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Karl-Otto Sattler
Die Debatte über Konsequenzen steht jetzt
erst am Anfang
Sinkende Schülerzahlen in den alten
Bundesländern
Eltern, Lehrer, Schüler, Steuerzahler,
hört die dissonanten Signale! Im Saarland wird
spektakulär fast ein Drittel aller Grundschulen geschlossen,
weil sich Steppkes im Unterricht dünne machen. Trotz eines
sich à la longue abzeichnenden Rückgangs der
Schülerzahlen bleiben die Bayern hingegen gelassen.
"Irgendwelche organisatorischen Maßnahmen sind nicht geplant",
heißt es im Kultusministerium. Baden-Württembergs
CDU-Ressortchefin Annette Schavan singt das Hohelied auf
jahrgangsübergreifendes Büffeln in Grund- und
Hauptschulen, um deren Standorte auch in ländlichen Regionen
aufrechtzuerhalten - ihrem Saarbrücker Parteifreund
Jürgen Schreier indes sind solche Kombiklassen ein Graus.
Aus pädagogischen Motiven läuft
wiederum in Bremen unter SPD-Bildungssenator Willi Lemke und in
Hamburg unter der CDU-Ministerin Alexandra Dinger-Dierig nach und
nach in Grundschulen ein integriertes Lernen in zusammengefassten
Klassenstufen an - was den Nebeneffekt hat, auch den
Schülerrückgang besser handhaben zu können. Wegen
ausbleibenden Nachwuchses bauen das Saarland und Bremen angesichts
überschuldeter Etats Lehrerstellen ab, was im finanziell
besser ausgestatteten Hamburg nicht geplant ist.
Allerorten kämpften
Bürgerinitiativen mit Protestmärschen, Fackelumzügen
und Mahnwachen für die Rettung der "Schule im Dorf", Eltern
organisierten Schulstreiks, Massendemos pilgerten durch
Saarbrücken, 30.000 Unterschriften standen unter einem auch
von SPD, Grünen und FDP gestützten Antrag auf ein vom
Innenministerium mit juristisch umstrittenen Gründen
abgelehntes Volksbegehren: Aller Widerstand nutzte nichts, die
regierende CDU mit Ministerpräsident Peter Müller
beschloss aus demographischen Erwägungen und wegen des
Spardrucks die Schließung von 80 der 270 Grundschulen - ein
Paukenschlag, der in den alten Ländern ohne Beispiel ist.
Künftig wird es nur noch mindestens zweizügige
Grundschulen geben. Beendet ist der Streit im Übrigen noch
nicht. Gegen das neue Gesetz reichten SPD und Grüne
Verfassungsklage ein. Jörg Dammann als Vorsitzender der
Landeselternvertretung (LEV) kündigte Unterschriftensammlungen
für ein zweites Volksbegehren an. Die LEV schaltete den
Verfassungsgerichtshof ein, um die Zurückweisung der ersten
Volksinitiative durch die Regierung überprüfen zu
lassen.
Was im Osten schon lange an der Tagesordnung
ist, hat der Konflikt an der Saar erstmals auch im Westen massiv
zum Thema gemacht: Welche Konsequenz ist aus sinkenden
Schülerzahlen zu ziehen? Die Antwort fällt föderal
bunt aus - wobei sich die Debatte vorerst weitgehend auf
Grundschulen konzentriert, während östlich der Elbe wegen
Geburtenrückganges und Abwanderung bereits weiterführende
Einrichtungen dicht gemacht wurden und werden. Plötzlich wird
über jahrgangsübergreifenden Unterricht diskutiert. Wird
aus demographische Not pädagogische Tugend?
Stohren ist ein schönes Ausflugsziel,
viele Wanderer lockt dieses Dörfchen auf
Schwarzwaldhöhen. Viel mehr macht diese Ecke unweit von
Freiburg freilich nicht her, da sagen sich Fuchs und Hase "Gute
Nacht". Gleichwohl hat es Stohren dank Schavan in der
Bildungspolitik bundesweit zu Prominenz gebracht: Oft rühmt
die CDU-Politikerin die dortige Zwergschule als Musterbeispiel
für erfolgreichen jahrgangsübergreifenden Unterricht.
