große Anteil der Problemgruppen
und der enge Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und
Bildungschancen.
Teilweise schneidet Bayern dabei tatsächlich besser ab als
andere Bundesländer. Doch auch im deutschen PISA-Siegerland
ist die Leistungsstreuung enorm und der Einfluss der sozialen
Herkunft international betrachtet beträchtlich. Das alles
hält Kraus aber für kaum der Rede wert. Er hat nur die
Spitze im Blick. Dabei wird er sich freilich bisweilen selbst
untreu: Erst macht er sich darüber lustig, dass die
PISA-Forscher die Kompetenzen der Schüler in nur 120
Testminuten solide messen wollen. Dann aber schwelgt er in den
Daten, wann immer sie günstig für Bayern und die
Leistungsspitze ausfallen.
Auch andere Widersprüche fallen auf. Einerseits will Kraus
zeigen, dass die (Gymnasial-) Schüler sehr wohl hervorragende
Leistungen bringen. Andererseits jammert er über den
allgemeinen Leistungsabfall: "Wer 20 Jahre Schulerfahrung hat, der
weiß, dass er heute in keiner Jahrgungsstufe mehr das
verlangen darf, was er damals verlangte, weil es sonst ein
Notengemetzel gibt." Kraus' Ratschläge wirken hilflos. Am
leichtesten ist es natürlich, die Verantwortung von der Schule
abzuschieben: Die Eltern, schreibt Kraus, müssten dafür
sorgen, dass ein Kind für die Hausarbeiten und für das
Lernen Gewohnheiten entwickle. Der Appell mag im oberbayerischen
und niederbayerischen Landidyll fruchten, aber nicht unbedingt in
Gelsenkirchen, Berlin-Neukölln oder Hamburg-Altona.
Kraus wendet sich gegen eine "Instrumentalisierung der
Bildungspolitik als Wirtschafts- und als Sozialpolitik". Gewiss ist
darauf zu achten, dass Bildung nicht zu sehr unter einen
ökonomischen Verwertungsdruck gerät. Dieses Problem
stellt sich allerdings eher an der Leistungsspitze. Bei sozial
schwachen Schichten geht es zunächst darum, den Kindern zu
ihrem Recht auf Bildung zu verhelfen. Und da ist eine gute
Bildungspolitik immer noch die beste Sozialpolitik.
Josef Kraus
Der PISA-Schwindel.
Unsere Kinder sind besser als ihr Ruf. Wie Eltern und Schule
Potentiale fördern können.
Signum Verlag, Wien 2005; 247 S., 16,90 Euro
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