dpa
Karlsruhe stoppt EU-Haftbefehl
Keine Auslieferung von Deutschen
Mutmaßliche Straftäter mit deutschem Pass dürfen
vorerst auch nicht mehr ans europäische Ausland ausgeliefert
werden. Das Bundesverfassungsgericht hat das deutsche Gesetz zum
Europäischen Haftbefehl am 18. Juli für nichtig
erklärt. Damit gab das Karlsruher Gericht der
Verfassungsbeschwerde des unter Terrorverdacht stehenden
Deutsch-Syrers Mamoun Darkazanli statt, der nach Spanien
ausgeliefert werden sollte. Er wurde umgehend aus der Haft
entlassen.
Deutschland hatte mit dem vereinfachten Auslieferungsverfahren
im August 2004 erstmals die Auslieferung eigener
Staatsangehöriger an EU-Staaten erlaubt. Nach dem Urteil des
Zweiten Senats hat der Gesetzgeber jedoch zu wenig Vorkehrungen
für den Schutz der Grundrechte deutscher Tatverdächtiger
getroffen. Der EU-Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl
aus dem Jahr 2002, auf den das Gesetz zurückgeht, lasse
dafür genügend Spielraum. Damit ist die Auslieferung
Deutscher nicht mehr möglich, solange der Bundestag kein neues
Gesetz erlässt. Den EU-Rahmenbeschluss selbst ließ der
Senat unbeanstandet.
Nach den Worten der Richter scheidet eine Auslieferung Deutscher
grundsätzlich aus, wenn die Straftat auf deutschem Boden
begangen worden ist. Bei Taten mit "maßgeblichem
Auslandsbezug" könnten dagegen - ein neues Gesetz
vorausgesetzt - auch Verdächtige mit deutschem Pass an die
Justizbehörden anderer Länder überstellt werden.
Zudem mahnte Karlsruhe einen stärkeren Rechtsschutz gegen
Auslieferungsentscheidungen an.
Nach dem Karlsruher Urteil gegen hält
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) die Verabschiedung
eines überarbeiteten Entwurfes noch vor einer Neuwahl für
möglich. In der Koalition sieht man dafür aber wenig
Chancen. Zypries sagte am 19. Juli im RBB-Inforadio: "Theoretisch
würde das gehen, dass der Bundestag und auch der Bundesrat das
noch vor (...) der Wahl verabschieden. Ob's dann praktisch geht",
müsse man sehen. Zypries will in wenigen Wochen einen neuen
Gesetzentwurf vorlegen. Die Grünen sprachen sich ähnlich
wie auch die Union gegen ein zu schnelles Vorgehen aus.
Die spanische Justiz will nun erreichen, dass Darkazanli in
Deutschland der Prozess gemacht wird. Die Staatsanwaltschaft am
Nationalen Gerichtshof in Madrid forderte den zuständigen
Richter auf, die Strafverfolgung des mutmaßlichen
Straftäters in der Bundesrepublik zu beantragen. Die
Ermittlungsunterlagen sollen über das Justizministerium an die
deutschen Behörden weitergeleitet werden, hieß es am 19.
Juli im spanischen Rundfunk. Spanien hatte die Auslieferung
Darkazanlis im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen das Terrornetz
El Kaida gefordert.
Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz glaubt nicht an
eine neue deutsche Regelung zum Europäischen Haftbefehl in
dieser Legislaturperiode. Zwar sei das Bundesjustizministerium
sicher in der Lage, in vier bis sechs Wochen einen Gesetzentwurf
vorzulegen, "der den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes
entspricht", sagte Wiefelspütz im Deutschlandfunk. Er
könne sich aber nicht vorstellen, "dass wir eine Chance haben,
den noch in dieser Wahlperiode zu verabschieden". Der
Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker
Beck, sagte, ein neues Gesetz werde es in dieser Wahlperiode nicht
geben, wenn der Bundestag aufgelöst ist.
Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) zeigte
Verständnis für die Entscheidung des Gerichts. "Es gibt
einen besonderen Auslieferungsschutz im Grundgesetz und der ist
nicht mehr beachtet worden", sagte Beckstein dem WDR 5. Er halte
nichts von einem "Schnellschuss", den Zypries angesprochen habe.
Scharfe Kritik an der Regierung kam von dem CDU/CSU-Rechtspolitiker
Siegfried Kauder. "Die Bundesregierung hat ein Gesetz vorgelegt,
das nicht verfassungskonform war", sagte Kauder der
"Sächsischen Zeitung" vom 19. Juli. Er habe dem Entwurf im
Bundestag zugestimmt, weil das Bundesjustizministerium zuvor
falsche Auskünfte gegeben habe.
Auch die ehemalige Justizministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte, der Bundestag habe sich
"zu sehr von der Regierung und den Darstellungen der
Justizministerin einlullen lassen". Im Ergebnis gehe das Gesetz
über das Ziel hinaus. Es mache die Auslieferung viel zu
leicht", sagte die Politikerin im Westdeutschen Rundfunk. dpa
Zurück zur
Übersicht
|