Elmar König, Sprecher des Ministerin: "Pädagogisch wirft
das keine Probleme auf, man kann mit der Binnendifferenzierung in
verschiedenen Lerngruppen operieren."
Angesichts des sich abzeichnenden
Rückgangs der Schülerzahlen betont Schavan, "am Prinzip
der wohnortnahen Grund- und Hauptschulen insbesondere im
ländlichen Raum" festhalten zu wollen. Zu diesem Konzept
gehört neben ein- und zweizügigen Schulen gegebenfalls
auch die Einrichtung von Kombiklassen der Stufen eins und zwei
sowie drei und vier. Allerdings stellt sich diese Aufgabe in Baden
und Schwaben erst mit Verzögerung: Die Zahl der Erst- bis
Viertklässler wird von momentan 443.000 auf 456.000 im Jahr
2007/2008 klettern, um von da an bis 2015 auf 374.000 zu
sinken.
Die Gesamtzahl der Schüler in Bayern
wird von jetzt rund 1,4 Millionen bis 2015 auf 1,2 Millionen
abnehmen - doch so wenige waren es schon mal Mitte der 80er-Jahre,
man hat also Erfahrung. Vor 20 Jahren rückten 103.000
Mädchen und Buben mit der Schultüte zum Ernst des Lebens
an, in zehn Jahren werden es 106.000 sein, derzeit üben sich
127.000 Erstklässler im Lesen und Schreiben. Im
Kultusministerium sieht man sich für alle Eventualitäten
gewappnet: Auch die Möglichkeit, bislang an Grundschulen noch
seltene Kombiklassen in ländlichen Regionen vermehrt
einzurichten, ist im Gesetz verankert.
An der Saar sinken die Schülerzahlen
weitaus drastischer als im Süden der Republik: 1997 pilgerten
noch 12.000 Erstklässler zum Unterricht, im Herbst werden es
noch 9.000 sein, 2009 gar nur 8.000 - ein Schwund von einem
Drittel. Die Fixierung auf zweizügige Grundschulen und die
Absage an einzügige Einrichtungen wie an Kombiklassen sei
"natürlich auch eine Frage des Sparzwangs", wie Minister
Schreiers Sprecherin Annette Reichmann sagt. Das Aus für 80
Grundschulen soll den Landesetat um jährlich zehn Millionen
Euro entlasten. Ausgaben kürzen, das Schüleraufkommen in
Rechnung stellen, trotzdem etwas für die
Qualitätsverbesserung durch eine Aufstockung der Stundenzahlen
tun: "Das ist ein Spagat", so Reichmann. Keinen Glauben schenkt
Klaus Kessler, Vorsitzender der Saar-GEW, den Versprechungen von
mehr "Qualität": In den größeren Klassen hätten
Lehrer weniger Zeit für die individuelle Betreuung.
In Nordrhein-Westfalen kalkuliert man
angesichts eines mäßigen Sinkens der Zahlen bei
Erstklässlern, erst von 2010 an wird sich dieser Prozess etwas
beschleunigen, von Ausnahmen abgesehen vorerst nicht mit
Grundschulschließungen. In Niedersachsen dürften 2020
rund 300.000 Jungen und Mädchen die Grundschulbänke
drücken, momentan sind es 355.000. In den nächsten Jahren
werden auf dem Land vielleicht einige Grundschulen organisatorisch
unter einem Rektor zusammengefasst, bleiben aber als
"Außenstellen" wohnortnah erhalten. In Rheinland-Pfalz
verminderte sich die Zahl der Erstklässler von 44.500 (1999)
auf jetzt 42.000 nur maßvoll, erst drei von knapp 1.000
Grundschulen wurden geschlossen. Bis 2015 sollen die Einschulungen
aber um 18 Prozent zurückgehen. Die Neuorganisationen werden
den Schulträgern vor Ort überlassen.
