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Bernadette Schweda
Ein Abenteuer mit Tiefsinn
Menschenrechtlerin hilft den Yanomami - mit
Hilfe von Schülern
"Schule mal anders" heißt die Devise von
Christina Haverkamp. Die "gelernte" Lehrerin, der es in der Schule
einst zu langweilig wurde, hält seit vielen Jahren
Vorträge vor Schulkindern aller Altersgruppen, an allen
Schultypen. Ihr Ziel: Hilfe für die Yanomami-Indianer in
Brasilien und Venezuela, eines der letzten Naturvölker der
Welt, das vom Aussterben bedroht ist. Haverkamp, die bis zur
Hälfte des Jahres im Urwald lebt und und arbeitet, will ihre
Zuhörer in Deutschland aus der Welt des Konsumismus
entführen und auf existenzielle Probleme anderer Menschen
hinweisen, zum Nachdenken anregen, und zum Handeln. Es
funktioniert: Mit einfachen Mitteln - eindrucksvollen Dias -
fesselt sie hunderte junge Zuschauer.
Das muss erst sacken." Eine zierliche
Neuntklässlerin verschwindet in der Masse der Schulkinder, die
aus der Aula des Berliner Gottfried-Keller-Gymnasiums strömen.
"Das" ist ein Dia-Vortrag von Christina Haverkamp. Die
Menschenrechtsaktionistin - wie sie sich selbst nennt - hat gerade
fast zwei Stunden lang vor rund 300 Schülern eine spannende
Geschichte erzählt - über Macht, Geld, Gold, Gier der
Menschen, über die Entrechtung der Yanomami-Indianer und den
Kampf dagegen, über ferne Länder und ferne Sitten,
über Genügsamkeit und konkrete Möglichkeiten, zu
helfen. Eine Traube von Schülern hat sich nun um die
Abenteuerin gebildet.
Ja, sie ist eine Abenteuerin. Damit hat einst
alles begonnen. Es ist aber nicht dabei geblieben.
In die Ferne hat es Christina schon immer
gezogen. Bereits in ihrer Studienzeit ist sie mit Schiffen als
Überseearbeiterin gereist, ein Jahr lang durch Südamerika
getrampt, hat mit Englischunterricht und selbstgebasteltem Schmuck
ihren Lebensunterhalt verdient. Damals hatte sie so viel Elend, so
viel Ungerechtigkeit gesehen - wie sie erzählt -, dass sie
sich für die "Luxusprobleme" der Heimat geschämt
hatte.
Der Durchbruch kommt 1989. Christina, frisch
gebackene Lehrerin für Mathematik und Sport, trampt wieder mit
Schiffen unter der Bedingung "Hand gegen Koje" und per Anhalter in
Brasilien. In Manaus trifft sie Anfang 1990 den wohl bekanntesten
deutschen Abenteurer, den Ex-Konditor Rüdiger Nehberg, der
gerade seine vierte Expedition zu den Yanomami vorbereitet. Sie
will mit in den Urwald. Nehberg will aber keinen Klotz am Bein
haben. Mit einer schier unmöglichen Aufgabe als Bedingung will
er sie "abschütteln" - die junge Frau soll die Landkarte mit
den illegalen Landepisten der Goldsucher aus dem
Flughafenkontrollturm von Boa Vista besorgen. Es klappt. Sie bringt
Nahaufnahmen der geheimgehaltenen Landkarte mit und schafft es
sogar, unter dem Deckmantel einer harmlosen Touristin mit einem
illegalen Flug zu den Goldgräbern zu gelangen.
Sie kommt also mit in den Regenwald und ist
fasziniert von der Lebensweise der Indianer: Besitzdenken und Gier
sind ihnen fremd, sie leben in Harmonie mit der Natur, mit den
Ressourcen gehen sie schonend um. Sie sind aber gleichzeitig vom
Aussterben bedroht. Die industrialisierte Welt will sie
verschlucken, zerstört ihre Lebensgrundlagen. Es ist eine
Zeit, in der dem Indianervolk ein Genozid droht. Ursachen sind Gier
und der Goldrausch der "zivilisierten" Weißen - auf dem Gebiet
der Indianer wurde unter anderem Gold entdeckt. Und auch der Urwald
- der Lebensraum der Yanomami - ist für die Industrie nicht
uninteressant.
