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Michael Lüders
Die arabische Welt ist nur zum Teil in der
Moderne angekommen
Islam und Demokratie - der Westen hat ein
undifferenziertes Bild davon
Die Frage, ob Islam und Demokratie überhaupt miteinander zu
vereinbaren seien, ist in der westlichen Öffentlichkeit
häufig zu hören. Dahinter verbirgt sich ein aus
Ängsten und Unkenntnis gespeistes Weltbild, das den Islam als
ein monolithisches, unveränderliches, auf ewig
festgeschriebenes Dogma ansieht. Wahrgenommen werden allein
islamisch-fundamentalistische Strömungen, die wiederum als
authentischer Ausdruck koranischer Offenbarung gelten. Niemand
käme auf die Idee, nach der Vereinbarkeit von Judentum und
Demokratie oder Christentum und Demokratie zu fragen, obwohl es in
Geschichte und Gegenwart auch der übrigen Weltreligionen
gleichermaßen fundamentalistische Strömungen gegeben hat
und noch immer gibt.
Warum aber gibt es keine islamischen Staaten, die demokratisch
im westliche Sinne sind? Die Antwort liegt in deren politischen und
sozialen Strukturen. Für die gesamte arabisch-islamische Welt
ist festzustellen, dass sie erst teilweise in der Moderne
angekommen ist. In ihrer großen Mehrheit ist sie angesiedelt
zwischen Feudalismus und Industriegesellschaft. Selbst dort, wo
gleich der Sprung aus beduinischen Lebensverhältnissen in
Richtung Postmoderne erfolgte, namentlich in den Golfstaaten, sind
die ursprünglichen, auf Tribalismus und Klientelismus
basierenden gesellschaftlichen Strukturen weitgehend intakt
geblieben.
Die Sozialstruktur ist durchweg pyramidal: einer
zahlenmäßig kleinen Oberschicht steht ein Armutsheer
gegenüber, während das Bürgertum nur schwach
ausgeprägt ist und stets Gefahr läuft, ebenfalls zu
verarmen. Stammesdenken und hierarchische Strukturen prägen
die politische Kultur bis in den Alltag hinein - der Einzelne ist
nichts, der Clan, die Familie, die ethnische oder religiöse
Gemeinschaft ist alles. In diesen Zusammenhang gehört auch,
dass Leistungsdenken in arabisch-islamischen Staaten eher eine
untergeordnete Rolle spielt. Innovatives Denken und rationales
Handeln stößt sich nur zu oft an den allmächtigen
Strukturen aus Vetternwirtschaft und Nepotismus.
Dementsprechend ist die Wirtschaft von Marokko bis Indonesien
zumindest im Bereich der Schlüsselindustrien noch immer
vorwiegend staatlich gelenkt. Hier bedienen sich die Regierenden
gerne selbst. Die Privatwirtschaft spielt in der Regel eine
untergeordnete Rolle oder ist auf kleine und mittelständische
Unternehmen begrenzt. In den kleineren Golfstaaten, wo die freie
Marktwirtschaft Triumphe feiert, wird sie überwiegend von den
herrschenden Familien kontrolliert, die ihrerseits auf eine lange
Geschichte als erfolgreiche Händler zurückblicken.
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass die
Zivilgesellschaft in der arabisch-islamischen Welt nur schwach
ausgeprägt ist. Es fehlt dafür die soziale Basis.
Demokratieförderung in der Region bedeutet, sich auf eine
Politik der kleinen Schritte einzulassen. Der Arab Human
Development Report der Vereinten Nationen liefert hierfür
konkrete Anschauung und Handlungsan-leitung, von Investitionen in
das überwiegend katastrophale Bildungswesen über die
Förderung von Frauen bis zu Good Governance.
