Günter Pursch
Steiniger Weg zum Wahlgesetz
Damals ... vor 15 Jahren am 8. und 9. August
1990
DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière empfiehlt
überraschend Bundeskanzler Helmut Kohl - beide CDU - am 5.
August, sowohl den Beitritt als auch den in Aussicht genommenen
Wahltermin vom 2. Dezember auf den 14. Oktober vorzuverlegen.
Während Kohl diesen Vorschlag begrüßt, da damit den
Wünschen der Menschen in beiden Teilen Deutschlands
entsprochen würde, kritisiert die oppositionelle SPD in Bonn,
ein solches Vorgehen sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
Der am 3. August von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble
(CDU) und DDR-Staatssekretär Günther Krause verhandelte
Wahlvertrag sieht vor, dass die ersten gesamtdeutschen Wahlen zum
Bundestag nach einheitlichem Wahlrecht stattfinden sollen. Zudem
ist es danach möglich, dass nicht miteinander konkurrierende
Parteien Listenverbindungen eingehen können. Kleinere Parteien
sollen damit eine "faire Chance" - so die Verhandlungsführer -
erhalten. Dieser Vertrag wird am 8./9. August in der Volkskammer
zur Abstimmung gestellt. In der Debatte wird heftige Kritik seitens
der Opposition geübt. Es kommt zu turbulenten Szenen, da zur
Abstimmung nach Mitternacht Versuche unternommen werden, bereits
abwesende Abgeordnete zurückzurufen. Das Ergebnis der
namentlichen Abstimmung: 258 Ja-Stimmen, 63 Nein-Stimmen, fünf
Enthaltungen und eine ungültige Stimme. Die erforderliche
Zweidrittelmehrheit - 267 Abgeordnete - ist damit nicht erreicht.
73 Abgeordnete haben an der Abstimmung nicht teilgenommen.
In der Bundestagsdebatte am 8. August begründet
Schäuble den Wahlvertrag mit der DDR und bezeichnet ihn als
einen weiteren wichtigen Schritt zur Vollendung der Einheit
Deutschlands in Freiheit. Dazu sei es notwendig gewesen, einen
Kompromiss einzugehen, um beiden Vertragsparteien gerecht zu
werden. Dieser Kompromiss verletze nicht den Gleichheitsgrundsatz
und gelte im Übrigen nur für die erste gesamtdeutsche
Wahl.
Für die SPD fordert Willfried Penner, dass bei der
Festlegung des Wahltermins das Grundgesetz zu beachten ist. Beim
Wahltermin gehe es "um Kohl, nicht etwa um den Staat, nicht um die
staatliche Einheit". Seine Fraktion halte den Wahlvertrag für
akzeptabel. Penner betont, dass es nicht anstößig sei,
dass das Wahlrecht auch die Arbeitsfähigkeit des neuen
Parlaments sicherstellen soll.
Der Berliner Abgeordnete Wolfgang Lüder hebt für die
FDP hervor, dass dies nur ein Wahlrecht für eine
Übergangssituation sei. Er versichert, dass es ein
verfassungswidriges Vorziehen der Bundestagswahl mit seiner Partei
nicht geben werde. Eine Verfassungsänderung sei korrekt
möglich, weil das "erste und bedeutendere Wort zum Wahltermin
die Kolleginnen und Kollegen aus der Volkskammer haben sollten,
denn die haben freie Wahlen zu lange vermisst".
Nach Meinung von Gerald Häfner (Grüne) sorge sich die
Bundesregierung und die Koalition um die eigenen Wahlchancen, statt
der katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Lage in der DDR zu
begegnen. Er wendet sich sowohl gegen die Fünf-Prozent-Klausel
im gesamten Bundesgebiet als auch gegen mögliche
Listenverbindungen, weil das Prinzip der Stimmen- und
Chancengleichheit verletzt werde. Die Grünen lehnen das nach
ihrer Auffassung undemokratische und verfassungswidrige Wahlrecht
ab.
Der CSU-Landesgruppenvorsitzende Wolfgang Bötsch beklagt,
dass sich die SPD dem verständlichen Wunsch, rasch zur ersten
gesamtdeutschen Wahl zu kommen, verweigere. Die Haltung der
Sozialdemokraten bezeichnet er als unverantwortlich. Die
Bestimmungen des Wahlgesetzes sind nach seinen Worten ein gangbarer
und guter Weg angesichts der historischen Stunde der Herstellung
der deutschen Einheit.
Der Gesetzentwurf (Drucksache 11/7624) wird an die
Ausschüsse überwiesen. Die Verabschiedung am Tag darauf
wird wegen der Ablehnung in der Volkskammer auf den 23. August
verschoben.
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