In das Gebiet drängen mehr als 50.000
Goldsucher ein. Sie roden die Wälder, vertreiben die Menschen
aus ihren Dörfern, scheuen nicht davor, die Indianer zu
töten und verseuchen den Urwald mit Quecksilber, das sie zur
Gewinnung von Gold benutzen. Sie schleppen zudem bis dahin
unbekannte Krankheiten wie Grippe, Masern, Tuberkulose und vor
allem Malaria ein. Die Sümpfe, die durch die
Schürfmethoden bei der Edelmetallsuche entstehen, sind
optimale Brutstätten für die Malariamücke. Allein
zwischen 1991 und 1993 sterben 20 Prozent der Yanomami durch
Krankheit oder Mord.
Christina macht es sich von da an zur
Lebensaufgabe, den Yanomami zu helfen. Sie sind inzwischen ihre
"Lebenspartner" geworden, wie sie sagt. Dabei ist sie weit entfernt
von einer verklärenden Romantik. "Wir können einiges von
ihnen lernen" - ist das Fazit der ersten Begegnung. Die Yanomami
sollen ihrerseits selbst entscheiden, wie viel sie von der
westlichen Zivilisation sie übernehmen wollen; sie sollen aber
auch die Chance haben, es zu entscheiden. Dafür brauchen sie
Unterstützung. Ihre Rechte können sie nur wahrnehmen,
wenn sie die Sprache des Landes sprechen und - wenn sie
überleben. Haverkamp will ihnen auch ein neues
Selbstwertgefühl geben: "Man muss sie zunächst in ihrer
eigenen Kultur stärken. Sie müssen lernen, stolz zu
sein."
1991 organisiert sie eine Frauenexpedition
mit medizinischer Hilfe für die Yanomami. Ein Jahr darauf
folgt eine spektakuläre Protestfahrt mit Nehberg vom Senegal
aus mit einem Bambusfloß über den Atlantik nach Brasilien
und dann in die USA. Beide Menschenrechtler, die sich in der
Gesellschaft für bedrohte Völker engagieren, wollen damit
gegen die groß angelegten Feiern zum 500. Jahrestag der
"Entdeckung" Amerikas protestieren und auf den Völkermord an
den Indianern aufmerksam machen. Die Aufmerksamkeit wird ihnen
zuteil.
1993 dreht Haverkamp einen Film über ein
Massaker in einem brasilianischen Indianerdorf. Sie engagiert sich
verstärkt für die medizinische Versorgung der Indianer,
die sich mit ihren traditionellen Heilmethoden nicht vor den
eingeschleppten Krankheiten schützen können. Dazu
gehört der Bau von zwei Krankenstationen und Schulen in den
Dörfern Ixima und Papiu im brasilianischen Amazonas, die jetzt
von den Yanomami selbst geleitet werden. Anfang dieses Jahres wurde
eine dritte Krankenstation, diesmal am Orinoko in Venezuela, in
Betrieb genommen. Diese Station versorgt sechs Dörfer mit rund
800 Einwohnern. Eine junge brasilianische Ärztin behandelt
dort vor allem Malaria, Flussblindheit, Lungenentzündung und
andere Infektionskrankheiten.
Jede dieser Unternehmungen ist ein
mühsames Abenteuer. Es ist eben nicht einfach, im Urwald zu
bauen. Kein Baumarkt, keine Straße weit und breit. Das
Baumaterial und die Ausstattung müssen zum Teil mit
Transportbooten und traditionellen Holzkanus, zum Teil per Flugzeug
und zu Fuß angeschleppt, der Platz für die Gebäude
muss gerodet werden. Hinzu kommen die Tropenhitze und
Schwierigkeiten mit den staatlichen Behörden.
