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Johanna Metz
Kurzes aber zwangloses Reden
Fraktionslose Abgeordnete im Deutschen
Bundestag
598 Abgeordnete des Deutschen Bundestages sind "drin". Sicher,
auch im Internet. Viel wichtiger aber: in einer der vier
Fraktionen, die es in dieser, nun endenden, Legislaturperiode im
Parlament gibt. Wenn es um die Arbeit des Bundestages geht, um
Politik in Deutschland, kommt man an ihnen nicht vorbei. In
Abstimmungen votieren ihre Mitglieder meist geschlossen. Der
Fraktionsvorsitzende einer Partei ist fast so mächtig wie ihr
Vorsitzender. Und Fraktionen verfügen über eine Vielzahl
von Rechten und zahlreiche personelle wie finanzielle Ressourcen,
um ihre parlamentarische Arbeit effektiv zu organisieren.
Fraktionen können Gesetzesvorlagen einbringen, Große und
Kleine Anfragen stellen und im Ältestenrat Einfluss auf die
Tagesordnung nehmen. Sie haben einen Sitz im Präsidium, einen
Parlamentarischen Geschäftsführer und beschäftigen
mit Pressereferenten, Justiziaren, Archivaren und verschiedenen
Arbeitsstäben ein ganzes Heer von Mitarbeitern, das den
Abgeordneten unter die Arme greift. "Drin" sein in einer Fraktion
ist also von großem Vorteil, gerade weil ein einzelner
Abgeordneter unmöglich in jeder politischen Sachfrage allein
aktiv werden kann.
Laut Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sind
Fraktionen Zusammenschlüsse von Mitgliedern derselben Partei
oder solcher Parteien, "die auf Grund gleichgerichteter politischer
Ziele in keinem Bundesland miteinander im Wettbewerb stehen". Zu
ihrer Bildung braucht es mindestens fünf Prozent der
Mitglieder des Bundestages, derzeit also 31 Abgeordnete. Doch in
der Geschichte des Bundestages hat es auch immer Abgeordnete
gegeben, die nicht Teil einer Fraktion waren - meist weil sie aus
der eigenen Fraktion ausgeschlossen wurden, manchmal aber auch, wie
im Fall der PDS, weil die Zahl der Abgeordneten einer Partei nicht
ausreichte, um eine Fraktion zu bilden.
Im Bundestag ist weder das eine noch das andere alltäglich.
Daher tat sich die Union im November 2003 auch schwer mit der
Entscheidung, den Abgeordneten Martin Hohmann aus der Fraktion und
dann sogar aus der Partei auszuschließen. Hohmann hatte am 3.
Oktober, dem "Tag der Deutschen Einheit", in seinem Wahlkreis eine
antisemitische Rede gehalten und war deswegen öffentlich in
die Kritik geraten. Erst nach langen Diskussionen wurde mit der
nötigen Zweidrittelmehrheit sein Fraktionsausschluss
besiegelt. Hohmann sitzt seither als fraktionsloser Abgeordneter im
Deutschen Bundestag - ein einmaliger Vorgang, zumindest in der
Fraktionsgeschichte von CDU/CSU. Nur im Mai 1993 wäre es fast
schon mal so weit gekommen: Da kam der Rechtsabweichler Rudolf Karl
Krause seinem Rausschmiss aus Partei und Fraktion zuvor, indem er
zu den Republikanern wechselte. Bis zum Ende der Wahlperiode 1994
saß er als Fraktionsloser im Parlament.
Ein anderer Fall: Jürgen Möllemann. Wegen eines von
ihm verbeiteten, dubios finanzierten und zudem israelkritischen
Flugblatts für den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen kam es zum
Clinch mit der FDP- Parteiführung. Im Februar 2003 wurde
Möllemann wegen "parteischädigenden Verhaltens" aus der
FDP-Bundestagsfraktion ausgeschlossen, verblieb aber bis zu seinem
tödlichen Fallschirmsprung im Juni 2003 im Bundestag. Aus der
FDP war er zuvor selbst ausgetreten.
Doch nicht nur Union und FDP hatten bisweilen ihre liebe
Müh mit Quertreibern und Sturköpfen in den eigenen
Reihen. Auch bei SPD und Bündnisgrünen führten schon
eine Reihe innerparteilicher Diskrepanzen zu
Fraktionsausschlüssen. Im Sommer 1989 sahen die Grünen
keine Grundlage mehr für eine Zusammenarbeit mit Trude Unruh,
der streitbaren Chefin der Seniorenpartei "Die Grauen". Unruh war
über die Liste der Grünen in den Bundestag gekommen.
