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Yvonne Globert
Bei PISA und IGLU gut abgeschnitten
Das Erfolgskonzept der Niederlande heißt:
"Früher lernen!"
Platz drei in Mathe, fünf in Naturwissenschaften, acht beim
Lesen und immerhin noch Rang neun, wenn es darum geht, Probleme
selbstständig zu lösen. Nur Finnland schnitt im
europäischen Vergleich besser ab. Die Ergebnisse der
Niederlande konnten sich bei der zweiten PISA-Studie sehen lassen.
30 Jahre zuvor hätten Bildungsforscher wenig zu loben gehabt:
Denn schon in der Grundschule blieb damals jedes dritte Kind
sitzen. Die Lösung, so entdeckten Experten, bestand dabei
nicht darin, Jungen und Mädchen mehr, sondern früher
lernen zu lassen.
Doch erst ein Blick zurück: Die "kleuterschool", so wird
der Kindergarten im Nachbarland genannt, war zum Toben und Spielen
da. In der Grundschule wehte ein anderer Wind: Zügig war der
festgelegte Lernstoff durchzuziehen. Lernerfahrungen aber hatten
niederländische i-Dötze bislang nicht gemacht. So wurde
Schule für sie zum Schockerlebnis.
Die Niederländer zogen aus der Sitzenbleiber-Schlappe eine
Lehre. Die Pädagogen waren angehalten, auf den
persönlichen Entwicklungsstand jedes Kindes mehr
Rücksicht zu nehmen und sich auch der Vermittlung kreativer
und sozialer Kompetenzen zu widmen. Umgekehrt galt es, potenzielle
Lernzeit nicht unnötig zu vergeuden und die kognitiven
Fähigkeiten kleiner Kinder so früh wie möglich zu
fördern. So trat 1985 das Gesetz über den Basisunterricht
in Kraft. Der Kindergarten, den bislang Vier- bis Sechsjährige
besuchten, wurde in die Grundschule integriert. Übrig blieben
einzelne Betreuungsangebote wie etwa Krabbelgruppen, bei denen es
sich aber überwiegend um rein kommerzielle Angebote handelte
und eine systematische Frühförderung für Kinder
unter vier Jahren nicht stattfand.
Schulpflicht mit fünf Jahren
Spätestens mit fünf Jahren, meist aber schon ein Jahr
zuvor, sind niederländische Kinder schulpflichtig. Acht Jahre
werden sie die so genannte "basisschool" besuchen, bevor sie auf
eine von drei möglichen Sekundarschulen wechseln. Die
Jüngsten besuchen zunächst eine "kleutergroep" oder
"groep ?". In diesen findet eine Art Vorschulunterricht statt, in
dem sich die Kinder langsam an das Lernen in Klassenräumen
gewöhnen. Lehrbücher kommen noch nicht zum Einsatz. Der
sanfte Einstieg in den Schulalltag führt über eine
Mischung aus Übungen, Spielen und selbstständigem
Entdecken. Wie der gesamte Schulbetrieb untersteht dabei auch der
Unterricht für die Jüngsten dem Schulministerium, das
schon für sie klare Bildungsziele formuliert.
Die Ankopplung der Früherziehung an das Schulsystem wirkte
sich ferner auf die Ausbildung der Betreuer aus. Nötig ist nun
eine akademische Ausbildung an den "Pädagogischen Akademien
für den Basisunterricht" (PABO), die mit einem
Fachhochschulabschluss endet. Während des Studiums, das auch
Praktika vorsieht, werden neben Inhalten aus Pädagogik,
Psychologie und Didaktik auch die für die Grundschulen
vorgesehenen Pflichtfächer vermittelt. Zu diesen zählen
neben Niederländisch Rechnen, Geschichte, Erd-, Natur- und
Gemeinschaftskunde.