"Hauptprinzip und Vorbedingung meiner
Projektarbeit ist, dass die Yanomami-Indianer von Beginn an beim
Bau mithelfen müssen", so Haverkamp. Alle machten sich bei der
Arbeit nützlich, auch die Kinder. Die Menschenrechtlerin sorgt
auch dafür, dass die Projekte sich verselbstständigen und
dauerhafte Unterstützung der Regierungen bekommen. Die
Yanomami sollen mit der Zeit unabhängig werden. Wichtig sei
auch das zweite Standbein - die Schulen. In Ixima unterrichtet die
Französin Ana Ballester die Yanomami-Kinder in Portugiesisch
und in Yanomamé. "Es erfüllt die Indianer mit großem
Stolz, dass ihre Sprache geschrieben werden kann", berichtet
Haverkamp. Es helfe auch, dass die Yanomami sich immer mehr
für ihre Rechte selbst einsetzen können. Den
Häuptling von Papiu hatte Haverkamp schon mit nach New York
genommen, wo er vor der UNO für sein Volk sprach.
"Zu Hause" in Deutschland lebt Haverkamp
spartanisch. In einer WG mietet sie ein Zimmer - das ist ihr
"Basiscamp". Die Zeit nutzt sie, um sich zu regenerieren,
gesundheitlich aufzupeppen - bereits viermal hatte sie schon
Malaria - und Vorträge zu halten, wie in Berlin. Dann
erzählt sie die Geschichte eines Volkes, das beinahe
verschwunden ist.
Nebenbei erfährt ihr Publikum einiges
über die Entstehung von Krankheiten in den Tropen, Methoden
der Goldgewinnung, über die wirtschaftlichen und politischen
Zusammenhänge und natürlich über den Alltag der
Indianer - wie sie sich ernähren, wohnen, kleiden. "Soziale
Versicherungen brauchen sie nicht", erzählt Haverkamp. "Wenn
sie Brot back-en, jagen oder fischen, bekommt jede Familie ihren
Anteil, alles wird gerecht geteilt." Und - "sie lieben Partys und
Feste". Die Schüler lachen, auch die Berliner Jugendlichen
feiern gerne. Weniger angenehm seien die Gefahren des Dschungels.
"Größte Angst habe ich vor Schlangen", verrät
Haverkamp den Schülern. Nicht zu vergessen seien die kleinen
Plagegeister wie Moskitos, Sandflöhe, Vogelspinnen und andere
Parasiten. Es sei nicht angenehm, man könne sich aber daran
gewöhnen, stellt sie nüchtern fest und erzählt auch
von der traditionellen Medizin der Schamanen. Die Ärztinnen in
den Krankenstationen begegneten ihnen mit Respekt. Beide Methoden -
die traditionelle und die Schulmedizin - ergänzten sich. Ein
Raunen geht durch die Reihen, als die gebürtige Kielerin von
dem Umgang mit den Toten spricht: Ihre Knochen würden
eingeäschert und dann mit Bananenbrei vermischt und verzehrt,
damit ihre Seele in der Gemeinschaft bleibt und nicht in der
Geisterwelt herumirren muss. "Es war mir schon mulmig zumute, als
ich die Asche zwischen den Zähnen spürte."
Eine kleine Mutprobe zum Schluss: "Wer von
euch kann sich vorstellen, in den Urwald mitzukommen?" Zögernd
strecken einige Schüler ihre Arme in die Höhe. Immerhin
ein Dutzend. Das ist eine gute Ausbeute. Es geht schließlich
darum hierzulande, Hilfe zu organisieren und Denkanstöße
zu geben. Jetzt ist Haverkamp gespannt, ob und was sich die
Schüler aus Berlin einfallen lassen, um den Indianern zu
helfen. Andere Schulen (siehe Interview) haben schon viel Phantasie
gezeigt.
Schulen, die einen Vortrag mit Christina Haverkamp organisieren
möchten, können sie über die Gesellschaft für
bedrohte Völker unter der Internetadresse www.gfbv.de
erreichen.
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