|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Josef-Thomas Göller
Zähe Verteidigung von Bastionen
Die arabische Welt in Vielfalt und
Einheit
Islam im modernen Staat - das ist in erster Linie ein Problem
der Länder mit islamischer Bevölkerung", konstatiert der
Tübinger Wissenschaftler Heinz Halm in seinem hervorragenden
Beitrag über den Islam in Europa. Islam, das ist vor allem die
Religion der Araber, organisiert in 22 Staaten. Einer der namhaften
deutschen Experten, Udo Steinbach, sieht die ganze Region "unter
dem Druck eines machtpolitischen Gestaltungswillens der USA, der
letztlich den wirtschaftlichen Interessen des Westens dient". Damit
folgt er der Argumentation islamischer Fundamentalisten, die die
gesamte Misere in Nahost den USA anlasten, um billig von eigenen
Schwächen und Unzulänglichkeiten ihrer Völker und
Regierungen abzulenken.
Seit dem Terroranschlag auf Amerika ist deutlich geworden, dass
die amerikanische Nahost-Politik eben nicht nur von
wirtschaftlichen, sprich energiepolitischen Interessen geleitet
ist, sondern auch von ideologischen. Was sich in keinem der
Beiträge findet, ist die Tatsache, dass der amerikanische
Präsident mit der Invasion des Iraks den jahrzehntelangen
starren Status quo beendet hat und die islamische Welt letztendlich
demokratisieren möchte, damit von ihr keine Gewalt mehr
ausgeht. Das ist keine "undifferenzierte amerikanische
Machtpolitik", wie die beiden Herausgeber im Vorwort schreiben,
sondern eine sehr gezielte.
Wohl aber trifft zu, was Steinbach und andere Autoren
festhalten: Die Ausbreitung der westlichen Kultur und Gesinnung im
Zuge der Handelspolitik mit den islamischen Ländern wird von
radikal-islamischen Konservativen als Bedrohung der islamischen
Religion und Kultur verstanden und aktiviert dadurch Widerstand auf
breiter Ebene. In der überwiegenden Mehrheit sind es die
arabischen Männer, nicht ihre Frauen, die sich von westlichen
Einflüssen bedroht fühlen und um ihre althergebrachten
Privilegien im Umgang mit dem "schwachen Geschlecht" bangen.
Gegen globale Trends
Mehrere Beiträge arbeiten diese Hintergründe
anschaulich heraus. Die Autoren konzentrieren sich auf die
politischen Systeme der Region und auf ihren Widerstand
gegenüber dem globalen Trend der Demokratie-Ausbreitung.
Eberhard Kienle zeigt auf, wie sich die politische Sphäre
bisher von den externen Einflüssen abschotten konnte. Er
skizziert die politischen Strukturen der arabischen Welt mit ihren
vielfältigen autoritären Merkmalen und den Ursachen ihrer
bisherigen "Demokratie-Resistenz".
Lutz Richter-Berneburg geht aus geistesgeschichtlicher
Perspektive der Frage nach, warum die seit 1948 weltweit
anerkannten Menschenrechte in der islamischen Welt keine
nennenswerte Resonanz gefunden haben. Dabei geht es im Kern um die
Frage der Vereinbarkeit von wörtlich genommenem Islam - also
so, wie er im Koran zum Ausdruck kommt - und säkular
begründeten universellen Werten. Renate Kreile analysiert die
Geschlechterbeziehungen im Vorderen Orient und zeigt, welchen
positiven und negativen Einflüssen der Globalisierung sie
unterliegen.
Männer und Frauen werden hin- und hergerissen zwischen den
Werten ihrer traditionellen muslimischen Solidargemeinschaft und
den westlichen Einflüssen, die Individualismus und
Selbstverwirklichung verbreiten. Ihre Aussage, es seien "vor allem
Angehörige der höheren Schichten, die in beiden Lagern
Emanzipationserfolge" erzielten, ist einmal mehr Grund, über
eine bildungspolitische Entwicklungshilfe für die Region
nachzudenken. Gefragt sind Lehrer und Didaktiker.
Mit der Kampfansage der modernen Islamisten an den Rest der Welt
befaßt sich Reinhard Schulze. Aus seiner Sicht ist der
orientalische Widerstand nun selbst Teil des Globalismus, der den
Westen auf eigenem Terrain herausfordert. Hervorzuheben für
die aktuelle Islam-Diskussion in Deutschland sind Schulzes Hinweise
auf die "Double Standards" - mit anderen Worten: auf die Heuchelei
im Westen. Was vor allem die Zeitschriften "Focus" mit "Unheimliche
Gäste" und "Der Spiegel" mit der Titelgeschichte "Allahs
rechtlose Töchter" - beide vom November 2004 - eindrucksvoll
vorgeführt haben, sieht Schulze anhand weiterer Beispiele aus
Kirche, Politik und Medien bestätigt: wie in der
Auseinandersetzung mit dem Islam "auf den alten orientalischen
Klischees" aufgebaut und letztlich "die Überlegenheit des
Abendlandes beschworen" wird. Auch wenn mancher Beitrag aufgrund
der ständig im Fluss befindlichen Nahost-Politik nicht mehr
aktuell ist und Autoren wie Steinbach, Helga Baumgarten und Martin
Beck überkommene Standard-Klischees in Bezug auf den Einfluss
der USA und das "Bedrohungspotenzial Israels" weitertragen, bietet
die Aufsatzsammlung insgesamt einen wichtigen Überblick
über die aktuelle Diskussion um die Zukunft und das Schicksal
des Vorderen Orients. Eine rundum empfehlenswerte Lektüre mit
geballtem Wissen über die arabische Welt.
Peter Pawelka / Lutz Richter-Berneburg (Hrsg.)
Religion, Kultur und Politik im Vorderen Orient.
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004; 190
S.,34,90 Euro
Zurück zur
Übersicht
|