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Nicolas Schöneich
Gefangen zwischen Interessen und Prinzipien
US-amerikanische Ordnungsvorstellungen im Nahen
Osten
"To make the world safe for democracy", hatte
Woodrow Wilson am Ende des Ersten Weltkriegs verkündet und war
gescheitert, da die USA sich damals sogar aus Europa
zurückzogen. Die Alte Welt ist zwar nicht unbedingt mehr
gefragt, wenn die USA sich heute mit Jeffersonschem Idealismus oder
Wilsonschem Messianismus aufschwingen, die Welt sicher zu machen
für die Demokratie. Inzwischen aber taucht vereinzelt bereits
die Frage auf, ob George W. Bush nicht etwa doch recht habe.
So bezeichnete der ägyptische Soziologe
Saad Eddin Ibrahim die Bush-Regierung als Hebamme des arabischen
Reformprozesses - die Elternschaft aber, schränkte er ein,
könne sie gewiss nicht für sich reklamieren. Die Ursachen
für die Entwi-cklungen etwa im Libanon oder in Ägypten
lägen nicht in der starken Präsenz amerikanischer Truppen
inmitten der autokratischen Systeme des Vorderen Orients. Die
US-Präsenz sei zwar ein - wenig willkommener - Anlass für
die arabischen Regime, ihre Herrschaftsstrukturen zu
überdenken; alleiniger Auslöser für das Umdenken sei
sie aber nicht. Eingebettet in eine übergreifende
"Vorwärts-Strategie für Freiheit", so George W. Bush in
seiner Rede zur Lage der Nation Anfang 2004, wird seit dem 11.
September 2001 eine militärische Drohkulisse aufgebaut, die
die Reformambitionen stützen soll.
In diesem Rahmen legte die Regierung mit der
Middle East Partnership Initiative (MEPI) und anschließend der
Broader Middle East and North Africa Initiative (BMENA) ein neues
Programm für die gesellschaftspolitische Arbeit in der Region
vor. Partner sind neben den Regierungen nun verstärkt auch
Vertreter der Zivilgesellschaften, einschließlich moderater
Islamis-ten. Anfang dieses Jahres sagte Condoleezza Rice einen
Besuch in Ägypten ab, angeblich, um das Missfallen der
Amerikaner über die Verhaftung des Oppositionspolitikers Ayman
Nour zu bekunden.
In Marokko intervenierte der amerikanische
Botschafter Michael Riley in einem Prozess gegen die Islamistin
Nadia Yassine. Der Prozess wurde daraufhin auf unbestimmte Zeit
verschoben. Die Amerikaner verknüpfen ihre strategischen
Interessen in der Region mit idealistischen
Transformationsvorstellungen.
Außenpolitisch wurden die Weichen
für Bush bereits vor seinem Amtsantritt 2001 gestellt. Die
Konzepte seines Beraterstabs stammen zum Teil aus Strategiepapieren
des Project for a New American Century (PNAC). Diese seit 1997
bestehende Denkfabrik neo-konservativer Prägung tritt für
einen offensiven, wertegesteuerten amerikanischen
Internationalismus ein, der die Reformierung autokratischer Regime
weltweit beinhaltet. PNAC-Vertreter thematisierten früh die
Gefahren von Massenvernichtungswaffen und erklärten die
Auseinandersetzung mit dem islamistischen Terror zum Krieg.
"America at War" lautet schon der Titel eines Memorandums nach dem
Anschlag auf den Zerstörer USS Cole Ende Oktober 2000, wenige
Tage vor der Präsidentschaftswahl.
