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Ulrike Schuler
Fischer macht den starken Mann
Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen am
9. und 10. Juli in Berlin
Eine junge blonde Studentin brachte Joschka
Fischer im Berliner Velodrom arg ins Schwitzen. Rhetorisch brillant
und inhaltlich überzeugend focht sie beim Parteitag von
Bündnis 90/Die Grünen zum neuen Wahlprogramm den Anspruch
des Außenministers an, einziger Spitzenkandidat zu sein. "Wir
haben unsere Grundsätze nicht umsonst aufgeschrieben", mahnte
Susann Worschech eine "kohärente Frauenpolitik" bei den
Grünen an und forderte im Namen des Kreisverbandes
Berlin-Pankow die Aufstellung einer zusätzlichen
Spitzenkandidatin.
Doch nicht nur, dass die junge Frau mit
bestechender Logik den Finger in die Wunde des
Alleinvertretungsanspruchs von Fischer legte, der ohne Frau an
seiner Seite den Spitzenkandidaten machen wollte. Worschech bekam
von den Delegierten auch noch donnernden Applaus und die
Parteispitze, die den Antrag innerlich längst abgehakt hatte,
ein Problem. Der Vorstand musste die besten Rednerinnen ins Rennen
schicken - und das mit dem kuriosen Auftrag, dem rebellierenden
Plenum zu vermitteln, dass Frauen an der Spitze nur dann wichtig
sind, wenn Joschka das auch will.
So sagte Verbraucherschutzministerin Renate
Künast, sie stehe zwar zur Doppelspitze, aber nun müsse
man "in Kampf- und Formationsstellung" gehen, und: "Wir stellen
unseren stärksten Mann nach vorn." Diese militärisch
durchwehte Begründung provozierte einige Buhrufe und auch
Claudia Roth erhaschte nicht nur Beifall, als sie sich anschickte
zu erklären, warum das grüne Grundprinzip der Quotierung
auf einmal nicht mehr so relevant sei: "Wir haben uns immer und
überall für Frauenrechte eingesetzt, und das tun nicht
nur die Frauen, sondern auch die Männer." Die ehemalige
nordrhein-westfälische Ministerin Bärbel Höhn warnte
vor einem "bretterharten Wahlkampf", der es erfordere, dass die
Delegierten in Geschlossenheit hinter Joschka Fischer ständen
und den Antrag zur Benennung einer Spitzenkandidatin ablehnten.
Zudem müsse man so viel Angst vor dem weiblichen Gesicht der
Union nicht haben. "So wie eine Schwalbe noch keinen Sommer macht,
macht eine Merkel noch keine Frauenpolitik", sagte Höhn. Dem
entgegnete die junge Delegierte Dana Frank, dass zwar eine Schwalbe
sicher keinen Sommer mache, "aber ein grüner Spitzenmann tut
das auch nicht". "Frauenpolitik ist doch keine Frauenpolitik, wenn
sie nur in die Mitte gestellt wird, wenn's nicht mehr weh tut",
kritisierte sie. Auch Helen und Julia vom
"Frauen-Guerilla-Wahlkampfteam" der Grünen Jugend
überzeugte die Logik der Spitzenfrauen nicht. Die beiden
führten auffällige dunkelrote Barette mit der Aufschrift
"Frauen bilden Banden" im Plenum spazieren und machten ihrem Unmut
Luft. "Wenn es wirklich um die Wurst geht, wenn es wichtig ist,
haben auch die Grünen Nachholbedarf bei der Frauenquote",
findet Julia.
Letztendlich wurde der Antrag zugunsten einer
Spitzenkandidatin knapp abgelehnt. Das erstaunte nicht wirklich,
hatte sich Fischer doch im Velodrom mal wieder standing ovations
erredet, als er mit zeitweilig heiser-dramatischer Stimme seine
Parteifreunde aufforderte, mitzuhelfen, aus dem scheinbar
Unmöglichen das Mögliche zu machen. "Ich möchte auf
Sieg spielen," rief der Außenminister. Die Liberalen kanzelte
er als "kalte Modernisierer" ab und das Bündnis zwischen WASG
und PDS als "linksgetarnten Rechts-populismus", gegen den knallhart
opponiert werden müsse. Künasts "stärkster Mann"
spielte noch einmal all sein rhetorisches Können aus, um die
Grünen zu einem leidenschaftlichen Trotz-alledem
anzufeuern.
