"Das ist kein Linksruck"
Interview mit Steffi Lemke
Für durch und durch glaubwürdig
hält die politische Geschäftsführerin von
Bündnis 90/Die Grünen, Steffi Lemke, das Wahlprogramm
ihrer Partei. Im Gegensatz zu den Forderungen von PDS und WASG
seien die sozialen Veränderungen, die die Grünen
anstrebten, finanzierbar, sagt die 37-Jährige und lehnt eine
Koalition von Rot-Grün und Linkspartei kategorisch ab.
Das Parlament: War der vergangene
Bundesparteitag der Grünen für Sie ein guter oder ein
schlechter?
Steffi Lemke: Es war ein sehr
erfolgreicher Parteitag. Wir haben mit nur einer Gegenstimme ein
Programm verabschiedet, in dem wir unsere Kernforderungen für
ökologische Modernisierung und solidarische Verantwortung
niedergeschrieben haben. Der Parteitag hat gezeigt, dass wir
kämpfen wollen und kämpfen werden.
Das Parlament: Was wäre ein
schlechter Parteitag gewesen?
Steffi Lemke: Wenn unsere Partei das
Programm nicht geschlossen mitgetragen hätte oder wenn wir ein
Programm verabschiedet hätten, das Wolkenkuckucksheime
verspricht, die in keiner Weise gegenfinanziert sind. Was zum
Beispiel PDS und WASG in ihrem Programm an schlichtweg nicht
finanzierbaren Versprechen aufgeschrieben haben, halte ich für
ein verantwortungsloses Wahlprogramm.
Das Parlament: Wie wollen die
Grünen die von ihnen geforderten Verbesserungen in Sozial- und
Bildungspolitik gegenfinanzieren?
Steffi Lemke: Wir schlagen einen Mix
vor: auf der einen Seite Subventionsabbau - wie beispielsweise die
Eigenheimzulage - auf der anderen Seite Vorschläge, nach denen
starke Schultern mehr schultern sollen, um Investitionen für
Bildung, Forschung und Kinderbetreuung zu ermöglichen.
Beispielsweise halten wir die Absenkung des Spitzensteuersatzes,
den die Union durchgesetzt hat, für den falschen Weg. Wir
wollen unsere Forderungen nicht durch Neuverschuldung oder die
Erhöhung von Verbrauchssteuern wie der Mehrwertsteuer
finanzieren, sondern den Spitzensteuersatz auf 45 Prozent setzen.
Bei der Einkommenssteuer und der Körperschaftssteuer wollen
wir Ausnahmetatbestände abschaffen. Als dritte Säule
schlagen wir vor, über die Erbschaftssteuer die Ein-nahmebasis
zu verbessern.
Das Parlament: Ähnliche
Forderungen wie die Heraufsetzung des Spitzensteuersatzes und
höhere Erbschaftssteuern stellt auch die PDS.
Steffi Lemke: Die Forderungen der PDS
bedeuten, dass man das Geld, das man einnimmt, fünf- bis
sechsmal wieder ausgibt. Ein Beispiel ist die gesetzlich
garantierte Mindestrente von 800 Euro für alle. Die wäre
nur durch eine massive Neuverschuldung finanzierbar, die zu Lasten
der jüngeren Generation ginge.
Das Parlament: Ist dasWahlprogramm der
Grünen ein Linksruck oder eine zarte
Linksverschiebung?
Steffi Lemke: Das ist kein Linksruck.
Wir treten mit einem klaren sozialpolitischen Profil an, verlieren
aber im Gegensatz zu anderen Parteien weder Ökologie noch
Demografie, weder Globalisierung noch Staatsfinanzen aus den Augen.
Es ist ein sehr realistisches Programm, das klare Prioritäten
in der Sozialpolitik, für Kinderbetreuung und für Bildung
setzt. Wir können mit diesem Programm sowohl
Regierungsverantwortung übernehmen als auch aus der Opposition
heraus Politik gestalten.
Das Parlament: Für einen
Außenstehenden war es merkwürdig, dass etliche grüne
Spitzenfrauen aufgeboten wurden, um gegen die Aufstellung einer
Spitzenkandidatin neben Joschka Fischer zu reden. Ist den
Grünen die Frauenquote nicht mehr wichtig?
Steffi Lemke: Ich habe die Debatte als
ein deutliches Zeichen unserer Partei verstanden, dass ihr
Frauenpolitik und die Doppelspitze wichtig sind. Sonst hätten
wir nicht auf einem Bundesparteitag eine solche Diskussion gehabt.
Aber die Partei hat dann auch in Gänze abgewogen, dass die
enorme Popularität und die Medienwirksamkeit von Joschka
Fischer in einem Wahlkampf auch eine Legitimation dafür sind,
ihn als alleinigen Spitzenkandidaten ins Rennen zu
schicken.
Das Parlament: Aber hätte denn
eine Spitzenkandidatin die Popularität Fischers
beeinträchtigt?
