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Lutz Klevemann
Das neue Große Spiel in Zentralasien
Öl und Gas stehen im Zentrum eines
geopolitischen Ringens
Die Geschehnisse im Nahen Osten müssen
heute im Zusammenhang mit der benachbarten Region Zentralasien
betrachtet werden, die sich im vergangenen Jahrzehnt aus der
sowjetischen Isolation befreit hat. Mehrheitlich muslimisch, reich
an Öl und Gas, ist gerade die kaspische Region zu einem
Schachfeld für ein dramatisches geopolitisches Ringen geraten:
das neue "Große Spiel". Es geht darum, die Abhängigkeit
des Westens vom Opec-Öl zu brechen. Die Risiken aber sind
immens.
In dieser Neuauflage der imperialen
Rivalität im 19. Jahrhundert zwischen dem Britischen Empire
und dem russischen Zarenreich versuchen mächtige Spieler das
Herz der eurasischen Landmasse zu kontrollieren, das in einem
Machtvakuum daliegt. Heute haben die USA die Führungsrolle
übernommen. Zusammen mit den Russen mischen neue regionale
Mächte wie China, Iran, Türkei und Pakistan mit.
Transnationale Ölkonzerne verfolgen ebenfalls ihre Interessen
- auf kaltschnäuzige Wildwest-Manier.
Seit dem 11. September hat die Bush-Regierung
einen massiven Militäraufmarsch in Zentralasien veranstaltet
und Truppen in Afghanistan und den neuen Republiken Usbekistan,
Kirgisien und Georgien stationiert. Die ersten US-Kampftruppen auf
ehemals sowjetischem Boden haben die geostrategische Balance in der
Region verändert, wobei Washington neben dem
Anti-Terror-Feldzug drei Ziele verfolgt: den Sieg gegen Russland im
Kalten Krieg zementieren, den Einfluss Chinas eindämmen und
die Schlinge um Iran fester zurren.
Zugleich benutzt die Bush-Regierung den Krieg
gegen den Terror, um Ölinteressen in Zentralasien zu
verfolgen. Dieses dramatische geopolitische Unterfangen, in das
Diktatoren und korrupte Ölscheichs verstrickt sind, wird
wahrscheinlich nur mehr Terroristen hervorbringen. Hauptbeute im
Großen Spiel sind die kaspischen Bodenschätze.
An den Ufern und auf dem Grund des Kaspischen
Meeres liegen die größten unerschlossenen fossilen
Energiereserven der Welt. Die Schätzungen rangieren zwischen
35 und 190 Milliarden Barrel Rohöl. Skeptische Geologen halten
viele Schätzungen für überzogen, doch das
US-Energieministerium geht noch immer davon aus, dass in
Aserbaidschan und Kasachstan allein mehr als 130 Milliarden Barrel
liegen, mehr als drei Mal so viel wie die US-Reserven.
Ölgiganten wie ExxonMobil, ChevronTexaco und British Petroleum
haben bereits mehr als 30 Milliarden Dollar in neue
Produktionsanlagen investiert.
Die aggressive Verfolgung amerikanischer
Ölinteressen in der kaspischen Region begann schon unter
Clinton, der persönlich Öl- und Pipeline-Diplomatie mit
kaspischen Machthabern betrieb. US-Energiemagnaten waren
beeindruckt. "Ich kann mich an keine Zeit entsinnen, in der eine
Region so plötzlich strategisch so bedeutsam wurde wie die
kaspische", sagte Dick Cheney 1998 in einer Rede vor
Ölindustriellen in Washington. Damals war er Chef des
Öldienstleister-Giganten Halliburton. Im Mai 2001 empfahl
Cheney, inzwischen Vizepräsident, im Nationalen Energiereport,
dass "der Präsident die Energiesicherheit zu einer
Priorität unserer Handels- und Außenpolitik" mache. Dabei
hob er die kaspische Region als "rasch wachsenden neuen
Zufuhrbereich" hervor. In dem Bestreben, Clintons Ölbilanz zu
übertreffen, trug die Bush-Regierung das neue Große Spiel
in die zweite Runde.
Mit einem Ölförderpotenzial von
mehr als drei Millionen Barrel pro Tag im Jahre 2010 spielt die
kas-pische Region eine entscheidende Rolle in der US-Politik der
"Diversifizierung des Energieangebots". Diese Strategie verfolgt
das Ziel, Amerikas Abhängigkeit vom arabisch dominierten
Opec-Kartell zu mindern, das seine Beinahe-Monopol-Stellung als
Druckmittel gegen industrialisierte Länder nutzt. Da der
weltweite Konsum unaufhörlich steigt und viele Quellen
außerhalb des Nahen Ostens langsam versiegen, wird die Opec
auf lange Sicht seinen Anteil am Weltmarkt weiter ausbauen. Zur
gleichen Zeit müssen die USA schon in fünf Jahren mehr
als zwei Drittel des Energiebedarfs importieren, meist aus
Nahost.