Spätestens mit dem 11. September 2001 hat sich jedoch in
den USA eine von neokonservativen Denkschulen beeinflusste Politik
gegenüber der arabisch-islamischen Welt durchgesetzt, die auf
Demokratieförderung durch gewaltsame Regimewechsel setzt. Die
Ergebnisse dieser Politik sind gegenwärtig in Afghanis-tan und
Irak zu beobachten. Formal mögen beide Länder
Fortschritte in Richtung Rechtsstaatlichkeit und Demokratie
aufweisen, die Alltagsrealität aber wird geprägt von
Terror und Gewalt, von Unsicherheit und Anarchie sowie dem Zerfall
zentralstaatlicher Strukturen.
Nüchtern besehen ist der Demokratie-Export mit Waffengewalt
ein Modell ohne Zukunft. Vielmehr schafft er neue Probleme, die
teilweise noch gefährlicher und unberechenbarer sind als es
die alten waren. Vor allem aber ist das Vorgehen Washingtons im
Nahen und Mittleren Osten Wasser auf die Mühlen radikaler
Fundamentalisten, die ihre Vorurteile gegenüber dem Westen wie
aus dem Lehrbuch bestätigt sehen. Im Namen der Bekämpfung
islamistischen Terrors entstehen neues Unrecht und Leid, was
wiederum neue Gewalttäter motiviert, den verhassten Westen mit
allen Mitteln zu bekämpfen.
In diesem Sinn ist der Irak heute ebenso ein Schlachtfeld des
Dschihad wie es das von sowjetischen Truppen besetzte Afghanistan
in den 80er-Jahren war. Die Bush-Regierung und mit ihr
sympathisierende Medien mögen noch so sehr betonen, dass die
Gewalt im Irak ein letztes Rückzugsgefecht von Saddam-Getreuen
und islamistischen Fanatikern sei - tatsächlich schafft die
Militärpräsenz ausländischer Truppen immer wieder
Anlass und Vorwand für terroristische Gewalt gegen die
Besatzer und gegen die eigene Bevölkerung. Mit anderen Worten:
Der Krieg gegen den Terror schafft sich vielfach erst die Feinde,
die zu bekämpfen er ursprünglich begonnen wurde.
Obwohl die Zivilgesellschaft und die bürgerliche
Mittelschicht schwach ausgeprägt sind, spielen sie bei der
Meinungsbildung, etwa über die Medien, durchaus eine wichtige
Rolle. In ihrem Werteempfinden ist diese Elite überwiegend
prowestlich eingestellt. Sie glaubt an Reformen, Pluralismus und
Marktwirtschaft. Das Dilemma ist allerdings, dass westliche
Politiker stets hehre Werte wie Freiheit, Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit bemühen, um ihre Machtpolitik im Nahen und
Mittleren Osten zu legitimieren. Genau dadurch aber werden diese
Werte unglaubwürdig - sie vertragen sich weder mit den
Nachrichten aus Guantánamo Bay noch mit den Folterbildern aus
Abu Ghreib. Für die islamischen Fundamentalisten wiederum ist
die Freiheits-Rhetorik, die einhergeht mit Besatzung und einer
Verschlechterung der Lebensbedingungen für einen Großteil
der Bevölkerung, ein Beweis für die
"Kreuzzugs-Mentalität" des Westens. Der prowestlichen Elite in
der arabisch-islamischen Welt gelingt es immer weniger, Gehör
zu finden. Der Krieg gegen den Terror, namentlich die eher aus
Ideologie denn Pragmatismus und Realitätssinn gespeiste
Politik Washingtons in der Region, hat den
islamisch-fundamentalistischen Kräften erneut Auftrieb
verliehen. Auch deswegen, weil westliche Regierungen ungeachtet
aller Freiheitsrhetorik im Zweifel eher auf Regimestabilität
setzen und sich mit jeder Diktatur im Nahen und Mittleren Osten
sowie in Zentralasien arrangieren, sofern sie nur prowestlich
ist.
Die große Mehrheit der Bevölkerung - arm, ungebildet,
weitgehend rechtlos - folgt nicht den Versprechen westlicher
Regierungen, sondern den einfachen Erklärungen lokaler
Prediger. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich eine neue
Generation terroristischer Islamisten vorzustellen, die sich zwar
auf Al Qaida berufen, aber de facto ihre eigene Politik betreiben
und eine neue Generation von Gewalttätern begründen. Der
Jordanier Abu Mussab al-Zarkawi, einer der Drahtzieher des Terrors
im Irak, ist dafür ein Beispiel.
