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Jutta Witte
Potenziale in Leistung umwandeln
Auch die Guten brauchen
Förderung
Lange Zeit galt "Förderunterricht" an
Schulen als Synonym für Nachhilfe bei
leistungsschwächeren Schülern. Politik, Wirtschaft und
besorgte Eltern jedoch haben sich in den vergangenen Jahren
verstärkt auch die besondere Unterstützung
leistungsstarker und hochbegabter Schüler auf die Fahnen
geschrieben. Das Hochbegabteninternat im
baden-württembergischen Schwäbisch Gmünd und die
Eliteschule "Schloss Hansenberg" im hessischen Rheingau sind zwei
Beispiele, wie die besonders Guten gefördert werden
sollen.
Draußen scheint die Frühlingssonne,
die Aussicht geht weit über idyllische Weinberge. Doch keiner
der zwölf Schüler blickt auch nur eine Minute aus dem
Fenster. Sie brüten über Ovids Metamorphosen. Am Ende der
stillen Lernzeit, die einige durchaus lautstark gestalten, bleibt
kaum ein Finger unten. Die 15- und 16-Jährigen haben auf jede
Frage eine Antwort und die ist auch noch äußerst
qualifiziert. "Das hat hier Leistungskursniveau", räumt
Lateinlehrer Gerhard Müller am Ende der Stunde ein. Die letzte
Hausaufgabenüberprüfung endete im Schnitt mit einer
glatten Eins. Dabei hat es Müller keineswegs mit Experten
für alte Sprachen zu tun. Alle haben die zehnte Klasse
übersprungen, alle werden ab dem nächsten Schuljahr ihre
Leistungskurse in Mathematik, Politik und Wirtschaft sowie einer
Naturwissenschaft belegen. Latein - das ist fast Ausgleichssport
für die Internatsschüler.
"Leistungsstark, leistungswillig, sozial
kompetent" muss sein, wer "Schloss Hansenberg" besuchen will.
Genommen wird nur, wer in Klasse neun in Mathematik, Deutsch, einer
Fremdsprache und einer Naturwissenschaft mindestens auf zwei steht
und in allen anderen Fächern ebenfalls mindestens einen
Zweierschnitt vorweisen kann. Einzelinterviews, ein IQ-Test und die
genaue Beobachtung der Interessenten bilden an einem
Auswahlwochenende die zweite Stufe der Bewerbung. Das hessische
Oberstufengymnasium, das Regierungschef Roland Koch gerne als
"schulpolitischen Leuchtturm" bezeichnet, fördert gezielt
"Allgemeinbegabte". Ob die guten Leistungen durch hartes Pauken
erworben wurden oder überdurchschnittlich Begabten eher leicht
zufallen, spiele bei der Auswahl keine Rolle, betont Viktoria von
Zitzewitz-Schänzer. Die Geschäftsführerin der Schule
stammt aus dem Investment-Banking und managt das Vorzeigeprojekt
wie ein Unternehmen.
Leistungsstark und sozial
kompetent
"Leistung hat ein Zuhause", lautet das Motto.
Die Hansenberg-Schüler haben mit acht bis zehn Stunden
Unterricht plus Hausaufgaben und akademischen Arbeitsgemeinschaften
ein enormes Tagespensum zu bewältigen. Dazu müssen die
Neuankömmlinge mit einem völlig neuen Leben klar kommen -
weg von der Familie, in einer Wohngemeinschaft mit sieben anderen,
betreut von Sozialpädagogen. Viele, die sich an ihren Status
als Klassenbester gewöhnt haben, sind jetzt einfach nur
genauso gut wie alle anderen. Dafür bietet der Hansenberg
seinen Schülern Extras von denen ihre Altergenossen an anderen
Schulen nur träumen können. Das Oberstufengymnasium ist
zwar eine normale öffentliche Schule, die nur die
Internatsunterbringung mit 300 Euro im Monat berechnet. Mit den
Unternehmen Altana und Linde und der Dresdner Bank greift jedoch
die hessische Wirtschaft "als Sahnehäubchen", wie von
Zitzewitz-Schänzer es formuliert, der Eliteschule finanziell
unter die Arme.
Diese bundesweit einmalige
Public-Private-Partnership ermöglicht den
Hansenberg-Schülern Auslandspraktika, Seminare, Teilnahme an
Bilanzpressekonferenzen oder etwa Kurse in Wirtschaftsenglisch.
