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Ludwig Watzal
Frieden ist möglich - aber
unwahrscheinlich
Das Kernproblem Palästina - die
völkerrechtliche Sicht
Frieden zwischen Israel und Palästina ist
prinzipiell möglich, aber unter den gegebenen Umständen
eher unwahrscheinlich. Einen gerechten und dauerhaften Frieden kann
es nur geben, wenn der historischen Wahrheit zum Durchbruch und dem
Völkerrecht Geltung verschafft werden. Zurzeit scheint eher
das Gegenteil der Fall zu sein: Die israelische Regierung baut
einen "Sicherheitszaun", der um palästinensische
Bevölkerungszentren eine acht Meter hohe Mauer bildet.
Die Errichtung dieses Grenzwalles wurde vom
Internationalen Gerichtshof in Den Haag in einem Urteil vom 9. Juli
2004 als "völkerrechtswidrig" bezeichnet, weil er zum
größten Teil auf besetztem Land gebaut wird.
Die wichtigste Voraussetzung für einen
gerechten und dauerhaften Frieden hat der ehemalige
Nahostkorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, Arnold
Hottinger, 1994 so formuliert: "Die Palästinenser können
nicht ,gerecht' behandelt werden, solange man vor sich selbst, vor
ihnen und vor der ganzen Welt abstreitet und leugnet, was sie
erleiden mussten und bis zur Gegenwart weiter erleiden. Dies ist
nicht nur eine moralische, sondern auch eine politische Grundfrage.
Es wird und kann keinen wirklichen Frieden geben, solange die
Israelis sich selbst und dem Rest der Welt erklären, sie
hätten immer moralisch und politisch richtig, gerecht und
sauber gehandelt. Nur wenn sie einmal selbst erkennen, dass sie den
Palästinensern schweres Unrecht angetan haben, besteht die
Möglichkeit, dass ein dauernder Frieden mit ihren heutigen
Untertanen und künftigen Nachbarn (?) zustande kommen
kann."
Auch Simcha Flapan, ehemaliger Sekretär
der sozialistischen Mapam-Partei und Leiter des Referats für
Arabische Angelegenheiten, geht es im Nahost-Konflikt um die
historische Wahrheit. "Die Mythen des Staates bilden den Kern des
israelischen Staatsverständnisses", so der Autor. Sie zu
entzaubern und der historischen Wahrheit zum Durchbruch zu
verhelfen, war zentrales Anliegen seines Buches "Die Geburt
Israels", dass 2005 (Melzer Verlag) neu aufgelegt worden
ist.
Die "sieben Mythen" entstanden zwischen 1948
und 1952 und bestimmen die Geschichte Israels bis heute. Sie bilden
die Essenz des israelischen Selbstverständnisses und werden
von Flapan relativiert und teilweise widerlegt. Bereits 1988 schieb
Flapan: "Das Diaspora-Judentum und die Freunde Israels in aller
Welt müssen begreifen, dass die Politik, die Israel heute
betreibt, dazu verdammt ist, den Kreislauf der Gewalt und des
Terrors immer weiter in Gang zu halten, jene Kette
willkürlicher und sinnloser Mordanschläge, die uns
jedesmal aufs Neue schockieren, gleich, ob sie mit Pistolen oder
Bomben begangen werden. Wenn die Armee eines Landes für die
Ermordung eines seiner Bürger grausame kollektive Rache nimmt,
so ist dies um keinen Deut rechtschaffener oder bewundernswerter
als die individuelle Rache eines verzweifelten Jünglings nach
der Ermordung eines der Seinen. Wenn das eine als ,nationale
Verteidigung' und das andere als ,Terrorismus' bezeichnet wird, so
sind das Begriffe, die nur Propaganda und eine verzerrte Sicht
geprägt haben."
Neben dem Faktor Wahrheit ist die
Realisierung des Völkerrechts für einen Friedensprozess
unerlässlich. Am 9. Juni 2005 hat das Oberste Gericht Israels
die Bedeutung des Völkerrechts in einer Entscheidung
hervorgehoben, in der es den Weg für den Abzug der
Besatzungstruppen aus dem Gaza-Streifen und aus vier Siedlungen in
der Westbank freigemacht hat. Die Entscheidung war eindeutig: elf
von zwölf Richtern gaben dem Abzug ihren Segen. In der
Begründung stehen bemerkenswerte Sätze wie: "Judäa
und Samaria (Westjordanland, L.W.) und der Gaza-Streifen sind
Gebiete, die durch Krieg erobert wurden und nicht Teil Israels
sind." Sie befänden sich unter "kriegerischer Besatzung" und
unterliegen nicht israelischer Jurisdiktion. Implizit
bestätigen die Obersten Richter damit nicht nur die
Anwendbarkeit und Geltung des Völkerrechts, sondern auch die
bestehende Waffenstillstandslinie von 1949 als offizielle Grenze
Israels.
