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Winfried Folz
Rheinland-Pfalz ist Vorreiter beim Ausbau
Ganztagsschule - "Modell für
Deutschland"?
Gejubelt wird im Kaiserslauterer Fritz-Walter-Stadion oft, wenn
Fußball gespielt wird. Doch diesmal sorgte die Schulpolitik
für Emotionen: Auf einem Parteitag der SPD im Saal unter der
Tribüne kündigte der rheinland-pfälzische
Ministerpräsident Kurt Beck die flächendeckende
Einführung der Ganztagsschule im Land an. Und die Genossen
waren begeistert. Das war im Januar 2001, kurz vor der
Landtagswahl, aus der die rheinland-pfälzische SPD als Sieger
hervorging. Mittlerweile hat Becks Bildungs- ministerin Doris Ahnen
(SPD) das damals versprochene Ziel eines Angebots von 300
Ganztagsschulen nahezu erreicht. Mitte nächsten Jahres wird es
für 20 Prozent der allgemeinbildenden Schulen im Land ein
ganztägiges Angebot geben.
Unterstützung von den Frauen
Vor allem Frauen begrüßten den Mainzer Vorstoß,
mit dem Rheinland-Pfalz bereits ein Jahr vor den ersten
PISA-Ergebnissen eine wichtige Entscheidung getroffen hatte,
nämlich die Vereinbarkeit von Beruf und Erziehung zu
verbessern. Für Ahnen ist die Ganztagsschule aber auch
bildungspolitisch notwendig, um der individuellen Förderung
der Schüler mehr Raum zu geben und soziale Chancengleichheit
zu schaffen. Als diese Erkenntnis endlich bundesweit diskutiert
wurde, da waren zwischen Rhein und Saar die ersten Schritte schon
unternommen worden. Und Bundeskanzler Schröder segnete die
Bildungspolitik des Bundeslandes als "Modell für Deutschland"
ab, erhob die Ganztagsbetreuung mit einem
Milliarden-Förderprogramm gar zur gesamtstaatlichen Aufgabe.
Mittlerweile ist in Rheinland-Pfalz selbst die anfangs skeptische
CDU-Opposition der Meinung, dass "ganztags" Schule machen sollte.
Die neue Familienpolitik müsse schließlich die
gesellschaftliche Realität wahrnehmen, so der
CDU-Landesvorsitzende Christoph Böhr.
Das Besondere am rheinland-pfälzischen Angebot ist die
Freiwilligkeit. Ministerin Ahnen wusste, dass sich in dem
strukturell eher konservativen Land eine Diskussion über die
verpflichtende Ganztagsschule über Jahre hinziehen würde
- "am Ende wahrscheinlich ohne Ergebnis". Politik habe nicht die
Aufgabe, "Zwangsbeglückung" zu betreiben, betont die
SPD-Politikerin. "Wir setzen auf den Angebotscharakter: Die Schule
muss das wollen, und die Eltern müssen das wollen." Daher
entschied sich Ahnen für ein schulisches Angebot in einem
definierten Zeitrahmen zwischen acht und 16 Uhr an vier Tagen der
Woche. Wer sich als Schüler in Rheinland-Pfalz für das
Ganztagsangebot entscheidet, muss jedoch mindestens ein Schuljahr
lang dabei bleiben.
Im laufenden Schuljahr sind mehr als 20.500 Schüler
verbindlich für die Ganztagsschule angemeldet, rund 213
Millionen Euro wird das Land bis 2006 insgesamt für
zusätzliches pädagogisches Personal bereitgestellt haben.
Bei der inhaltlichen Ausgestaltung müssen sich die Schulen an
Rahmenvorgaben halten. Zu den verpflichtenden Elementen
gehören Angebote wie Hausaufgabenbetreuung oder fachbezogene
Vertiefung durch Projekte und Förderangebote sowie
Freizeitangebote unter pädagogischer Anleitung. In der
Pestalozzi-Grundschule im pfälzischen Eisenberg etwa steht am
Nachmittag "therapeutisches Ringen und Raufen" auf dem Stundenplan.
"Wir lernen, wie man richtig fällt, ohne sich weh zu tun",
erklärt der siebenjährige Janik, dem das Angebot gut
gefällt. Die Schwerpunktschule für beeinträchtigte
Kinder ist ein Vorreiter mit Modellen für offenen und
individualisierten Unterricht. Lehrer, Sozialpädagogen und
Eltern arbeiten Hand in Hand. Das Ganztagskonzept scheint den
Eisenbergern wie auf den Leib geschnitten. Schulleiter Markus
Fichter konnte eine Vielzahl der Dorfvereine für das Projekt
als Kooperationspartner für den Nachmittag gewinnen - von der
Blaskapelle bis zur regionalen Künstlergruppe.
Die Einbindung solcher außerschulischer Gruppen ist ein
weiteres Merkmal des rheinland-pfälzischen Ganztagsmodells.
Die Partner leisten Unterrichtsergänzung in Form von
Arbeitsgemeinschaften und Projekten. So wird am Nachmittag Theater
gespielt, der Mofa-Führerschein erworben oder ein
Erste-Hilfe-Kurs absolviert. Ministerin Ahnen sieht diese
Verknüpfung mit dem Schulumfeld nicht nur aus
Kostengründen positiv. Wenn Vereine in die Schule kämen,
sei dies ein Beitrag "zur Öffnung der Schule".
Zufriedene Eltern
Ganz neue Erkenntnisse vermittelt die Ganztagsschule auch den
Lehrkräften. Neben verstärkter Teamarbeit und
erhöhtem Organisationsaufwand macht so mancher Pädagoge
erstaunliche Beobachtungen. Für viele Lehrer war es
beispielsweise ein neues Erlebnis, ihren Schülern beim Essen
zuzuschauen. "Sie sahen, dass es in der Sekundarstufe I
Schüler gibt, die nicht mit Messer und Gabel umgehen
können, die ein Putenschnitzel in die Hand nehmen, um davon
abzubeißen", berichtet Ottmar Schwinn, Ganztagsschulreferent
im Mainzer Bildungsministerium. Einer Lehrkraft, die nur im
Halbtagsangebot tätig ist, kann so etwas in der Regel nicht
auffallen.
Bei den Eltern hat die stufenweise Einführung der
Ganztagsschule in allen Schularten zu einer hohen Akzeptanz
geführt, auch wenn in vielen Schulen eher anspruchsvolle
Betreuung statt klassischer Unterricht am Nachmittag geboten wird:
Etwa drei Viertel aller Eltern haben sich bei einer Befragung des
Münchener Politik- und Sozialforschungsinstituts "Polis"
über die Organisation und das pädagogische Angebot der
rheinland-pfälzischen Ganztagsschulen "zufrieden" oder "sehr
zufrieden" geäußert. Als Streitpunkt bleibt die Frage,
welches Modell besser für die Kinder ist: Der tatsächlich
ganztägige Unterricht im Klassenverband, bei dem verschiedene
Lernphasen in einem sinnvollen Rhythmus über den Tag verteilt
werden können, oder das jahrgangsübergreifende
Zusatzangebot am Nachmittag. Ahnen hält das
Klassenverbandsmodell in der Organisation für deutlich
anspruchsvoller, findet es aber bemerkenswert, dass sich viele
Schulen für das additive Modell entscheiden. "Hier wird es als
pädagogische Chance begriffen, wenn Schüler
außerhalb ihrer angestammten Klasse mit anderen, vielleicht
älteren Schülern gemeinsam arbeiten." Das Ministerium
werde auch weiter beide Modelle zulassen und auf eine
Prioritätensetzung verzichten, betont Ahnen.
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