Nach dem 11. September 2001 setzten sich
diese Ideen schnell durch. Zunächst ohne konzeptionelle
Grundlage und ohne Nachkriegsplanung, begann im Oktober 2001 die
Bombardierung Afghanistans. Die bis heute chaotischen Zustände
im Land belegen das Fehlen einer schlüssigen Strategie. Die
daraufhin erstellte Nationale Sicherheitsstrategie polarisierte die
Welt, speziell die europäischen und arabischen
Öffentlichkeiten. Um dem entgegenzuwirken, stellte Colin
Powell im Dezember 2002 die Middle East Partnership Initiative
(MEPI) vor, die die militärischen Interventionen der USA um
zivile Aspekte ergänzen soll. Die USA engagieren sich hier in
den Bereichen Wirtschaft, Politik, Bildung und Frauenrechte.
Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sollen gefördert
werden. Zur Finanzierung einzelner Projekte werden Gelder des
Programms an staatliche und nichtstaatliche Organisationen in
arabischen Ländern verteilt. Im Vergleich zu den Kosten des
Irak-Kriegs ist das Budget der zivilen MEPI allerdings marginal. Im
Haushaltsjahr 2005 sind 74,4 Millionen Dollar ausgewiesen, was
insofern verwundert, als MEPI vom State Department als
"primäres diplomatisches und entwicklungspolitisches Werkzeug"
zur Unterstützung der Vorwärtsstrategie bezeichnet wird.
Zudem zögern arabische Nichtregierungsorganisationen heute aus
Imagegründen, Geld aus diesem Topf anzunehmen. Seit Anfang
2004 sucht die Bush-Regierung internationale Unterstützung
für ihre Reformbestrebungen. Die im Juni 2004 von den
G8-Staaten verabschiedete Broader Middle East and North Africa
Initiative feierte ein neues gemeinsames Ziel: Demokratisierung der
Region zwischen Marokko und Pakistan. Ihre Entstehung geriet jedoch
zu einem Publicity-GAU.
Die Tageszeitung al-Hayat lancierte im
Februar 2004 einen Entwurf. Arabische Politiker erfuhren aus der
Zeitung von Vorschlägen, die angeblich mit ihnen abgestimmt
worden waren. In der Region wurde vor allem die als legitim
dargestellte externe Einmischung kritisiert. Die Europäer
beklagten die Aussparung des Nahost-Konflikts. Auch wurde nicht
klar, was die Region von Marokko bis Pakistan eint, um sie in einer
Initiative zusammenzufassen - außer dem Islam.
Die schließlich auf dem G8-Gipfel 2004
verabschiedete Fassung legte mehr Wert auf Kooperation und eine
Regelung des Nahost-Konfliktes. Hatte der Entwurf die
Entwicklungsdefizite in der Region noch als "Gefahren für die
nationalen Interessen der G8-Mitglieder" beschrieben, betont BMENA
nun wesentlich stärker den partnerschaftlichen Charakter der
Initiative. Statt erzwungener Entwicklung als Antwort auf westliche
Sicherheitsbedürfnisse, werden nun Angebote gemacht, aus denen
"Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in freier
Entscheidung Unterstützung beziehen können", um im
eigenen Interesse zu reformieren. Unumstritten sind Projekte wie
Existenzgründerfonds, Kooperationen zukünftiger
Wirtschaftseliten oder eine verbesserte Berufsausbildung. Schwierig
gestalten sich Maßnahmen wie zur Erwachsenenbildung breiterer
Schichten, Unterstützung von Wahlen oder Verpflichtung auf
politische Liberalisierung.
In den Golfmonarchien sind erste Fortschritte
zu beobachten: Wirtschaftlicher und demografischer Wandel
führen dort bereits zu erweiterter Partizipation. Wie nicht
zuletzt die Arab Human Development Reports der UN feststellen, ist
die Integration von Frauen entscheidend für die soziale und
wirtschaftliche Entwicklung. Der stetig sinkende Altersschnitt
arabischer Gesellschaften und die versiegenden Öl- und
Geldquellen machen es für die Autokraten darüber hinaus
notwendig, sich neu zu legitimieren. Falls es soweit käme,
dass die ehemals großzügigen Ölstaaten Steuern
erheben müssten, griffe das Prinzip der englischen
Parlamentsgeschichte noch stärker: "No taxation without
representation" - Besteuerung nur bei parlamentarischer Vertretung.