Allerdings könnte der Beigeschmack eines
Glaubwürdigkeitsproblems bleiben. Mehr als einmal wurde dieses
Stichwort von Delegierten in Bezug auf das neue Wahlprogramm
gegeben. Mit dem wollen die Grünen angesichts des drohenden
Erfolges der Linkspartei aus PDS und WASG wieder unbedingt und
ausdrücklich "Linke" sein, und zwar "moderne,
werte-orientierte und emanzipative". "Wer soll uns Seriosität
abnehmen, wenn wir ein halbes Jahr später, das, was wir
beschlossen haben, wieder in Frage stellen", monierte
beispielsweise der baden-württembergische Landtagsabgeordneter
Winfried Kretschmann, als es um die Forderung ging, den zu
Jahresanfang von 45 auf 42 Prozent gesenkten Spitzensteuersatz
wieder auf 45 Prozent anzuheben. Die Mehrheit der Grünen
versuchte, das Dilemma dadurch zu lösen, dass sie Fehler der
rot-grünen Regierung eingestand und die korrigierenden
Beschlüsse zum Wahlprogramm als erste Schritte zur Besserung
verkaufte. "Wir müssen zu unserem Kurs stehen und das, was
unvollkommen ist, weiterentwickeln", formulierte beispielsweise
Parteichef Reinhard Bütikofer. "Ehrliche Bilanz - Aus Fehlern
lernen" ist ein Kapitel des grünen Wahlprogramms
überschrieben. Fehler diagnostizieren die Grünen vor
allem in der Arbeitsmarktpolitik, bei der das Fördern dem
Fordern noch nicht hinreichend gegenüberstehe und in der
Steuerpolitik, in der Starke mehr leisten sollen als Schwache. Zum
ersten Mal hat die Partei nicht die Ökologie zum ersten
Kapitel eines Programms erkoren, sondern Arbeitsmarkt- Sozial- und
Steuerpolitik. Die vom Parteivorstand schon im Entwurf anvisierten
Korrekturen zu mehr sozialer Gerechtigkeit wurden von den
Delegierten in Berlin noch einmal verschärft und
konkretisiert.
Verweise auf hehre Ziele waren bei den
Delegierten mehr als willkommen. "Es geht jetzt auch um ein Signal
für Gerechtigkeit", hielt die nordrhein-westfälische
Landesvorsitzende Britta Haßelmann dem gegenüber der
Erhöhung des Spitzensteuersatzes skeptischem Kretschmann
entgegen. Viel war bei der Debatte um die Besteuerung der
Besserverdienenden auch von Solidarität die Rede und von
starken Schultern, die stärker belastet werden müssten.
Das überzeugte - und die Anhebung auf 45 Prozent wurde ins
Programm aufgenommen.
Der immer mal wieder auf Parteitagen als
linker Unruhestifter in Erscheinung getretene Münsteraner
Wilhelm Achelpöhler setzte die Forderung durch, dass die
Regelsätze für Sozialhilfe und ALG II "deutlich angehoben
werden, damit sie vor Armut schützen". Zudem wollen die
Grünen den Bezug von Sozialleistungen stärker vom
Partnereinkommen entkoppeln, die Regelsätze in Ost und West
angleichen und notwendige Altersvorsorge-Aufwendungen freistellen.
Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wird als
Schritt in Richtung einer sozialen Grundsicherung für alle
gesehen, die die Partei anstrebt.
Während die geforderten Verbesserungen
zu Hartz IV auf der Bundesdelegiertenversammlung relativ glatt
durchgingen, gab es um eine Erhöhung der Mehrwertsteuer eine
heftige Debatte. Der schon oft in der Partei wegen
Neoliberalität geschmähte Oswald Metzger plädierte
für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, um die
Lohnnebenkosten zu senken, was seiner Ansicht nach zu neuen Jobs
führen würde. Er beschrieb Schweden als Vorbildmodell,
das den Kostenfaktor Arbeit durch die Steuer entlastet habe.
Ähnlich sahen das mehrere Vertreter norddeutscher
Landesverbände. "Das skandinavische Modell ist eine reale
Alternative zum Neoliberalismus", sagte Martin Henschel aus
Schleswig-Holstein. Trotz hoher Steuerquote seien die
skandinavischen Länder wesentlich wettbewerbsfähiger als
Deutschland, da Arbeit dort weniger koste und die Arbeitnehmer
dennoch mehr Lohn in der Tasche hätten. Auch die
Fraktionsvorsitzende Krista Sager unterstützte einen Antrag,
der eine sozial und ökologisch gestaffelte
Mehrwertsteuererhöhung vorsah. Als Gegenredner trat
Bundesumweltminister Jürgen Trittin ans Mikrofon. Er empfahl
die im Programm vorgesehene Senkung der Lohnnebenkosten für
untere Einkommen als angemessenes Mittel, um neue Jobs zu schaffen,
und warnte vor den Auswirkungen für die Konjunktur, wenn auf
Rentner und Sozialhilfeempfänger höhere Preise
zukämen. Auch Wahlkampfmanager Fritz Kuhn fand, eine
"Erhöhung wäre jetzt Gift". Durchgehend wurde die Sorge
geäußert, mit Angela Merkels CDU, die die Mehrwertsteuer
auf 18 Prozent erhöhen will, in ein Boot gesetzt zu werden.
