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Peter L. Münch-Heubner
Die kleinen Könige Irans
Religiöse Stiftungen halten die Fäden
in der Hand
Die Iraner nennen sie "kleine Könige". In ihren Händen
laufen die Fäden der wirtschaftlichen und auch der politischen
Macht in der Islamischen Republik zusammen. Ihre Königreiche
sind die "revolutionären Stiftungen", die "Bonyads", denen sie
vorstehen und deren Namen im Iran jedes Kind schon kennt. Denn
diese Stiftungen sind nicht nur religiöse Einrichtungen,
sondern auch die größten Unternehmer im Land der Mullahs.
Und sie sind ein eigenständiges Sozialsystem. Ein
Sozialsystem, auf das heute wieder viele jener unter der
Armutsgrenze lebenden Iraner setzen, die dem neuen Präsidenten
Mahmud Ahmadi-Nedschad bei den letzten Wahlen ihre Stimmen gegeben
haben. Denn ihnen, den "Armen und Barfüßigen", hat er
soziale Gerechtigkeit, eine neue islamische Sozialpolitik
versprochen. So neu ist das alles indes nicht. Schon einmal, im
Jahr der Islamischen Revolution, hatte Revolutionsführer
Chomeini seinen Landsleuten eben eine solche islamische
Sozialpolitik angekündigt. In deren Zentrum sollten die
Stiftungen stehen. Doch die machten in den letzten Jahren weniger
als Sozialstaat denn vielmehr als ökonomische
Machtkonzentration und durch viele Korruptionsskandale von sich
reden.
Zum Imperium einzelner "Bonyads" gehören heute
Großunternehmen in der Industrie, Handelsgesellschaften,
Finanzinstitute, Wohnbau- und Fluggesellschaften sowie schier
unüberschaubarer Grundbesitz. Schätzungen gehen davon
aus, dass diese Institutionen fast 60 Prozent der iranischen
Wirtschaft kontrollieren. Eine der bekanntesten dieser
religiösen Einrichtungen, die "bonyad-e mostazafan", die
"Stiftung der Entrechteten", besitzt Firmenguthaben in Höhe
von 12 Milliarden US-Dollar und setzt im Jahr mehr Geld um als der
Staat an Steuern einnimmt.
Als, wie es in den Überlieferungen aus dem Leben des
Propheten Muhammad heißt, "Gabe für die Armen" haben
islamische Stiftungen als soziale Einrichtungen im Orient immer
schon eine bedeutende Rolle gespielt. Die Imam-Reza-Stiftung im
Iran kann so auf eine fast tausendjährige Geschichte
zurückblicken, in der wohlhabende Gläubige ihr
Vermögen dieser Einrichtung zu wohltätigen Zwecken
vermacht haben. Über die Jahrhunderte hinweg hatten sich so
erhebliche Vermögenswerte angesammelt, die zu Zeiten des Schah
allerdings totes Kapital geblieben waren.
Nach 1979 sollte sich das alles ändern, sollten wieder die
"mostazafan", die "Entrechteten", die Armen zu Nutznießern der
sozialen Funktion dieser nunmehr "revolutionär" umgestalteten
Institution werden. Zusätzlich ausgestattet mit dem
Vermögen der enteigneten Günstlinge des Schah - und auch
dem seiner Familie - sollten sie nun als religiöse
Wohlfahrtsverbände Kernstück eines islamischen
Wohlfahrtssystems, eines "Gegenmodells" zum westlichen Sozialstaat
werden.
Im Zeichen von "Islamisierung und Entwestlichung der Wirtschaft"
bezieht schon die Verfassung der Islamischen Republik gleich in
ihrer Präambel Position gegen die Profitorientierung
westlicher Wirtschaftssysteme. Ziel jeglichen "islamischen"
ökonomischen Handelns müsse hingegen, wie Kapitel 1
Artikel 3 der Verfassung fordert, die Errichtung einer
gottgewollten "gerechten" Wirtschaftsordnung sein, in der Wohlstand
nicht das Privileg einzelner ist und das erwirtschaftete Kapital
auch zur Bekämpfung der Armut eingesetzt werden soll. Auf
diesem verfassungsmäßigen Boden agieren die Stiftungen
heute sehr wohl, doch Theorie und Wirklichkeit klafften von Anfang
an weit auseinander.
