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Margret Kiosz
Konzepte für die "Horrorfächer"
"SINUS & Co." - Mathematik, Chemie und
Physik
Vorsicht: Formeln und Zahlen! Für
Generationen von Schülern ist Mathematik in der Schule das
Horrorfach schlechthin, gefolgt von Physik und Chemie. Bei der
Suche nach den Ursachen wurden die Forscher schon in den
späten 80er-Jahren fündig: Der
mathematisch-naturwissenschaftliche Unterricht sei zu
lehrerzentriert. Als problematisch erwies sich insbesondere das in
Deutschland verbreitete Grundmuster der Unterrichtsgestaltung, der
so genannte fragend-entwickelnde Unterricht mit zielgerichteten und
kurzen Fragen, bei denen den Schülern meist lediglich eine
"Ein-Wort-Antwort" abverlangt wird. Diese Unterrichtsform
lässt den Lernenden wenig Raum für das
selbstständige Erarbeiten eigener
Problemlösungsstrategien. Kurzum: Der Unterricht ist zu
abstrakt, zu wenig an der Alltagswelt der Heranwachsenden
orientiert, so das Fazit der Experten.
Doch erst die TIMSS-Studie, ein
Vorläufer der PISA-Studie, rüttelte Politik und
Wissenschaft wach. TIMSS (Third International Mathematics and
Science Study) bescheinigte 1997 den Nachfahren von Einstein und
Planck im internationalen Vergleich miserable Leistungen in Mathe,
Physik und Chemie. Zwar konnten die deutschen Schüler
Gleichungen leidlich lösen und chemische Formeln
erklären. Sobald es aber um die Anwendung des Gelernten auf
neue Situationen ankam, versagten sie kläglich. Ein Schock -
lange vor PISA.
Als Reaktion auf die Befunde von TIMSS wurde
1998 ein überregionales Förderungsprogramm aufgelegt: Das
BLK-Programm "Steigerung der Effizienz des
mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts", kurz "SINUS"
genannt. Die Federführung übernahm das Institut für
die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) an der
Universität Kiel zusammen mit dem Staatsinstitut für
Schulpädagogik und Bildungsforschung (ISB) in München
.
Beschreiben und verstehen
Am SINUS-Modellversuch nahmen zunächst
180 der 39.000 Schulen aus fast allen Bundesländern teil, die
in 30 Schulsets mit je einer Pilotschule und weiteren fünf
Schulen aufgeteilt waren. Innerhalb dieser Schulsets wurden neue
Unterrichtsmethoden und Materialien entwickelt und erprobt. Ziel
des auf fünf Jahre angelegten Modellversuches war es,
mathematisch-naturwissenschaftliche Aufgabenstellungen zu finden,
die den Schülern vielfältige Möglichkeiten bieten,
ihren Fähigkeiten und Interessen entsprechend
eigenständig zu lernen, das heißt sich aktiv mit dem
Stoff auseinanderzusetzen, Wissen problemlösend zu erarbeiten
und übend zu festigen. Wie das konkret aussieht, zeigten
Schüler in Schleswig-Holstein. Auf die Frage: "Wie misst man
mit einem Maßband die Höhe eines Baumes, der Schatten
wirft?" entwickelten sie mehrere Lösungswege, schrieben
mathematische Aufsätze, um Zusammenhänge zu verstehen,
lernten auch durch ihre Fehler. Im Mittelpunkt des Unterrichts
stand Beschreiben und Verstehen statt Formeln auswendig zu lernen.
Manfred Prenzel, Direktor des für das SINUS-Programm
zuständigen IPN in Kiel: "Es mag banal klingen, aber
vielleicht ist das der größte Erfolg von SINUS: An
Schulen wurde erstmals ausführlich über den Unterricht
geredet, um ihn Stück für Stück zu verbessern." Die
Fachlehrer wurden sich dadurch über Aufgaben, Prioritäten
und Ziele ihres Unterrichtes klar. Und noch viel wichtiger: Aus
klassischen "Einzelkämpfern" wurden pädagogische
Teams.
