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Heike Schmidt
Gandhi und das Bettmonster
Sandskulpturenfestival in Berlin
Auch Erwachsene haben das Bedürfnis, die Sandskulpturen
anzufassen", erzählt einer der Verantwortlichen für das
dritte Sandskulpturenfestival in Berlin (Sandsation), das am 8.
August seine Tore schließt. Das Thema "Moderne Märchen"
weckte Phantasien und Kindheitsträume. Besonderer Reiz des
Spektakels: Diese Träume wurden von der nackten Berliner
Realität eingerahmt. Auf der einen Seite begrenzte die
Riesenbaustelle Lehrter Bahnhof und auf der anderen der Polittrubel
mit Kanzleramt und Bundestag das Sandsationgelände.
Vielleicht war es gerade dieser Kontrast, der das
Märchenhafte der Skulpturen wirken ließ. Die Hektik
rundherum verstärkte den Wunsch, sich in die Traumwelt aus
Sand hineinzudenken. Und jeder fragte sich: "Wie bringt man diese
Sandmengen zum Halten?" Sandskulpturen werden ganz
bodenständig produziert: Nur Sand und Wasser sind erlaubt.
Geformt werden kann eine Figur erst nach der Verdichtung des nassen
Sandes durch Holzverschalungen. Aus dieser feuchten Masse werden
die Figuren herausgeschält.
Etwa 3.500 Tonnen Sand aus dem brandenburgischen Niederlehme
verbauten die Sandkünstler, die sich Carver nennen, auf dem
rund 8.000 Quadratmeter großen Gelände. Martin Tulinius,
künstlerischer Leiter der Sandsation, ist selbst Carver, aber
auch Theaterintendant in Kopenhagen. Der Hintergrund der
übrigen Künstler ist vielfältig. Sie sind Bildhauer,
Keramiker und Bühnenbildner. Sand als Material hat für
sie eine ganz besondere Eigenschaft. Für Pavel Zadanouk aus
Moskau, Weltmeister 2004, macht gerade die Vergänglichkeit der
Skulpturen aus Sand die Besonderheit aus. Sie ist ein reizvoller
Kontrast zur sonstigen künstlerischen Arbeit mit
beständigem Material.
Reiz der Vergänglichkeit
Herzstück der Ausstellung war eine Riesenskulptur aus drei
Teilen, fünf, sechs und acht Meter hoch.
29 Künstler arbeiteten zwei Wochen, um eine phantastische
Idee aus vergangener Schönheit und visionärer Zukunft zu
vereinen. Die Plastik thematisiert verschiedene Elemente der
Vergangenheit durch Darstellungen von Neandertalern, klettert auf
der Zeitskala über Pyramiden und nachempfundene
Höhlenmalerei bis hinauf zu modernen Großstädten und
widmet sich an der Spitze der Überbevölkerung. Die Carver
hatten sieben Tage Zeit, aus Ideen Skulpturen werden zu lassen.
Drei Preise wurden verliehen: Eine Jury unter Vorsitz des
Schriftstellers Wladimir Kaminer kürte Sudarsan Pattnaik zum
Gewinner des Deutschen Sandskulpturenpreises 2005. Der Inder zeigte
mit Mahatma Gandhi sein Freiheitssymbol und machte damit den Wunsch
nach Frieden zum Inhalt seiner Skulptur "World Peace". Als
Gegenstück zum wachenden Gandhi, der die Welt auf seinem Kopf
trägt, stellte Pattnaik drei Affen dar, die sich Augen, Mund
und Ohren zuhalten. Die Artists' Trophy Berlin 2005, ein Preis den
die Künstler untereinander verliehen, ging an Anique Kuizenga
aus Indonesien und ihre Verkörperung nächtlicher
Träume. Die Kinderbuchautorin dachte laut über ihre
Skulptur "Bettmonster" nach: "Träumen ist wunderbar, aber wenn
man nicht aufpasst, können selbst die schönsten
Phantasien plötzlich ungewollte Wege gehen." Leicht denkt man
beim Anblick des Kindes im Bett an Peterchens Mondfahrt, ist dann
jedoch überrascht, monsterhafte Fratzen oder Schlangen zu
sehen. Simo Abdessamed Baallal Jacobsen aus Marokko erhielt den
Publikumspreis für die Skulptur "Drachenabenteuer". Sie nahm
in einem multikulturellen Kontext Bezug auf den Mythos vom Kampf
des Menschen mit dem Drachen. Es bleibt zu hoffen, dass die Zahl
der teilnehmenden Künstler 2006 abermals steigt. Dann kann die
Veranstaltung, die 2003 mit 17 Carvern begann und die heuer schon
34 zählte, als etabliert gelten.
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