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Carsten Wieland
Sind Assads Tage gezählt?
Syrien unter Reformdruck
Syrien bleibt vielen ein Rätsel. Trotz
langsamer Öffnung gehört das Regime in Damaskus weiterhin
zu den undurchschaubarsten der arabischen Welt. Syrien ist das
einzige Land, das auf der US-Terror-Liste steht und trotzdem
diplomatische Beziehungen mit Washington pflegt. Lange vor dem 11.
September 2001 hat Damaskus radikale Islamisten bekämpft und
gab auch danach den USA wichtige Hinweise im Kampf gegen den
Terrorismus. Dennoch wird Syrien heute vor allem von den USA und
Israel in einem Atemzug mit Terrorismus genannt, unter anderem,
weil es palästinensischen Organisationen Aufenthaltsrecht
gewährt.
Das Land hat relativ wenige Rohstoffe, wenige
Freunde und Geldgeber in der westlichen Welt. Dennoch ist die Kluft
zwischen Arm und Reich im Vergleich zu anderen arabischen Staaten
gering geblieben. Obwohl es kaum politischen Freiraum gibt,
genießen die Syrer unter dem formal säkularen
Baath-Regime einen gesellschaftlichen Liberalismus,
größer als in den Nachbarländern. Das kommt vor
allem Frauen zugute, die in mittleren Führungspositionen gut
vertreten sind und mehr als die Hälfte der Studentenschaft
stellen. Wenn es statt um Öl um westliche Werte ginge,
bemerken Syrer, müssten sich die USA nicht mit dem
totalitären saudischen Regime aus der "islamischen Steinzeit"
verbünden, sondern mit dem säkularen Syrien.
Syrien befindet sich weiter im Kriegszustand
mit Israel. Dennoch leben die verbliebenen Juden im friedlichen
Nebeneinander mit den anderen Religionen. Syrien ist nach dem
Irak-Krieg sogar zum Refugium zehntausender Christen aus dem
Nachbarland geworden. Toleranz, Ruhe und Ordnung in Syrien, das bis
2000 von der eisernen Hand Hafez al-Assads regiert wurde, stehen im
Kontrast zum blutigen Chaos an Euphrat und Tigris.
Noch in den 50er- und 60er-Jahren war das
Land zerrüttet von unzähligen Putschen, ein Spielball
europäischer Mächte. 1982 herrschte de facto
Bürgerkrieg zwischen radikalen Muslimbrüdern und dem
Assad-Regime. Seit der blutigen Niederschlagung des Aufstandes der
Muslimbrüder in Hama waren die Baathis-ten ein Garant für
Stabilität. Doch diese hat einen hohen Preis:
Willkürliche Verhaftungen und brutale
Menschenrechtsverletzungen gehören bis heute zum Alltag in
Syrien.
Die sprichwörtliche Ruhe, ob positiv
oder als Starre empfunden, ist jedoch dabei aufzubrechen. Bei den
Syrern wächst die Ungeduld gegen die wirtschaftliche und
politische Verkrustung. Ihnen gehen die Reformen des jungen
Präsidenten Baschar al-Assad zu zäh voran. Zwar ist das
Land einem rasanten sozialen Wandel ausgesetzt, und Assad hat daran
großen Anteil. Vor fünf Jahren wurden die Syrer aus einem
"Tal der Ahnungslosen" mit zwei staubigen staatlichen TV-Sendern
ins Zeitalter des internationalen Satellitenfernsehens mit
hunderten Kanälen katapultiert, ist das Internet für die
Bevölkerung zugänglich geworden, haben Mobiltelefone das
Leben verändert. Doch Zugang zu Kommunikation und Information
haben sich noch nicht in mehr politischer Freiheit oder
Mitbestimmung niedergeschlagen. Das ist ein
Spannungsverhältnis, das in allen arabischen Staaten zu
spüren ist und das die autoritären Regime nicht
länger ungestraft ignorieren können.