Viele Menschen in Washington sorgen sich
besonders über die wachsende Instabilität in
Saudi-Arabien, dessen Verstrickungen in Terror seit dem 11.
September aufgedeckt worden sind. Wie die Bombenanschläge auf
Öleinrichtungen im vergangenen Jahr gezeigt haben, wächst
das Risiko, dass islamistische Gruppen das korrupte saudische
Regime stürzen könnten, um den Ölfluss an
"Ungläubige" zu stoppen. Die Konsequenzen, wenn acht Millionen
Barrel Öl - zehn Prozent der weltweiten Produktion - von den
Märkten verschwinden sollten, wären
katastrophal.
Auch ohne eine derartige anti-westliche
Revolution ist das saudische Öl sozusagen ideologisch
kontaminiert. Um innenpolitische Unruhen zu vermeiden, hat Riad die
radikal-islamische Wahhabi-Sekte finanziert, deren Prediger zum
Terror gegen Amerika aufrufen. Um aus diesem faustischen Pakt mit
Saudi-Arabien heraus zu gelangen, versuchen die USA sich nun Zugang
zu den Ölressourcen im Kaspischen Meer zu
verschaffen.
Zentralasien ist allerdings kaum sicherer als
Nahost, und die Ölpolitik macht die Lage nur schlimmer:
Konflikte sind ausgebrochen über Pipelines, die das Öl
vom landumschlossenen Kaspischen Meer zu Hochseehäfen bringen
sollen. Russland, das sich noch als imperialer Herr über seine
ehemaligen Gebiete sieht, besteht auf Pipeline-Routen durch sein
Hoheitsgebiet im Nordkaukasus, darunter Tschetschenien. China, der
zunehmend ölabhängige Riese, will östlich von
Kasachstan verlaufende Rohre bauen. Iran bietet sein bestehendes
Pipeline-Netz für Exporte durch den Golf an.
Statt dessen haben die Regierungen von
Clinton und Bush zwei Pipelines unterstützt, die sowohl
Russland als auch Iran umgehen. Die eine, erst Mitte der 90er-Jahre
von der US-Ölfirma Unocal geplant, würde von Turkmenistan
durch Afghanistan zum pakistanischen Hafen von Gwadar am Indischen
Ozean verlaufen. Wenige Monate nach dem Sturz des Taliban-Regims
unterzeichnete der afghanische Präsident Hamid Karzai, ein
ehemaliger Unocal-Berater, einen Vertrag mit dem pakistanischen
Staatschef Pervez Musharraf und dem turkmenischen Diktator
Saparmurad Nijasow, um grünes Licht zu geben für den Bau
einer 3,2 Milliarden Dollar teuren Gas-Pipeline durch den Korridor
Herat-Kandahar in Afghanistan. Eine Machbarkeitsstudie soll
erstellt werden, eine parallele Ölpipeline ist später
geplant. Bislang hat das Treiben der Kriegsfürsten in
Afghanistan private Investoren abgehalten, sich finanziell zu
engagieren.
Jüngst abgeschlossen wurde hingegen der
Bau einer gigantischen 3,8 Milliarden Dollar teuren und 1700
Kilometer langen Pipeline von Aserbaidschans Hauptstadt Baku durch
Georgien bis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. British
Petroleum, ihr Hauptbetreiber, hat Milliarden im ölreichen
Aserbaidschan investiert und kann sich auf Unterstützung der
Bush-Regierung verlassen, die im Mai 2002 etwa 500 Elitetruppen im
von Bürgerkrieg geschüttelten Georgien stationiert
hat.
Schon aus ökologischen und sozialen
Gründen umstritten - sie wird wohl kaum die Armut in den
notorisch korrupten Ländern mildern - verschlimmert die im Mai
2005 eröffnete Pipeline auch die Instabilität im
Südkaukasus. Jahrelang hat die russische Regierung, die noch
immer tausende Truppen in Georgien und Armenien stationiert
hält, versucht, westliche Pipeline-Investoren abzuschrecken,
indem sie blutige ethnische Konflikte nahe der Pipeline-Route
angefacht hat, etwa in der armenischen Enklave von Berg-Karabach in
Aserbaidschan und in den abtrünnigen georgischen Regionen
Abchasien und Südossetien.