Statt einer Erhöhung der Mehrwertsteuer beschlossen die
Delegierten, im Wahlprogramm die Wiedereinführung der
Vermögenssteuer und eine Anhebung der Erbschaftssteuer zu
fordern. Zudem wollen sie Steuersubventionen abbauen und im Ausland
lebende Bürger - ähnlich wie die USA es handhaben -
einkommenssteuerpflichtig machen.
Mehr Arbeitsplätze will die Partei durch
gestaffelte Lohnnebenkosten, die bei unteren Einkommensgruppen
durch Zuschüsse niedriger gehalten werden sollen, schaffen.
Eine generelle Verlängerung der Arbeitszeit halten die
Grünen für den "falschen Weg" und wollen
Tarifverhandlungen über eine Reduzierung von Arbeitszeit bei
anteiligem Lohnverzicht anregen. Beim umstrittenen Mindestlohn
wurde ein Kompromiss gemacht: Gesetzliche Regelungen sollen nur da
greifen, wo Tarifvereinbarungen zu einem armutsfesten,
branchenspezifisch differenzierten Mindestlohn nicht zustande
kommen.
Zorn gab es auf dem Parteitag über die
defensiven Formulierungen im Programmentwurf zur Ökosteuer,
die in der Aussage gipfeln: "Angesichts der Energie- und
Ölpreise planen wir keine Erhöhung der Ökosteuer."
Ein "klimapolitischer Erfolg ohne gleichen" sei doch die
Ökosteuer gewesen, meinte der Delegierte Hartwig Berger und
forderte wie auch andere Grüne eine Weiterführung der
ökologischen Steuerreform. Doch die Mehrheit wollte nicht den
"Watschenmann" geben, wie Jürgen Trittin formulierte, und
lehnte eine Erhöhung der Ökosteuer ab. Allerdings sollen
ungerechtfertigte Ökosteuer-Ausnahmen genauso wie
Kohlebeihilfe und Eigenheimzulage abgeschafft, die Pendlerpauschale
reduziert werden.
In der Gesundheitspolitik setzen die
Grünen auf die Bürgerversicherung, in die "alle
gemäß ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit
einbezahlen". Die Beitrags-parität soll erhalten bleiben und
die Bemessungsgrenze maßvoll angehoben werden. Auch für
die Pflege will die Partei eine Bürgerversicherung, hält
allerdings ergänzende Vorsorge für nötig.
"Fangt jetzt nicht an zu schwächeln",
forderte Fraktionschefin Krista Sager die Delegierten am
späten Abend des 9. Juli auf, als nach langen Debatten noch
die Themen Bildungs-, Familien- und Frauenpolitik auf der
Tagesordnung standen. Doch Sager konnte nicht mit der Idee einer
Kinderkarte überzeugen, die bedürftigen Kindern
kostenlosen Zugang beispielsweise zu Sportvereinen oder
Musikunterricht ermöglichen sollte. Auch ein Elterngeld, das
den Ausstieg aus dem Job ohne größere finanzielle
Einbußen ermöglichen sollte, lehnte der Parteitag aus
Kostengründen ab. Allerdings soll es nach dem Willen der
Grünen für Familien mit Kindern deutliche Verbesserungen
geben. So wird ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten
Lebensjahr und ein kostenfreies Vorschuljahr angestrebt. Der Bund
soll zu einem auch qualitativ verbesserten Betreuungsangebot der
Kommunen finanziell beitragen.
Die Wehrpflicht wollen die Grünen durch
einen "freiwilligen flexiblen Kurzdienst" ersetzen. Einen Einsatz
der Bundeswehr im Inneren lehnen sie ebenso wie den großen
Lauschangriff ab. Ausländer sollen leichter eingebürgert
und die doppelte Staatsbürgerschaften großzügig
hingenommen werden. Die Partei setzt auf einen neuen Anlauf zu
einer EU-Verfassung und will über Teile des Gesetzwerkes
europaweit abstimmen lassen.
Ist die Partei damit also im Wahlkampf gegen
die Konservativen, aber auch die neue Linkspartei gut aufgestellt?
Der Vertreter vom linken Flügel, Hans-Christian Ströbele,
war zumindest zufrieden. "Das ist ein geläutertes grünes
Programm", stellte er fest. "Viele Forderungen der Linken seien
aufgenommen worden wie die Anhebung der ALG-II-Regelsätze und
die Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Der
nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Frithjof Schmidt sah
den "starken neoliberalen Einfluss der Fraktion"
zurückgedrängt. "Es gab Korrekturbedarf", so Schmidt. Mit
den Beschlüssen des Parteitags sei der erfüllt worden:
"Das ist eine positive Entwicklung." In diesem Sinne schloss
Joschka Fischer die Bundesdelegiertenversammlung denn auch mit der
Behauptung: "Der Sommer wird grün."
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