Den USA bleibt nur eine begleitende, in engem Rahmen
unterstützende Rolle. Auf ihrer Seite ist die Einsicht
notwendig, der Region nicht nur Freiheit von etwas zu bringen,
sondern auch die Freiheit zu etwas. Dazu gehört, dass freie
Wahlen auch zugelassen werden müssen, sollte eine Gewinnchance
für Vertreter des politischen Islams bestehen. Auch
islamistische Regierungen sollten vor die Herausforderung gestellt
werden, politische und wirtschaftliche Entwicklungen
anzustoßen, die die Bevölkerung zufrieden stellen. Dass
sie sich selbst entzaubern, kann man im Iran, in Jordanien oder der
Türkei beobachten. Der wachsende soziale Druck durch die
jungen arabischen Bevölkerungen könnte dafür sorgen,
dass gewählte Regierungen ihre Macht nicht weiter
missbrauchen, um die Reformen rück-gängig zu
machen.
Der präventive Ausschluss bestimmter
Akteure aus den eigenen Ordnungsvorstellungen unterminiert die
behauptete Universalität der von den USA propagierten Werte
und ihre Glaubwürdigkeit. So prangert der ehemalige
libanesische Kulturminister Ghassan Salamé, Autor des Buches
"Democracy without Democrats?", die "fehlende moralische
Autorität" Amerikas an. Durch die Nicht-Anwendung der Genfer
Konvention in Guantánamo oder das Hinwegsetzen über
UN-Sicherheitsratsbeschlüsse hätten die USA jede
Glaubwürdigkeit als "Verkäufer" demokratischer Reformen
und Menschenrechte verspielt. Wo die strategische Notwendigkeit
dies gebietet, wird zudem weiterhin über das autokratische
Gebahren der Herrschenden hinweg gesehen, so im Fall von Pakistans
General Musharraf. Ein zweigleisiges - interessen- und
prinzipiengeleitetes - Vorgehen bringt die arabischen Reformer
ebenso in Bedrängnis, wie es den Westen entzweit und die
Erfolgsaussichten von MEPI oder BMENA schmälert. Erstere sehen
sich in der Region dem Vorwurf ausgesetzt, Kooperation mit den USA
sei gleichbedeutend mit der Zustimmung zu ihren Interventionen. Die
Europäer haben mit ihrem zur Nachbarschaftspolitik erweiterten
Barcelona-Prozess klargemacht, dass sie auf die langfristige
Wirkung kultureller und ökonomischer Kooperation setzen, ohne
eine Destabilisierung der Regime (offen) zu riskieren.
Mit dem Amtsantritt von Condoleezza Rice gibt
es nun auch selbstkritischere Töne zu hören. Vor der
American University in Kairo sagte sie am 20. Juni: "60 Jahre lang
hat mein Land, die Vereinigten Staaten, Stabilität auf Kosten
der Demokraötie in dieser Region hier im Nahen Osten
angestrebt - und beides nicht erreicht. Nun verfolgen wir einen
anderen Kurs." Inwieweit ihre Ankündigung einer neuen
Nahost-Friedenskonferenz nach der israelischen Räumung des
Gaza-Streifens in diesem Sommer die tote Roadmap wiederbelebt,
bleibt abzuwarten. Selbst wenn mehr Geld in MEPI und BMENA
flösse, müsste das unübersehbare, in der gesamten
islamischen Welt überwiegende fundamentale Vertrauensdefizit
gegenüber den USA beseitigt werden. Jenseits aller
Erklärungen und Initiativen bleibt den USA und der EU
gleichermaßen - mit den Worten von Außenminister Fischer
- nur die "Option Erfolg". Scheitert die versuchte Neuordnung im
Irak, werden die USA ihr Verhältnis von Interessen und
Prinzipien überdenken müssen.
Nicolas Schöneich ist Politikwissenschaftler in
Berlin.
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