Moskau und Peking stören sich am
wachsenden amerikanischen Einfluss in ihrem strategischen
Hinterhof. Aus Sorge, dass die amerikanische Präsenz die
muslimischen Uighuren in seiner zentralasiatischen Provinz Xinjiang
zu einem Aufstand ermutigen könnte, hat China jüngst
Militärmanöver mit Kirgisien veranstaltet und die
Beziehungen besonders zu Usbekistan gestärkt.
Die russische Regierung tolerierte
ursprünglich das US-Eindringen in ihr ehemaliges Reich, in der
Hoffnung, dass Washington im Gegenzug russische Verbrechen in
Tschetschenien ignorieren würde. Doch für den Kreml ist
die "neue strategische Partnerschaft" gegen den Terror mit dem
Weißen Haus nie mehr gewesen als eine taktische Zweckehe, um
Russlands angeschlagene Wirtschaft mithilfe westlichen Kapitals auf
die Beine zu helfen. Für die Mehrheit des russischen
Establishments ist es undenkbar, dauerhaft auf seine
Hegemonialansprüche auf Zentralasien zu verzichten.
Russlands Verteidigungsministerium hat
wiederholt gefordert, dass die Amerikaner innerhalb von zwei Jahren
aus dem Hinterhof abziehen. Präsident Wladimir Putin hat neue
Sicherheitsverträge mit den zentralasiatischen Herrschern
unterzeichnet und im Oktober 2003 persönlich eine neue
Militärbasis in Kirgisien eröffnet. Es ist der erste
Stützpunkt, den Moskau seit Ende des Kalten Kriegs
außerhalb Russlands Grenzen eingerichtet hat. Mit
Kampfflugzeugen ausgerüstet, liegt er kaum 50 Kilometer von
der US Airbase entfernt.
Abgesehen vom Gespenst eines
zwischenstaatlichen Konflikts, gefährdet der Energie-Durst der
Bush-Regierung die wenigen Erfolge im Krieg gegen den Terror. Die
von der US-Politik erzeugten Ressentiments erleichtern es Al
Qaida-ähnlichen Organisationen, neue Kämpfer zu
rekrutieren. Sie hassen Amerika, weil die Bush-Regierung in ihrer
Suche nach antiterroristischen Verbündeten im neuen
Großen Spiel einige der brutalsten Autokraten der Region
hofiert hat, darunter Aserbaidschans Heydar Alijew, Kasachstans
Nursultan Nasarbajew und Pakistans Pervez Musharraf.
Als brutalster Tyrann unter den neuen
Verbündeten gilt Islam Karimow, der exkommunistische Diktator
von Usbekistan, der den USA während des Afghanistan-Kriegs
Ende 2001 erlaubte, im Süden des Landes einen
Militärflughafen in Karschi-Chanabad ("K-2") zu errichten.
Danach hatte die Bush-Regierung offenbar die Augen zugedrückt
vor der Unterdrückung der Oppositi-on und islamischer Gruppen.
"Solche Leute verdienen einen Kopfschuss. Falls notwendig, werde
ich sie selbst erschießen", sagte Karimow dem
Marionetten-Parlament einmal. Im April/Mai ließ er nach
Angaben von Menschenrechtsgruppen etwa 500 Demonstranten in
Andischan im Osten niederschießen. Die nun folgende Kritik
Washingtons veranlasste die Regierung in Taschkent Ende Juli, die
USA zur Räumung von K-2 aufzufordern. Das
US-Außenministerium hat öffentlich eingeräumt, dass
usbekische Sicherheitskräfte "Folter als
routinemäßige Untersuchungstechnik" anwenden. Noch 2002
jedoch gab Washington dem Karimow-Regime rund 500 Millionen Dollar
an Hilfe und Mietzahlungen für die US Airbase in Khanabad.
Etwa 79 Millionen Dollar davon sollen direkt an Sicherheitsorgane
geflossen sein.
Mit der Politik, zentralasiatische Tyrannen
zu stützen, wiederholt Washington frühere Fehler, die
etwa in den 80er- und 90er-Jahren im Nahen Osten zum Aufstieg Bin
Ladens geführt haben, da viele Untertanen sich zunehmend den
antiamerikanischen Militanten zuwenden. Am Ende könnte sich im
neuen Großen Spiel die Ölinfrastruktur als zu
anfällig für Terrorangriffe herausstellen, um
Stabilität zu gewährleisten. Die kaspische Region mag die
nächste große Tankstelle sein - dort aber wie auch im
Nahen Osten werfen bereits viele junge Männer mit brennenden
Streichhölzern um sich.
Lutz Kleveman ist freier Journalist und Autor. Er lebt auf Gut
Ankeloh bei Hamburg.
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