In diesem Zusammenhang sei auch vermerkt, dass die westliche und
die arabisch-islamische Sicht auf den Konflikt zwischen Israelis
und Palästinensern unter-schiedlicher kaum ausfallen
könnte. Während die westliche Öffentlichkeit in der
Regel mit der israelischen Sicht der Dinge sympathisiert, ergreift
man im Orient Partei für die Palästinenser. So gelten die
palästinensische Hamas und die libanesische Hisbollah unter
Arabern als Widerstandsbewegungen gegen die verhasste israelische
Besatzung, im Westen und in Israel dagegen fallen sie unter die
Rubrik Terror. Das verständnisvolle Schweigen westlicher
Regierungen zu der völkerrechtswidrigen Besatzungs- und
Siedlungspolitik Israels fördert mit Sicherheit nicht die
Glaubwürdigkeit westlicher Politik in der arabisch-islamischen
Welt.
Dort, in der weiten Fläche von Marokko bis Indonesien, ist
alles Politik. Bis in den Alltag reicht sie hinein, in den
täglichen Kampf ums Überleben. Verletzter Stolz, Wut und
Verzweiflung angesichts der Tatsache, dass die Muslime zu den
Verlierern der Globalisierung gehören, beschädigen das
eigene Selbstwertgefühl und machen es anfällig für
einfache Erklärungen und Weltbilder. Der politische Islam, der
seinen Zenith in den 90er-Jahren eigentlich überschritten
hatte, vor allem aufgrund seiner Gewaltbereitschaft, feiert
gegenwärtig eine Wiederauferstehung. Mit welchem Ziel, mit
welcher Konsequenz, das bleibt abzuwarten.
Die amerikanische Vorstellung, im Irak einem säkularen
Islam nach türkischem Vorbild an die Macht zu verhelfen, hat
sich längst als Wunschdenken erwiesen. Jenseits aller Fehler
westlicher Politik müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass nicht
westlich-liberale Intellek-tuelle den Ton in den arabischen und
islamischen Ge-sellschaften angeben, sondern religiöse
Strömungen. Sie sind nicht zwangsläufig gewalttätig
und antiwestlich, und sie werden, in ihren konstruktiven Varianten,
Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung nehmen. Das gilt
etwa für schiitische Oppositionelle im Irak oder die
Muslimbrüder in Ägypten. Ob es uns gefällt oder
nicht: ein ernstgemeinter Dialog mit der arabisch-islamischen Welt
kann diese Gruppierungen nicht ignorieren. Aber auch radikale
islamistische Bewegungen sind eine Teil nahöstlicher
Realität. Wie, beispielsweise, mit Hamas und Hisbollah
verfahren? Sie ausgrenzen und bekämpfen, was ihren
Helden-Nimbus nur verstärkt? Oder sie einbinden in den
politischen Prozess und sie somit in die Pflicht nehmen?
Unstrittig erscheint, dass die Beziehungen zwischen Orient und
Okzident einer Neubestimmung bedürfen. Demokratie ist mit
Waffengewalt nicht zu exportieren. Eine gemeinsame und friedliche
Zukunft dürfte es erst dann geben, wenn beide Seiten lernen,
einander in Augenhöhe zu begegnen ohne imperiale
Erhöhung, ohne verinnerlichten Minderwertigkeitskomplex.
Islamistische Gewalt ist ein Phänomen mit vielen Gesichtern,
das allerdings auf gemeinsame Ursachen verweist: kulturelle
Desorientierung, korrupte und unfähige Regime, fehlende
Zukunftschancen, westliches Dominanzstreben.
Michael Lüders, langjähriger Redakteur der Wochenzeitung
"Die Zeit", ist Publizist und Politikberater in Berlin.
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