Doch jenseits der fachlichen Möglichkeiten schätzen es
die Leistungsstarken, auf Mitschüler zu treffen, die mit ihnen
auf einer Wellenlänge liegen. "Fast alle hier sind
topmotiviert", erzählt Nikolas Friedrich, der an seinem alten
Gymnasium zu den Wenigen gehörte, die nach seinem Empfinden
den Unterricht wirklich "gestalteten". Erfolgreiche Teamarbeit und
Spaß am Lernen, nicht aber Überforderung registriert der
16-Jährige nach seinem ersten Halbjahr im
Eliteinternat.
Sich "unter Gleichen bewegen", sich "als
integrierbar erleben" ist das, was auch den rund 50 Schülern
Frustrationen ersparen soll, die das Landesgymnasium für
Hochbegabte in Schwäbisch Gmünd besuchen. Das Internat
ist als öffentliche Modellschule im September 2004 mit einer
siebten und einer zehnten Klasse an den Start gegangen und steht
anders als der Hansenberg ausschließlich Hochbegabten offen,
also denjenigen, die mindestens einen Intelligenzquotienten von 130
haben. Die Schüler stammen aus allen Milieus vom "Kind eines
Lastwagenfahrers bis zum Professorennachwuchs", erklärt
Schulleiterin Annette von Manteuffel. Der Kostenbeitrag für
Unterbringung und Verpflegung - 420 Euro monatlich - kann wie auf
Schloss Hansenberg - auch über Stipendien finanziert werden.
Die meisten hier sind hochbegabt und leistungsfähig, bei
manchen müssen verschüttete Potenziale jedoch erst wieder
zum Leben erweckt werden. "Fähigkeiten in Leistung umwandeln",
nennt von Manteuffel das. Unterstützung können dabei in
schwierigen Fällen die Psychologen vom angegliederten
Kompetenzzentrum für Hochbegabte bieten.
Sich unter Gleichen bewegen
Ganzheitlichkeit und Differenzierung sind die
Prinzipien, nach denen in Schwäbisch Gmünd unterrichtet
werden soll. Der Schultag gliedert sich in zwei Teile. Vormittags
steht das "Fundamentum" auf dem Plan, das den normalen
Unterrichtsstoff in verkürzter Form vermittelt. Nachmittags
können die Schüler dann in Wahlpflichtfächern ihren
persönlichen Neigungen nachgehen, etwa Chinesisch oder
Altgriechisch lernen oder sich mit Philosophie beschäftigen.
Praktische Arbeit im Garten oder in Werkstätten sowie ein
Sozialpraktikum in der zehnten Klasse sollen dazu dienen, dass die
Hochbegabten den Anschluss ans normale Leben nicht
verlieren.
"Wir wollen die Kinder nicht von einer
Isolation in die andere treiben", betont von Manteuffel. Anders als
auf Schloss Hansenberg, wo die Schüler laut von
Zitzewitz-Schänzer "sehr auf sich konzentriert leben", ist das
Hochbegabteninternat in Schwäbisch Gmünd in einer
ehemaligen Kaserne mitten im sozialen Brennpunkt der Stadt
untergebracht. Die Schüler können so die öffentliche
Musikschule oder die örtlichen Sportvereine besuchen. Aber
auch die Hansenberg-Schüler versuchen den Kontakt zu ihrer
Umgebung etwa durch Hausaufgabenbetreuung an den umliegenden
Grundschulen zu pflegen - auch wenn dies logistisch etwas
aufwändiger ist.
Doch ganz gleich, ob mitten in den Weinbergen
oder in der Stadt, ob hochbegabt oder leistungsstark: für das
Lehrpersonal sind beide Schulen eine besondere Herausforderung.
"Mit Jugendlichen arbeiten, die Ehrgeiz und ganz andere
Schwerpunkte haben", ist für den Altphilologen und Theologen
Müller Anreiz, neben seiner Tätigkeit an einem "normalen"
Gymnasium auch auf Schloss Hansenberg zu unterrichten. Hohe
Fachkompetenz und ein hohes Abstraktionsvermögen müssen
nach Manteuffels Überzeugung die Pädagogen mitbringen,
die in Schwäbisch Gmünd unterrichten. Viele von ihnen
verbringen den ganzen Tag mit ihren Schülern, wohnen mit ihren
Familien auf dem Campus. Die Voraussetzungen für ein solches
Leben fasst von Manteuffel kurz zusammen: "Humor, Herz und
Geduld."
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