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Konrad Watrin
Vom alten Psychostress zu einer neuen
Gutsherrenart?
Kritischer Blick auf Praxiserfahrungen junger
Lehrer in Schleswig-Holstein
Der Wechsel von den hehren Hallen der Alma Mater
zu den Niederungen der pädagogischen Täler war für
die meisten jungen Pädagogen bislang vor allem ein Schock. Der
Einstieg ins Berufsleben grenzte oft an seelische Grausamkeit.
"Mein Beileid, dass Sie hier durch müssen, aber zusammen
schaffen wir das." So oder ähnlich lautete oft nach den Worten
eines unlängst Entronnenen - eines 35-jährigen Politik-
und Geschichtslehrers aus Schleswig-Holstein - die
mild-sarkastische Begrüßungsformel für den
Lehrprobe-Kandidaten an einem solchen Tag der Wahrheit.
Neben veralteten Arbeitsbedingungen, der
Gängelung und leistungsfeindlichen Vergütung hat auch der
letzte OECD-Report weniger die Lehrer selber und ihre Moral als
vielmehr die praxisferne Ausbildung in Deutschland angeprangert.
Punktuell wurde daran seit Jahrzehnten in wohl sämtlichen
Bundesländern kuriert. Unter dem Druck der Diskussion ist die
immer wieder mit dem Argument der akademischen Freiheit verteidigte
Ausbildung nun mächtig in Bewegung geraten. So empfiehlt der
Züricher Erziehungswissenschaftler Jürgen Oelkers vor
allem die "Berufseingangsphase" neu zu gestalten. Dies geschieht
nach Auswertung von Erfahrungen aus der Wirtschaft etwa durch
Bildung von "Austauschgruppen", in denen die Nöte und Probleme
der Junglehrer wie in einer Selbsterfahrungsgruppe unter Anleitung
erörtert - und wohl auch therapiert - werden
sollen.
In Schleswig-Holstein, wo die bisherige
rot-grüne Landesregierung in der soeben spektakulär zu
Ende gegangenen Legislaturperiode zusätzlich zu den durch
Pensionierung frei werdenden Stellen weitere 1.000 Lehrer
einstellen wollte, gilt nun Evaluation allenthalben: des
Schulklimas, der Unterrichtsmethoden bis hin zu Eltern- wie auch
Schülermeinungen. Vor allem aber wurde dort nach dem Empfinden
vieler junger Lehrer die Ausbildung vor einem Jahr am
grundlegendsten geändert. An das Lehramtsstudium, das mit dem
Staatsexamen endet und nun auch Pädagogenstoff beinhalten
soll, schließt sich weiter der zweijährige
Vorbereitungsdienst an, an dessen Ende die Zweite
Staatsprüfung steht. Diese zweite Phase jedoch wird nicht mehr
zur Hälfte am Pädagogischen Seminar absolviert, sondern
findet zweigeteilt - nahezu ausschließlich an den rund 100
Gymnasien im Lande wie auch an anderen Schulformen - statt. "Die
jungen Lehrer und Lehrerinnen werden dort durch eine eigens
für diese Aufgabe qualifizierte Ausbildungskraft beraten und
unterstützt", einen Mentor, heißt es beim
"Bewerberlotsen", dem Internet-Wegweiser der Kieler
Regierung.
Die neuen ?Lehrer in Ausbildung' (LiA)
unterrichten eigenverantwortlich zehn Stunden pro Woche. Hinzu
kommen Unterricht unter Anleitung der Mentoren sowie Hospitationen
bei diesen, aber keine Hospitationsbesuche mehr durch die
früheren Fachleiter. Daneben muss ein LiA Veranstaltungen des
so genannten ?Instituts für die Qualitätsentwicklung an
Schulen Schleswig-Holsteins' (IQSH) absolvieren. Das IQSH ist
für die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Lehrer
zuständig, nachdem die bisherigen fünf Seminare in den
Landesbezirken praktisch abgeschafft worden sind. Die
Ausbildungsveranstaltungen sind Wahl- und Pflichtkurse, als Module
vom IQSH online angeboten. Die Anwärter werden noch zentral
von Kiel als Beamte auf Widerruf in den Landesdienst eingestellt
und erhalten Anwärterbezüge nach dem
Bundesbesoldungsgesetz, deren Grundbetrag zwischen 800 und 1.000
Euro im Monat liegt. Daneben sind wie in anderen Bundesländern
auch "Quer- und Seiteneinsteiger" mit "schulrelevanten
Fächern" wie der IT-Branche gefragt, die ursprünglich
nicht "auf Lehramt" studiert haben.