Steffi Lemke: Fakt ist, dass wir einen
kurzen, dynamischen, zugespitzten Wahlkampf haben und die Medien
sich auf einige wenige Themen und Personen konzentrieren werden.
Wir haben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass eine
Doppelspitze für die Medienöffentlichkeit durchaus auch
ein Problem darstellt, weil es schwierig ist, sie ausgewogen zu
präsentieren.
Das Parlament: Wie glaubwürdig
ist das grüne Wahlprogramm für Wählerinnen und
Wähler nach den Ergebnissen der rot-grünen
Regierungspolitik?
Steffi Lemke: Unser Programm ist durch
und durch glaubwürdig.Wir haben dargelegt, was wir an Erfolgen
in den letzten sieben Jahren erreicht haben, und wir haben auch
gesagt, wo wir etwas nicht erreicht oder Fehler gemacht haben. Wir
haben in dem Programm dargestellt, was wir bei Hartz IV ändern
wollen: die Zumutbarkeitsregelungen, die
Zuverdienstmöglichkeiten, die Anrechnung des Partnereinkommens
und den Schutz der Altersvorsorgeaufwendungen. Das sind vier
Punkte, die die Union im Bundesrat durchgesetzt hat. Wir sind doch
nicht unglaubwürdig, wenn wir Fehler beheben wollen. Ich werde
mir nicht die Vorschläge der Union anheften lassen.
Das Parlament: Im Wahlprogramm steht,
die Grünen hätten den Fehler gemacht, die Arbeits-,
Wirtschafts- und Sozialpolitik zu sehr der SPD überlassen zu
haben. Gab es nicht auch in der grünen Fraktion neoliberale
Strömungen, die für eine bestimmte Politik
mitverantwortlich sind?
Steffi Lemke: Wir haben als Fraktion
einen sehr starken Akzent auf die Haushaltskonsolidierung gesetzt
und gesagt, dass unser Sozialversicherungssystem im Angesicht von
Globalisierung und demografischem Wandel nicht mehr so weiter
funktionieren kann wie in den 70er- und 80er-Jahren der alten
Bundesrepublik. Das war richtig. Sowohl die Bürgerversicherung
als auch die soziale Grundsicherung sind Konzepte, die die
Grünen entwickelt haben. Wir haben uns ein klares
arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitisches Profil erarbeitet, aber
wir haben das nicht stark genug heraus gestellt. Das hatte auch
damit zu tun, dass mehrere Reformprojekte auf einmal angepackt
werden mussten.
Das Parlament: Wie ist die Stimmung
bei den Grünen nach dem Coup von Gerhard Schröder,
über eine misslungene Vertrauensfrage zu Neuwahlen zu
kommen?
Steffi Lemke: Viele waren zornig, aber
jetzt wollen unsere Mitglieder für unsere grünen Ziele
und Konzepte Wahlkampf machen, weil sie sehen, dass unter einer
schwarz-gelben Regierung die ökologische Modernisierung, die
Menschen- und Bürgerrechte und die Stellung der Frau in der
Gesellschaft auf der Strecke bleiben.
Das Parlament: Allerdings ist es ein
merkwürdiger Umgang mit der Verfasssung, ein Misstrauensvotum
hinzubiegen, nachdem kurz vorher noch mehrheitlich Beschlüsse
gefasst wurden. Der Grüne Werner Schulz hat das angesprochen -
ist er die letzte ehrliche Haut bei den Grünen?
Steffi Lemke: Werner Schulz hat eine
Klage angekündigt. Das ist sein Recht als Abgeordneter. Der
Umgang mit diesem Misstrauensvotum ist durchaus eine schwierige
Frage, und es liegt am Bundespräsidenten und eventuell am
Bundesverfassungsgericht, sie letztendlich zu beantworten. Ich sehe
auf der anderen Seite, dass die Bürgerinnen und Bürger
jetzt eine Bundestagswahl und eine klare Entscheidung wollen, und
das ist für mich als Politikerin auch im Verhältnis zur
SPD relevant.
Das Parlament: Könnten Sie sich
auch ein Dreierbündnis aus Rot-Grün und Linkspartei
vorstellen, um weiter an der Regierung zu bleiben?
Steffi Lemke: Ich kann mir nicht
vorstellen, wie man mit PDS und WASG regieren sollte. Das
Bündnis lässt Ökologie, Globalisierung und
Demografie völlig links liegen. Und es trägt nichts zur
wirtschaftlichen Erneuerung bei, sondern will nur verteilen. Auch
die Äußerungen von Herrn Lafontaine, mit denen er
versucht, durch Rechtspopulismus nach Wählerstimmen zu
fischen, halte ich in der jetzigen Situation, in der die NPD in
Sachsen gerade in den Landtag eingezogen ist, für
brandgefährlich. PDS und WASG sind daher aus meiner Sicht
nicht politikfähig.
Das Parlament: Also wäre für
Sie eine solche Koalition völlig ausgeschlossen?
Steffi Lemke: Ja.
Das Interview führte Ulrike Schuler
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