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Claudia Heine
Von alten zu neuen Hebräern
Die größte Schau israelischer Kunst in
Europa im Berliner Gropius-Bau
Es klingt lustig, was die Kunstexpertin Doreet LeVitte Harten
über Israelis, ihre Landsleute, sagt: "Am Morgen sind sie
Europäer, am Nachmittag Orientalen und am Abend mediterran."
Es sei zwar eine merkwürdige und manchmal schwierige
Situation, aber "ich finde es schön, dass die Sachen noch
nicht so fixiert sind. Es gibt keine fest definierte Sicht davon,
wie Israelis sich selber sehen, und das macht die Kultur auch sehr
dynamisch".
Eine Arbeitserleichterung aber ist das nicht unbedingt -
zumindest nicht für die Kuratorin einer so großen
Ausstellung wie "Die Neuen Hebräer. 100 Jahre Kunst in
Israel", die noch bis Anfang September im Berliner
Martin-Gropius-Bau zu sehen ist. Denn hier muss die Dynamik der
Identitäten gleichzeitig festgehalten, aber auch für die
Besucher spürbar werden.
Das gelingt besonders gut, wo es um das Verhältnis zum
Orient und zur arabischen Nachbarschaft geht, der die ersten
jüdischen Einwanderer aus Europa vor über 100 Jahren
begegneten. "Wir haben versucht, diese Veränderungen zu
zeigen, angefangen von der Gründung der Bezalel-Akademie 1906
bis hinein in die zeitgenössische Kunst", beschreibt die
Kuratorin den Anspruch der Ausstellung. Diese zeigt über 700
Exponate von über 120 Künstlern verschiedenster Genres,
vom Kunsthandwerk über Malerei, Grafik bis hin zu
Videoinstallationen. Es handelt sich um die größte Schau
israelischer Kunst, die jemals in Europa gezeigt wurde, aber um
keine reine Kunstausstellung. "Es geht auch darum, den Kontext
darzustellen, in dem die Kunst entstanden ist", so LeVitte Harten
über das Konzept, das aus Anlass des 40-jährigen
Bestehens diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der
Bundesrepublik von den Berliner Festspielen und dem Israel-Museum
in Jerusalem erarbeitet worden ist.
Den zeitlichen Ausgangspunkt bildet die Eröffnung der
Bezalel-Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Jerusalem. Sie
geht auf eine Idee des aus Litauen stammenden Bildhauers Boris
Schatz zurück, der von einem geistigen Zentrum des
jüdischen Volkes träumte.
Es war die Zeit, in der Europas Juden, vor dem Hintergrund eines
zunehmenden Antisemitismus, über Auswege berieten, in der die
Idee des Zionismus Konturen annahm, in der die Vision einer
Rückkehr nach Palästina - aber nicht als Flucht, sondern
als Neuanfang - verstanden wurde. Bezalel war deshalb von Beginn an
weit mehr als eine Ausbildungsstätte, nämlich
tatsächlich jenes identitätsstiftende Zentrum. Die
ausgestellten Arbeiten der ersten Künstlergeneration sprechen
davon. Ob nun verzierte Teller und Uhren, ob Wandteppiche oder
Gemälde, sie alle erzählen von einem neuen, bis heute
gültigen Selbstverständnis in Israel: der Bindung an den
Ort. "Das ist der Unterschied zwischen Juden und Israelis. Ein Jude
definiert sich durch das Blut. Er ist Jude, weil seine Mutter
Jüdin ist. Ein Israeli aber definiert sich durch den Ort. Das
ist ganz zentral für einen Israeli, denn es geht nicht nur um
einen Ort, sondern um ein Konzept", sagt LeVitte Harten. Ein
Konzept, dem die Ausstellung bereits in ihrem Titel gerecht wird.
Als Nachfahren der alten Hebräer, ihrer historischen
Vorväter auf dem Gebiet des heutigen Israels, verstanden sich
die Einwanderer als "Neue Hebräer". Um diese Kontinuität
zu dokumentieren, präsentiert der Gropuis-Bau einen
regelrechten Schatz: eine 2000 Jahre alte Tempelrolle von Qumran
mit ihren religiösen Unterweisungen.
Als Neue Hebräer transportierten auch die Künstler
zunächst nicht einfach nur Vorstellungen eines friedlichen
Miteinanders zu den Arabern. Sie gingen weit darüber hinaus.
In den 20er-Jahren avancierte der Araber zu "einem Modell, dem man
näher kommen wollte, weil er das Modell der alten Hebräer
verkörperte", so LeVitte Harten. Nicht nur in der Kunst formte
man den Neuen Hebräer nach diesen Vorbildern. Viele Fotos
dokumentieren das alltägliche Miteinander. Nach arabischen
Angriffen 1929, denen mehr als 100 Juden zum Opfer fielen, kippte
das Bild. Orientalische Themen gingen in der Kunst drastisch
zurück, "die Zeit der Erstlingsfrüchte war vorüber",
heißt es dazu im Katalog. In der zeitgenössischen Kunst
habe sich dieses Bild wieder gewandelt, erläutert LeVitte
Harten. "Es gibt unheimlich viel Sympathie mit der Figur des
Arabers." Das äußere sich oft nicht direkt, "weil niemand
Plakativkunst machen möchte". "Aber man sieht die Araber in
der Zwiespältigkeit des Konflikts." Man sehe zugleich auch die
Israelis in der selben Zwiespältigkeit.
Eine Lösung für diesen auch in dieser Ausstellung
übermächtigen Konflikt wird man hier aber nicht finden.
"Man ist etwas machtlos, weil, was kann die Kunst machen? Sie kann
nur zeigen, wie schrecklich die Situation ist." Und so endet die
Schau mit einer Frage des Künstlers James Lee Byars, mit
weißer Schrift auf einer schwarzen deutschen Flagge "Sollen
alle Juden aus Israel zurück nach Deutschland gehen?"
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