Besuche durch die einst mehr oder minder
gefürchteten Fachleiter, die anderweitige Verwendung in
Schulen oder IQSH fanden, die jedoch ebenso erfahren und meist auch
fair genug waren, den existenziellen Psychostress der Kandidaten
abzufedern, entfallen nun bis auf die Abschluss-Lehrprobe. Kritiker
wie ein junger Politiklehrer sehen in der Einsparung dieser
Direktorenposten freilich einen Hauptgrund der Reform. Doch
handelte es sich bei der alten Referendarausbildung - und wer dies
durchmachte, war "fürs Leben gestählt" oder aber
beschädigt - um eine monatelange demütigende Situation.
Eine 31-jährige Deutschlehrerin: "Der Kandidat wurde
ständig beobachtet: In acht Lehrproben innerhalb von zwei
Jahren, wobei auf den hintersten Stühlen neben dem Schul- und
Fachleiter auch noch die übrigen Referendare des Semesters
Platz nahmen."
Abhängig vom Gutdünken?
Die Benotung der LiA obliegt nun nicht den
Mentoren, sondern vor allem den - ohnehin notorisch
überlasteten - Schulleitern. Insgesamt werden neben zwei
schriftlichen Hausarbeiten vor allem die Lehrproben begutachtet.
Daneben gibt der Schulleiter, der nun der Prüfungskommission
angehört, eine Dienstbeurteilung über den Kandidaten ab,
testet ihn oder sie im Schulrecht sowie einem weiteren
Gespräch im Anschluss an die Lehrprobe. Wie im übrigen
Ausbildungsleben auch gilt daher: gerät LiA an einen Direktor,
der ihm oder ihr liegt, ist alles prima. Wenn nicht, befinde man
sich im verstärkten Abhängigkeitsverhältnis wie
weiland beim alten Gutsherrn, fürchten alle Befragten. Durch
die online-Verteilung der Kurse über das ganze Land indes
sollte zudem die bisherige Fahrerei der pädagogischen Azubis
zu den ehemals fünf Seminar-Stätten entfallen. Doch
zeichnet sich hier nach Aussage einer jungen Mentorin ein neues
Problem ab: "Die LiA melden sich vorsorglich in mehr IQSH-Modulen
an als erforderlich, sodass manchem das Wunschseminar verschlossen
bleibt - und er somit unter Umständen sogar noch erheblich
weiter zu den Veranstaltungen kutschieren muss."
Ein nicht unerhebliches psychologisches
Problem der Technokratisierung jedoch dürfte eine typische
Nebenfolge aller modernen Internet-Beschäftigung sein: die
Vereinsamung. Konnte man früher gerade im Kontakt mit den
Leidensgenossen am Seminar seine seelischen Nöte und
Ängste abbauen, wenn man sich als 30-Jährige/-r erneut in
die Schülerrolle versetzt sah, so bleibt heute wohl die
Hoffnung auf einen "netten" Managing Director als Schulleiter.
Manchem von ihnen wird nachgesagt, gemäß den
erhöhten Entscheidungsbefugnissen am liebsten auch "seine"
Kandidaten gleich selber einstellen zu wollen.
Noch ist es zu früh über das neue
System zu urteilen. Zumal an den Schulen noch nicht genügend
Ausbildungskräfte zur Verfügung stehen. Die Freiwilligen
müssen erst in Extrakursen ausgebildet werden. Auch die
Schulen müssen eigene Konzepte zur sinnvollen Einbindung der
jungen "Hilfslehrer" erarbeiten. Da bleibt ausreichend Zeit, um bis
zum Ende der laufenden Pensionierungswelle etwas zu nutzen, von dem
in der gegenwärtigen Zeit kaum mehr die Rede zu sein scheint:
die Erfahrung der Älteren.
Der Autor ist Gymnasiallehrer und freier Journalist in
Aumühle, Schleswig-Holstein.
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