1996 trennte sich die SPD von ihrem Abgeordneten Kurt Neumann,
der seiner Fraktion Verurteilungen wegen einer Steuerangelegenheit
und nicht bezahlter Sozialversicherungsbeiträge verschwiegen
hatte. Sein Abgeordnetenmandat behielt er - weil einem
gewählten Abgeordneten sein Mandat nicht einfach aberkannt
werden kann, auch nicht, wenn er aus der Fraktion austritt oder von
seiner Partei ausgeschlossen wird. Zurückzuführen ist das
vor allem auf Artikel 28 Absatz 2, Satz 1 des Grundgesetzes. Der
besagt, dass ein Abgeordneter immer Vertreter des ganzen Volkes
ist. Er unterliegt daher keinerlei Weisungen, weder von einer
Partei noch von einer Fraktion, und kann auch als Fraktions- und
Parteiloser, im Parlament Politik machen - das aber mit
Einschränkungen. Die allerdings provozierten schon manchen
Streit. So klagte beispielsweise der frühere
Grünen-Abgeordnete Thomas Wüppesahl, weil ihm nach seinem
Fraktionsausschluss die Mitarbeit in einem Ausschuss verwehrt
worden war. Im "Wüppesahl-Urteil" vom 13. Juni 1989 entschied
das Bundesverfassungsgericht dann in seinem Sinne: Künftig
durften Fraktionslose als beratende Mitglieder in einem Ausschuss
vertreten sein. Ein weiterer Schritt in Richtung größerer
Rechte für Fraktionslose gelang der PDS: Ihre 17 Abgeordneten
zogen 1991 vor Gericht und erstritten sich weitergehende
Mitwirkungsrechte in den Gremien des Bundestages. Zuvor hatten sie
schon durchgesetzt, dass man ihnen einen speziell ausgestalteten
Gruppenstatus zugestand.
Diese Zeiten sind auch für die PDS vorbei. Heute sitzen nur
noch zwei Abgeordnete der sozialistischen Partei im Bundestag -
fraktionslos, versteht sich. Petra Pau und Gesine Lötzsch
haben in Berlin jeweils ein Direktmandat errungen und können
weder eine Fraktion, noch eine Gruppe bilden, denn auch für
letztere sind derzeit mindestens fünf Abgeordnete nötig.
Darüber hinaus stehen ihnen Zuschläge wie Fraktions- und
Oppositionszuschlag nicht zu, so dass sie nur fünf Mitarbeiter
beschäftigen können. Das hat Folgen für ihre
parlamentarische Arbeit: "Viele Informationen bekommen wir gar
nicht oder zu spät", sagen Lötzsch und Pau. "denn alles,
was den MdBs in Fraktionen zu Diensten ist, zum Beispiel Experten
und Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit, haben wir
nicht."
Und ganz so viel zu entscheiden wie ihre Kollegen in den
Fraktionen haben beide auch nicht. Teilweise aus gutem Grund: So
soll die Regelung, dass nur Fraktionen ein Antragsrecht besitzen,
vor allem verhindern, dass einzelne Abgeordnete mit einer Vielzahl
von Anträgen und Anfragen die Arbeit des Parlaments lahm
legen.
Diese Befürchtung hat auch zu der Einschränkung
geführt, dass Fraktionslose nur vier schriftliche Fragen im
Monat und zwei mündliche in der Parlamentswoche stellen
dürfen. Reden dürfen sie pro Tagesordnungspunkt drei
Minuten, bei Haushaltsdebatten 25 Minuten. Das ist nicht viel, aber
Petra Pau und Gesine Lötzsch versuchen dem dennoch Positives
abzugewinnen: "Im Gegensatz zu anderen Abgeordneten haben wir ein
Privileg", sagen sie. "Wir dürfen grundsätzlich zu allen
Themen im Plenum reden - kurz, aber immerhin."
Und noch etwas dürfte bei einigen Kollegen durchaus Neid
hervorrufen: Die Tatsache, dass der häufig spürbare
Fraktionsdruck oder sogar -zwang entfällt, die fraktionslosen
Abgeordneten in ihrem Handeln und Entscheiden wohl etwas
unabhängiger sind. Pau und Lötzsch sehen das
ähnlich: "Unsere Abstimmungen untereinander sind kurz und
bündig. Große Hierarchien können wir uns gar nicht
leisten", sagen sie - und welcher Abgeordnete würde da nicht
mal mit ihnen tauschen wollen.
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