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Jutta Witte
Editorial
Diskussionen über die richtige Ausbildung von Kindern sind
so alt wie der Unterricht selbst. Ganz und gar verdummt würden
die jungen Leute in der Schule, regte sich schon der römische
Schriftsteller Gaius Petronius im ersten Jahrhundert nach Christus
auf: "Von der Wirklichkeit hören und sehen sie dort nichts."
Jahrhunderte später legte der Aufklärer Voltaire nach und
konstatierte einen Ballast unnützer Kenntnisse, unter denen
der Verstand der Kinder ersticke. Und der Kinderbuchautor Erich
Kästner verwies darauf, dass man Schüler nur dann
vernünftig erziehen könne, "wenn man zuvor die Lehrer
vernünftig erzieht".
Fehlender Praxisbezug, falsche Unterrichtsinhalte und eine
Lehrerausbildung, die an der Realität vorbei geht: Die
angeführten Zitate verweisen nur auf wenige, aber
entscheidende Sollbruchstellen, an denen "gute Schule" offenbar
nicht erst in den letzten Jahren gescheitert ist. Zu ergänzen
wären unter anderem ein durch die föderale Struktur
Deutschlands zu erklärender schulpolitischer Flickenteppich
und die Schwierigkeiten, den Stärken und Schwächen der
einzelnen Schüler gerecht zu werden. Die Reformfreudigkeit an
Deutschlands Schulen jedenfalls hielt sich stets in Grenzen, eine
"alternative" Pädagogik, wie sie an Waldorf- oder
Montessorischulen angewandt wird - um nur zwei Beispiele zu nennen
- galt lange als exotisch und war im übrigen für viele
Familien nicht zu bezahlen. An den wenigen staatlich
unterstützten Reformschulen übersteigt die Nachfrage bis
heute bei weitem das Angebot.
Mit der Veröffentlichung der ersten PISA-Studie wurde die
Republik vor vier Jahren aufgerüttelt, weil nun die
Mängel des deutschen Schulwesens schwarz auf weiß
dokumentiert wurden. Plötzlich galt Bildungspolitik als
Chefsache, zählten die Leistungen von Schülern zu den
harten Standortfaktoren. Plötzlich befassten sich nicht nur
Schüler, Lehrer und Eltern mit dem, was in Deutschlands
Schulen passierte, sondern die gesamte Gesellschaft von den Kirchen
bis zu den Unternehmensberatungen. Die OECD-Studie wurde zur
schulpolitischen Zäsur, die alle zum Handeln zwang und
Maßnahmen salonfähig machte, über die zuvor kaum
Konsens zu erzielen war - etwa die Förderung von
Ganztagsschulen, die Etablierung neuer Unterrichtsmethoden,
zentrale und zwischen allen Bundesländern vergleichbare
Abschlüsse und vor allem: mehr Transparenz.
Besser spät als nie. Denn um auf grundlegende
gesellschaftliche Veränderungen - die Zunahme von
Schülern mit Migrationshintergrund oder die zunehmende Zahl
berufstätiger Frauen und allein erziehender Menschen, die
immer größer werdende Zahl sozial schwacher Familien -
auch schulpolitisch zu reagieren, hätte man auf
Vergleichsstudien und andere Erhebungen nicht warten müssen.
Doch PISA war nicht nur ein Einschnitt, sondern bot auch die
Chance, bereits angedachte oder begonnene Reformen stärker
voranzutreiben oder ganz neue Wege zu gehen.
Diese Chance wurde von allen Beteiligten ergriffen. Bundesweit
verbindliche Bildungsstandards, Qualitätskontrollen, ein
Ganztagsschulprogramm, die differenzierte Förderung vom
frühen Kindesalter an, die Reform der Lehrerausbildung wurden
auf den Weg gebracht. Und auch um eine ernsthafte Debatte über
die Zukunft der einzelnen Schulformen vom traditionell
dreigliedrigen System bis hin zu den integrierten Gesamtschulen
dürften die Schulpolitiker in den kommenden Jahren nicht herum
kommen. Von heute auf morgen einschneidende Verbesserungen zu
erwarten wäre unrealistisch. Deswegen ist es ebenso verfehlt
auf die bisherigen PISA-Ergebnisse mit übertriebener Euphorie
zu reagieren wie mit allzu großem Pessimismus. Deutschlands
Schulen befinden sich mitten in einem Wandel. Diese Themenausgabe
soll zeigen, wie und wo er sich bemerkbar macht.
Die Autorin ist Journalistin, Surpress, Wiesbaden.
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