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Winfried Folz
"Zementsäcke für die Bildung"
Förderprogramm der Bundesregierung für
die Ganztagsschule
Als die Bundesregierung vor gut zwei Jahren ihre
Kampagne zur Förderung von Ganztagsschulen vorstellte, peilte
Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) kein geringeres
Ziel an, als Deutschland innerhalb eines Jahrzehnts zu den
fünf besten Bildungsnationen der Welt zu machen. Die
PISA-Verlierernation solle mit "einer neuen Qualität des
Unterrichts und mehr individueller Förderung" zum
Bildungsmusterland mutieren, schraubte Bulmahn bei der
Startkonferenz im September 2003 die Erwartungen in enorme
Höhen.
Aufzuholen gilt es freilich eine ganze Menge
in Deutschlands Schulen: In der Förderung von Kindern aus
sozial schwachen Familien verdient die Bundesrepublik kaum Besseres
als die Note sechs. Die Zahl der Schüler, die schlecht lesen
und rechnen, hat sich seit der letzten Pisa-Runde vor drei Jahren
nicht verringert. Jeder zehnte Jugendliche verlässt die Schule
ohne Abschluss. Den Kultusministern ist längst klar, dass das
Schulsystem sozial gerechter und die Schülerleistungen
gesteigert werden müssen.
Wie kann dies besser gelingen, als in einer
Schule, die sich Zeit nimmt für die Schwachen, und die den
Gescheiten Entfaltungsmöglichkeiten bietet, fragten sich die
Kultusminister in Bund und Ländern und gaben sich selbst die
Antwort: in einer Ganztagsschule. Am Ende der Überlegungen
präsentierte die rot-grüne Regierung das nach eigenen
Angaben größte bundesweite Schulprogramm, das es in
Deutschland je gab: Die Bundesregierung stellt den
Bundesländern in den Jahren 2004 bis 2007 insgesamt vier
Milliarden Euro aus dem Versteigerungserlös der UMTS-Lizenzen
zur Förderung der Ganztagsschulen in Aussicht. Jedes Land
erhält seinen Anteil proportional zur Anzahl der Schüler.
Um nicht die Bildungshoheit der Länder anzutasten, steht das
Geld aus Berlin nur für den Ausbau der Infrastruktur zur
Verfügung, also etwa für Küchen, Bibliotheken oder
Computerräume - für die Personalkosten müssen die
Länder aufkommen.
Nach anfänglicher Zurückhaltung
greifen die Länder mittlerweile in den Topf, wenn auch in
höchst unterschiedlichem Maße. Gemessen am Anteil, der
ihnen zusteht, haben von den Flächenländern
beispielsweise die Länder Thüringen (79 Prozent der
Fördersumme) und Rheinland-Pfalz (66 Prozent) die meisten
Mittel des Bundes in Anspruch genommen. Dem Geld aus Berlin zeigten
dagegen Hessen (sechs Prozent) und Sachsen-Anhalt (ein Prozent) die
kalte Schulter. Bis Ende 2004 wurden von insgesamt 1,3 Milliarden
Euro nur rund 345 Millionen Euro ausgezahlt. Nach offiziellen
Angaben des Bundesbildungsministeriums verfügen im laufenden
Schuljahr rund 8.000 Schulen über ein Ganztagsangebot. Auch
hier zeigt sich: Die Bildungslandschaft in Deutschland ist
zerklüftet. Während Bayern und Baden-Württemberg nur
zögerlich den Ausbau der Ganztagsschule in Angriff nehmen,
kann man in Thüringen oder Sachsen fast von einem
flächendeckenden Angebot sprechen. Als Ziel angepeilt hat die
Bundesregierung die Gesamtzahl von 10.000 Ganztagsschulen bis zum
Jahr 2007.
Vereinbarkeit von Beruf und
Familie
Für die frühere
nordrhein-westfälische Bildungsministerin Ute Schäfer
(SPD) ist der Ausbau der Ganztagsschulen ein gelungenes
Gemeinschaftsprojekt, bei dem Bund und Länder Hand in Hand
gingen. Die Länder stellten die Mittel für das
nötige zusätzliche Personal im Ganztagsbetrieb bereit,
und die Bundesregierung finanzierte die Investitionen, mit denen
die Schulträger ihre Schulen für einen attraktiven
Ganztagsbetrieb umbauen konnten. "Das ist ein gutes Beispiel
dafür, wie gemeinsam eine wichtige Reform vorangebracht wird -
im Interesse von Kindern aber auch von Eltern, für die Beruf
und Familie besser miteinander vereinbar werden", so
Schäfer.
Das "Bikini-Modell"
Nicht überall rief der Berliner
Vorstoß ein so positives Echo hervor wie unter der ehemaligen
rot-grünen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Hessens
Kultusministerin Karin Wolff (CDU) giftete anfangs, der Bund wolle
nur die Zementsäcke für die Schulen bezahlen, sich aber
ansonsten schadlos halten. Doch ein Bauantrag für eine
Cafeteria mache noch keine Ganztagsschule, spielte Wolff auf die
Praxis des Bulmahn-Ministeriums an, bereits eingehende
Förderanträge quasi schon als neue Ganztagsschulen zu
zählen. Schließlich sind nicht wenige Ganztagsschulen
bestehende Einrichtungen, die mit dem Geld aus Berlin lediglich
aufgestockt wurden. Solche Nachrichten riefen noch mehr Kritiker
auf den Plan, etwa die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
(GEW), die zur Überraschung der rot-grünen
Bundesregierung vor "Halbtagsschulen mit Suppenküche und
Verwahrangebot" warnten. Hinter dieser Polemik steckt freilich mehr
als nur ein Körnchen Wahrheit. Denn nicht überall, wo
Ganztagsschule steht, ist nach Meinung von Bildungspuristen auch
Ganztagsschule drin.
Viele Einrichtungen praktizieren nach dem
"Bikini-Modell", wie es der Pädagogikprofessor Heinz
Günter Holtappels einmal formuliert hat: Vormittag und
Nachmittag sind getrennte Einheiten, die nur das Nötigste
abdecken. Während Bildungsexperten und Lehrerverbände wie
der Verband Bildung und Erziehung (VBE) Ganztagseinrichtungen im
Klassenverbund befürworten, zeigt die Praxis, dass das
Ganztagsangebot oft nicht mehr ist als ein Anhängsel in
Betreuungsform am Nachmittag. Dass man auch mit einem solchen
Modell Erfolg haben kann, will die rheinland-pfälzische
Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD) beweisen. Entscheidend ist
nach Überzeugung der Ministerin, deren Bundesland schon 2002
mit dem Aufbau eines flächendeckenden Ganztagschulprogramms
begann, dass eine neue Lernkultur entsteht. "Und das funktioniert
auch", so Ahnen, "wenn am Nachmittag fächerübergreifende
Arbeitsgemeinschaften und jahrgangsübergreifende Projekte
angeboten werden."
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