Assad hat Hoffnungen geweckt, die er nicht
ganz eingelöst hat. Der bedeutendste Rückschlag war die
Niederschlagung des Damaszener Frühlings 2001. Hardliner
befürchteten, das Aufleben der oppositionellen säkularen
Zivilgesellschaftsbewegung könnte zu einer Revolution
ausufern. Assad gab nach und ließ namhafte Oppositionelle
verhaften. Daraufhin konzentrierte er sich auf die Reform der
Wirtschaft und Verwaltung nach dem chinesischen Modell:
wirtschaftliche Modernisierung mit möglichst wenig politischen
Zugeständnissen. Die meisten Oppositionellen sind
überzeugt, dass Assad ohne außenpolitischen Druck mehr
Reformen wagen würde. Nun hat er sich für Sicherheit
statt Experimente entschieden.
Auch der Baath-Kongress Mitte Juni hat
Oppositionelle enttäuscht, die auf die Aufhebung des
Ausnahmezustands und die Zulassung unabhängiger Parteien
hofften. Dennoch war der Kongress ein weiterer Schritt in die
richtige Richtung. Viele aus der alten Garde traten von der
politischen Bühne ab, Assad konnte jüngere Kräfte
auf wichtige Positionen hieven. Außerdem soll die Macht der
Partei und des kraken-ähnlichen Sicherheitsapparats
eingeschränkt werden. Reformprojekte wie das private
Bankenwesen, neue Gesetze zur Ankurbelung von Investitionen haben
bereits zu greifen begonnen. Die Ratifizierung eines
Assoziierungsabkommens mit der EU ist nach zähen Verhandlungen
auf den Weg gebracht.
Doch die Drohungen der Neokonservativen in
Wa-shington hängen wie ein Damoklesschwert über Assad.
Sie wollen einen Regime-Wechsel in Damaskus, nachdem der Irak als
Feind Israels ausgeschaltet ist. Entschieden wie kein anderer
arabischer Staatschef hatte sich Assad im März 2003 gegen den
Irak-Krieg gestellt. Dabei zogen die panarabischen Baa-thisten die
Bewunderung vieler Araber auf sich, die in ihren Hauptstädten
wütend gegen den Krieg und oft auch gegen ihre arabischen
Regierungen protestierten. Innenpolitisch konnte Assad mit seiner
harten Haltung ebenfalls punkten. Zwar drängen die Syrer auf
Reformen, doch wollen die meisten eine geordnete Veränderung
aus eigener Kraft, nicht per US-Diktat. Wachsender
Antiamerikanismus verbindet Regime und Opposition. Ironischerweise
führt dies auch zu einer Interessengemeinschaft zwischen
sunnitischen Islamisten und dem einst verhassten Regime, das von
Alawiten dominiert wird.
Assad pokerte hoch. Wochen nach dem
Irak-Krieg sah es so aus, als drohe ein Militärschlag gegen
Syrien. Dieser blieb zwar aus, aber die politische Erosion und
Brüche in der Führung gehören seitdem zur Strategie
der USA. Oppositionelle sprechen von einer Pluralisierung von
Machtzentren. Akteure in der Partei, in Geheimdiensten und im
Militär trauen sich aus der De-ckung, verfolgen eigene
Interessen und arbeiten manchmal gar gegeneinander.
Der unerfahrene und oft steif wirkende Assad,
der in England studierte und eigentlich Augenarzt werden wollte,
hatte keine Schonfrist, als er im Juli 2000 mit 34 Jahren als
erster "Kronprinz" einer arabischen Republik das Amt des Vaters
antrat. Nur knapp drei Monate später begann die Zweite
Intifada. Die Friedensgespräche mit Israel, in denen der alte
Assad um Haaresbreite die Rückgabe des besetzten Golans
erreichte, gerieten ins Stocken. Ein Jahr später sandte der
11. September Schockwellen in den Nahen Osten. "Terrorismus" wurde
zum Sammelbegriff mit wässrigen Konturen. Er diente Israel und
bald auch den USA dazu, den palästinensischen Widerstand
pauschal da-runter zu fassen. Für das Regime jedoch ist die
propa-lästinensische Politik ein Pfeiler seiner
Legitimität. Als US-Präsident Bush die Parole "mit uns
oder gegen uns" ausgab, fand sich Syrien auf der "falschen" Seite
wieder.