In der Präambel der
UN-Sicherheitsratsresolution 242 steht, "dass es nicht angeht,
Territorium durch Krieg zu erobern". Dies schließt ein, dass
die israelische Besetzung palästinensischen Landes beendet,
das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser anerkannt, ein
souveräner Palästinenserstaat mit der Hauptstadt
Ost-Jerusalem geschaffen, die Rückkehr der Flüchtlinge
gemäß den UN-Resolutionen gestattet sowie die
Auflösung der Siedlungen in den besetzten Gebieten beschlossen
wird. Letztere stellen das Haupthindernis für einen gerechten
Frieden dar.
Auf der Grundlage der gescheiterten
Oslo-Verträge, der Roadmap oder der so genannten Genfer
Initiative kann kein dauerhafter Frieden erreicht werden, da sie
dem Prinzip der Gleichheit der Partner widersprechen. In diesen
Dokumenten gibt es keine Anerkennung der Ursachen des Konfliktes,
kein Wort zur Flucht- und Vertreibungsproblematik von 1948 und 1967
sowie nichts über die verheerenden Auswirkungen der langen
Besatzungsherrschaft.
Einem dauerhaften Frieden steht weiterhin
entgegen, dass die USA und die EU glauben, diese Abkommen und
Konzepte seien gerecht und bedürften deshalb keiner
Verbesserung. Insbesondere die einseitige Fixierung der USA auf
israelische Sicherheitsinteressen trägt langfristig eher zu
fortdauernder Ungerechtigkeit in der Region bei. Solange die
US-Präsidenten in jeder palästinensischen
Verhandlungsposition eine potenzielle Bedrohung Israels sehen,
können sie nicht "ehrlicher Makler" sein. Dies dokumentiert
schon die Sprachregelung der verschiedenen US-Regierungen. Noch am
21. April 1978 hat das State Department in einem Rechtsgutachten
für den Kongress eindeutig die Siedlungen als
"völkerrechtswidrig" bezeichnet. Für die
Clinton-Regierung waren die besetzten Gebiete nur noch "umstrittene
Gebiete", und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sprach im
September 2002 von "so genannten besetzten Gebieten".
Nur ein Neuanfang kann wieder Bewegung in die
total verfahrene Situation bringen. Insbesondere die vier Jahre der
Al-Aqsa-Intifada haben das politische Vertrauen zwischen Israelis
und Palästinensern zerstört. Dieser Neubeginn sollte im
Rahmen einer internationalen Friedenskonferenz unter Beteiligung
der Vereinten Nationen, der Europäischen Union, Russlands und
der USA gemacht werden. Unter Teilnahme aller Konfliktparteien -
Israels, Syriens, des Libanons und der Palästinenser -
könnte es gelingen, der Region einen stabilen Frieden zu
sichern.
Wenn ein Akteur berufen ist, am
Verhandlungstisch zu sitzen, dann sind es die Vereinten Nationen.
Israel ist der einzige Staat, der durch eine UN-Resolution
geschaffen worden ist. Auch die palästinensischen
Flüchtlinge werden von Beginn ihrer Vertreibung und Flucht von
der UN-Organisation UNRWA betreut. Der Konflikt ist umrahmt von
einem völkerrechtlichen Regelwerk. Er muss durch die Umsetzung
von Völkerrecht und nicht durch politische Oktrois gelöst
werden.
Die Teilungsresolution 181 der
UN-Generalversammlung vom 29. November 1947 definiert Jerusalem als
"corpus separatum" und stellt die Stadt unter internationale
Verwaltung; die UN-Resolutionen zu Jerusalem sind Legion. Die
Resolution 194 (III) der Generalversammlung vom 11. Dezember 1948
regelt die Rückkehr und die Entschädigung der
palästinensischen Flüchtlinge. Die Resolution 242 des
Sicherheitsrates besagt, dass sich Israel aus allen besetzten
Gebieten zurückzuziehen habe, und dass Landerwerb aufgrund von
militärischer Besetzung illegal sei. Der Transfer der eigenen
Bevölkerung in besetztes Gebiet widerspricht der vierten
Genfer Konvention, ebenso die Annexion von Gebieten wie den
Golanhöhen und Ost-Jerusalem. Hier wird deutlich, welch
eminent wichtige Rolle das Völkerrecht und die UNO in diesem
Konflikt haben, aber bis heute wurde die Weltorganisation bei der
Lösung außen vor gelassen.
Dr. Ludwig Watzal arbeitet als Redakteur in Bonn.
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