Hunderte von Pädagogen krempeln seit
SINUS ihren Unterricht um. Statt feste Lösungswege vorzugeben
lassen sie die Schüler seitdem selbst knobeln und
Kreativität entwickeln. Eingegriffen wird erst, wenn es nicht
mehr weiter geht. Die Aufgaben sind aus dem Alltag der Schüler
gegriffen und werden, sofern möglich,
fächerübergreifend behandelt. Neuntklässler in
Berlin erkunden am Beispiel des Fliegens physikalische
Phänomene, studieren beim Bau eines Heißluftballons die
Auswirkungen von Druck und Kraft, beobachten beim Ausflug in die
Natur die Lebensweise von Vögeln und vergleichen deren Flug
mit dem von Papierfliegern.
Der Erfolg dieser neuen Lehr- und Lernkultur
blieb nicht aus. Das Interesse von Schülern an Mathematik und
Naturwissenschaften und auch ihre Leistungen verbesserten sich, wie
die Evaluation der beteiligten Institute zeigten. Selbst die Eltern
sind begeistert. Kein Wunder also, dass viele Schulen inzwischen in
ihren Schulprogrammen mit ihrer Teilnahme am SINUS-Projekt werben.
Zudem änderte sich die grundlegende Einstellung der
Lehrkräfte zum Lehren und Lernen. 2003 wurde deshalb das
Folgeprojekt "SINUS-Transfer" gestartet, bei dem rund 1.000 Schulen
mitmachen. Erfahrene SINUS-Lehrkräfte fungieren dabei als
Fortbilder an der "neuen" Schule und bringen das Modell im
Schneeballsystem durch die Republik. 2005 gab die
Bund-Länder-Kommission (BLK) dann grünes Licht für
die dritte Stufe, an der 4.000 Schulen teilnehmen.
Nachdem bislang nur Schulen der Sekundarstufe
I beteiligt waren, also die Klassen fünf bis zehn der
weiterführenden Schulen, wurde im August 2004 erstmals auch
ein fünfjähriges SINUS-Transfer-Modell für die
Grundschulen aufgelegt, an dem fast alle Bundesländer
teilnehmen. Auch in den Klassen eins bis vier sollen künftig
erste Zugänge zum naturwissenschaftlichen Denken und Arbeiten
durch lebensweltbezogene Problemstellungen und Projekte zum
Beobachten, Erkunden, Experimentieren ermöglicht werden.
Langfristig, so das Ziel der Bildungsplaner, soll die neue Art
Mathe und Naturwissenschaften zu unterrichten, alle deutschen
Schulen erfassen.
Finanzierung aus dem
Bundeshaushalt
Finanziert wird SINUS seit Beginn aus dem
Bundeshaushalt. Allein für die zweite und dritte Stufe wurden
33 Millionen Euro bereit gestellt. Das Bundesministerium für
Bildung und Forschung (BMBF) fördert darüber hinaus auch
andere Projekte, deren Hauptanliegen darin besteht, das
naturwissenschaftliche Interesse von Kindern und Jugendlichen zu
fördern und die Qualität des Unterrichts nachhaltig zu
verbessern. Zum Beispiel das Projekt "Chemie im Kontext" (ChiK).
Hierbei geht es ähnlich wie bei SINUS um die Einführung
und Umsetzung innovativer Unterrichtskonzeptionen. Das Projekt
Physik im Kontext (PiKo) wird ebenfalls vom BMBF für den
Zeitraum 2003 bis 2006 finanziell gefördert und von einer
Forschergruppe unter Federführung des IPN Kiel umgesetzt.
Entwickelt, erprobt und evaluiert werden innovative
Unterrichtskonzepte für unterschiedliche Schulstufen im Rahmen
von kontextbasierten Zugängen zur Physik und zu modernen
Technologien. PiKo will vor allem die Aufgeschlossenheit von
Schülerinnen und Schülern gegenüber physikalischen
und technischen Fragestellungen steigern und reagiert mit
praxisorientierter Projektarbeit auf die Ergebnisse von Studien wie
TIMSS und PISA.
Nur der Streit in der
Förderalismuskommission über die Zuständigkeit in
der Bildungsplanung könnte das Erfolgsmodell "SINUS & Co."
noch gefährden. Einige Länder sehen die BLK-Modell als
Einfallstor des Bundes in die Kulturhoheit der
Länder.
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