Trotz früher Einschulung haben niederländische Kinder
nicht zwangsläufig einen Wissensvorsprung voraus. Denn auch
sie lernen Rechnen und Lesen erst mit circa sechs Jahren. Und erst
im letzten Jahr, also im Alter von zwölf Jahren, beginnen
Kinder an der "basisschool" mit dem Englischunterricht. Hier hinken
die niederländischen Jungen und Mädchen, die mit Englisch
schon in der dritten Klasse beginnen, sogar hinterher. Der
Vorbildcharakter, der dem niederländischen Schulsystem gerne
zugesprochen wird, lässt sich somit nicht unbedingt über
Inhalte begründen. Anders sieht es bei den
Gestaltungsmöglichkeiten der Schulen selbst aus. Denn diese
entscheiden das ganze Bildungssystem hindurch selbst, in welcher
Weise sie Inhalte vermitteln. Das Ministerium für Kultur und
Wissenschaft steckt ihnen allein Kernziele, die jedes Kind nach
Abschluss der "Basisschool" erreicht haben muss. Der Weg dorthin
ist frei und wird in unterschiedlicher Weise beschritten - von
konservativen Schulen, denen es vor allem um die Vermittlung
christlicher Werte geht ebenso wie von Vertretern moderner
pädagogischer Ansätze.
Breites Spektrum privater Schulen
Das Spektrum privater Schulen ist groß. Darunter fallen
Montessori-Schulen genauso wie Jenaplanschulen, in denen es statt
Klassen Stammgruppen aus drei verschiedenen
Schülerjahrgängen gibt und jeder von jedem lernen soll.
Auf Noten wird hier verzichtet. Wie die staatlichen sind die
privaten Schulen dazu verpflichtet, ihre Grundsätze,
Unterrichtsmethoden, Lernziele und Benotungssysteme - nicht alle
Schulen vergeben tatsächlich Zensuren - in
Schularbeitsplänen zu formulieren. Diese werden der
Schulaufsicht vorgelegt und alle zwei Jahre evaluiert.
Der autonome Rahmen klingt viel versprechend. Doch auch das
niederländische System kennt Schwierigkeiten wie Lehrermangel
und schlechte Leistungen, wie sie häufig vor allem bei Kindern
aus Einwandererfamilien zu verzeichnen sind. Um sie besonders zu
fördern, setzt das Land ebenfalls früh an, damit
Schulprobleme gar nicht erst einreißen können. Mit dem
Ziel, die kognitive, soziale und vor allem sprachliche Entwicklung
benachteiligter Kinder zu verbessern, wurden im Rahmen einer
ministeriellen Kampagne kommunale Bildungsprogramme zur
Förderung der Zwei- bis Fünfjährigen in
Zusammenarbeit mit Krippen und Elternorganisationen ins Leben
gerufen. Die finanziellen Mittel dafür stellt die Regierung
zur Verfügung. Spätestens im dritten Schuljahr sollen die
Kinder so gut Niederländisch sprechen und verstehen, dass sie
dem Unterricht ohne große Schwierigkeiten folgen können.
Hilfreich für den Spracherwerb ist dabei auch, dass das
niederländische System auf Ganztagsschulen setzt und
fremdsprachige Kinder so länger mit der Landessprache
konfrontiert werden.
Insgesamt lässt sich der Staat die Früherziehung
einiges kosten. Angefangen bei der Ausbildung der "neuen"
Basisschool-Lehrer bis zu Gebäuden und Lehrmitteln. In den
Niederlanden sind die Schulbetriebe voll subventioniert. Der Input
hat den schönen Nebeneffekt, dass niederländische Kinder
inzwischen kaum noch sitzen bleiben. Wobei vielerorts auf
Ehrenrunden ohnehin prinzipiell verzichtet wird. Dass Mädchen
und Jungen bei internationalen Vergleichstudien so gut abschneiden,
muss ehrlicherweise nicht unbedingt auf ein besseres Schulsystem
zurückgeführt werden. Vielmehr haben Testverfahren, die
überwiegend vom nationalen Institut CITO durchgeführt
werden, in den Niederlanden eine lange Tradition. Schon die
Jüngsten haben sich an die Testkultur ihres Landes
gewöhnt. Deshalb können die guten Ergebnisse bei PISA und
IGLU nicht wirklich überraschen.
Yvonne Globert Die Autorin ist freie Journalistin, Frankfurt.
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