Der Irak-Krieg kam als Testfall für
Assad. Viele fragten sich, wie wohl sein Vater gehandelt
hätte, der sich im Golfkrieg 1991 überraschend an die
Seite der Amerikaner gestellt hatte. Schließlich waren die
meisten Syrer froh, dass Saddam gestürzt wurde. Der
Bruderzwist zwischen den Baath-Parteien in Syrien und Irak ist
nicht vergessen. Kritik an Baschar al-Assads Haltung im Irak-Krieg
kommt auch von Teilen der Opposition. Michel Kilo, führender
Kopf der Zivilgesellschaftsbewegung, ist überzeugt: "Hafez
al-Assad hätte den Konflikt mit den Vereinigten Staaten
vermieden. Das kann jetzt nur noch die letzte Schlacht
bedeuten."
Diese Worte erlangten mit den Turbulenzen im
Libanon ein neues Gewicht. Im Herbst vergangenen Jahres beging
Assad einen entscheidenden Fehler. In einer persönlichen
Auseinandersetzung überwarf er sich mit Libanons Premier Rafiq
Hariri. Vor dem Hintergrund des internationalen Drucks wollte Assad
in der Libanon-Frage nach innen wie nach außen Stärke
beweisen.
Als Provokation empfand er die UN-Resolution
1559, die den Abzug syrischer Truppen aus dem Libanon forderte.
Washington nutzte sie, um Syriens Handlungsspielraum weiter zu
beschneiden. Assad verkannte den Ernst der Lage, reagierte trotzig,
setzte das Parlament in Beirut unter Druck, die Verfassung zu
ändern und dem prosyrischen Präsidenten Lahoud eine
weitere Amtszeit zu ermöglichen. Hariri, ein sonst eher
moderater Politiker, protestierte, trat nach dem Zusammenstoß
mit Assad zurück und näherte sich der antisyrischen
Opposition an. So zeigten nach seiner Ermordung am 14. Februar alle
Finger nach Damaskus.
Ob Assad an der Entscheidung beteiligt war,
ist noch nicht geklärt. Das Attentat erscheint zumindest nicht
als sein "Stil", wenn man seinen Charakter und seine bisherigen
Handlungen analysiert. Wie auch immer: Assad ist der Verlierer.
Sollten Teile des syrischen Geheimdienstes auf eigene Faust
gehandelt haben, ist das ein weiteres Indiz, dass ihm die
Zügel aus der Hand gleiten. Hat er mit entschieden, Hariri zu
ermorden, wäre sein Ruf ruiniert.
Mit dem erzwungenen Abzug aus dem Libanon
musste Assad einen weiteren Gesichtsverlust hinnehmen. Doch das
Desaster könnte ihm auch helfen, finanzielle und politische
Erblasten abzuwerfen. Die Beziehungen zum Libanon werden auf
wirtschaftlicher Ebene weiter rege bleiben. Assad hat auf der Suche
nach neuen Partnern zudem die Türkei gewonnen. Die
Verbindungen mit dem Nachkriegs-Irak haben sich ebenfalls positiv
entwickelt. Syrien könnte somit als Handelsscharnier seine
geografische Lage nutzen, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen
und damit den Verlust an politischer Macht zu
kompensieren.
Die EU sollte sich auf Assad und seine
Reformmannschaft konzentrieren, ohne bedingungslose Hilfe
anzubieten. Der Druck, Menschenrechte einzuhalten und Reformen
durchzuziehen, muss aufrechterhalten bleiben. Statt eines
Regimewechsels verfolgen die Europäer das deutsch-deutsche
Konzept "Wandel durch Handel". Auch die Syrer hoffen auf einen
weichen Wandel statt auf einen lauten Zusammenbruch. Ob Assad Teil
der Lösung und einer neuen Ordnung sein kann, wird sich daran
entscheiden, ob er nach innen seinen Reformwillen stärker
zeigt und die außenpolitischen Klippen ohne weiteren Schaden
zu umschiffen weiß.
Dr. Carsten Wieland, zurzeit Kairo/Damaskus, ist
Politikwissenschaftler und Redakteur bei dpa.
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