"Kurze Beine, kurze Wege": Dieses Prinzip
soll, so Kultusministerin Karin Wolff, für hessische
Grundschulen auch in Zukunft gelten, selbst wenn "die
Schülerzahlen gerade im ländlichen Raum dramatisch
zurückgehen werden". Rettungsanker für den Erhalt
möglichst vieler Standorte ist der "flexible Einstieg":
Grundschulen können die Jahrgangsstufen eins und zwei zu einer
"pädagogischen Einheit" zusammenfassen, die von den Kleinen je
nach Leistungsfähigkeit in ein bis drei Jahren durchlaufen
werden. Teilweise sollen wie in Niedersachsen mehrere Grundschulen
mit gemeinsamer Verwaltung und verschiedenen Dependancen
zusammengeführt werden. Nach den Prognosen vermindert sich die
Zahl der Erstklässler von jetzt 60.000 bis 2015 auf 55.000,
was nicht dramatisch klingt. Allerdings: Während man in der
Rhein-Main-Region mit Zuwächsen rechnet, weist der Trend in
Nordhessen schon seit Jahren nach unten. Für
weiterführende Schulen hat Wolff
Mindestklassengrößen festgelegt: Um Schließungen zu
vermeiden, soll eine "Schülerlenkung" zwischen stark und
schwach ausgelasteten Einrichtungen eine bessere Nutzung des
Lehrpersonals erlauben.
Neu gemischt werden unter der großen
Koalition die Karten in Schleswig-Holstein. Im Norden dürfte
die Zahl der Erst- bis Viertklässler von momentan 118.000 bis
2015 auf 92.000 fallen. Nach den Plänen von Rot-Grün
sollte über eine zunächst räumliche und dann
inhaltliche Kooperation von Grund-, Haupt- und Realschulen unter
einem Dach nach und nach die "ungeteilte Schule" bis zur neunten
Klasse heranwachsen. So wollte man auch den
Schülerrückgang auffangen. Nun aber soll diese
Gemeinschaftsschule vorwiegend aufs Hamburger Umland
beschränkt bleiben, ansonsten bleibt es beim dreigliedrigen
System - und zu welchen Konsequenzen dort die sinkenden
Schülerzahlen führen, muss sich noch erweisen.
Gelassen zeigt man sich in den Stadtstaaten.
In Hamburg wird die Zahl der Erstklässler in den nächsten
Jahren annähernd stabil bleiben, in Bremen wird das Aufkommen
an Grundschülern von jetzt 19.000 auf 17.800 im Jahr 2010
zurückgehen. Neuorganisationen des Schulwesens haben nichts
oder nur am Rande mit demographischen Trends zu tun. Indes
gehören Hamburg und Bremen zu den Vorreitern beim
jahrgangsübergreifenden Unterricht in den ersten Klassen - was
das Problem des Schülerrückgangs zu entschärfen
hilft. "So können Kinder individueller je nach Leistungsniveau
gefördert werden", meint Rainer Gausepohl, Sprecher des Bremer
Senators Lemke. In Rheinland-Pfalz plädiert die CDU für
eine flexible Eingangsstufe bereits ab fünf Jahren und
für altersgemischte Lerngruppen. Zwar ist der
saarländische GEW-Politiker Kessler skeptisch gegenüber
einer Einschulung schon mit fünf Jahren, sieht aber in
Kombiklassen "in pädagogischer und in qualitativer Hinsicht
einen Gewinn für alle".
Saar-Minister Schreier begründet das Aus
für 80 Grundschulen nicht nur mit demographischen und
finanziellen Erwägungen, sondern führt gegen Kombiklassen
auch prinzipielle Einwände ins Feld: Die "Begabungsstreuung"
werde noch größer, zudem herrsche dort wegen der
jährlich neuen Mischung "völlige Unruhe".
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