Soziale Dienste werden vor allen Dingen von der "bonyad-e
shahied", der "Stiftung der Märtyrer" und dem Flaggschiff der
islamischen Wohlfahrtspolitik, der "bonyad-e mostazafan" geleistet.
Offizielle Aufgabe beider Organisationen ist die soziale
Fürsorge für all diejenigen, die im Iran als "arm"
eingestuft sind. Darin enthalten sind etwa die Übernahme
medizinischer Behandlungskosten, die Gewährung von
Einkommens-unterstützung, die Betreuung von Behinderten, die
Bereitstellung von Vorschulplätzen in eigenen Einrichtungen
sowie Beihilfen zu Erziehung und Ausbildung. Vor der sozialen
Realität im Iran aber hat die islamische Wohlfahrtspolitik
längst kapitulieren müssen. Denn 40 Prozent aller Iraner
leben unter der Armutsgrenze. Sie zu versorgen war und ist eine
Herkulesaufgabe, die die "bonyads" eigentlich wirklich nie allein
bewältigen konnten. So erreichen deren Hilfsleistungen heute
nur jeden fünften Bedürftigen. Doch es könnten
durchaus mehr sein, denn die Gesamtausgaben aller Stiftungen
für Soziales stehen in eher kläglichem Verhältnis zu
den allgemein geschätzten Einnahmen im Unternehmensbereich.
Für viele Kritiker beweisen solche Zahlen, dass
Klientelwirtschaft die Arbeit der Sozialdienste der "bonyads"
beherrscht.
Rücksichtsloses Profitstreben statt islamisch solidarischem
Handeln, Filz an allen Orten, beginnend bei der Besetzung
führender Positionen und endend bei der Verteilung der
Hilfsmittel, so präsentieren sich die Stiftungen heute.
Längst sind die Skandale, die mit Vetternwirtschaft und
Korruption verbunden sind, nicht mehr so leicht unter die Decke
einer Zensur zu kehren wie früher. Präsident
Ahmadinedschad hat nun der Korruption den Kampf angesagt und eine
Rückkehr zu den "Werten der Islamischen Revolution" gefordert.
Doch wenn der Konservative Nepotismus und "Bereicherung"
anprangert, meint er den Staat, nicht die Stiftungen. In der das
politische System des Irans kennzeichnenden Zweigleisigkeit von
staatlicher Gewalt und religiöser Führung - erstere
repräsentiert durch den Staatspräsidenten, letztere durch
"Revolutionsführer" Ali Chamenei - sind die "Bonyads" nur der
geistlichen Herrschaft gegen über verantwortlich. So hat die
staatliche Justiz in der Vergangenheit schon oft versucht, Vergehen
der Stiftungsleiter zu ahnden. Gegen den Leiter der "bonyad-e
mostazafan" wurde schon mehrere Male vor Gericht Anklage wegen
Veruntreuung von Stiftungsgeldern erhoben. Auf Druck der
religiösen Führung unter Ajatollah Chamenei wurde aber
bislang noch jeder Prozess abgebrochen. Ahmadinedschad galt schon
im Wahlkampf als Gefolgsmann Chame-neis. Dass er nun als
Präsident solche Verfahren gutheißen könnte, gilt
als eher unwahrscheinlich. Zudem haben die "Bonyads" in
Wahlkämpfen schon immer konservative Kandidaten
unterstützt, auch finanziell. So werden staatliche Initiativen
gefragt sein, wie etwa das soziale Wohnbauprogramm des vormaligen
Bürgermeisters von Teheran.
An einer Deregulierung der Staatswirtschaft ist der neue
Präsident anders als der von ihm bei den Wahlen geschlagene
Rafsandschani kaum interessiert. Rafsandschani, der während
seiner Amtszeit als Staatspräsident eine Politik der
Wirtschaftsliberalisierung einleiten wollte, bekam schon damals die
Macht der "kleinen Könige" zu spüren: Als er zu Beginn
der 90er-Jahre viele der nach der Revolution verstaatlichten
Großbetriebe wieder privatisieren wollte und Staatsanteile an
der Börse von Teheran zum Verkauf anbieten ließ, wurden
diese fast gänzlich von Maklern im Dienste der Stiftungen
aufgekauft. Die "Bonyads" haben kein Interesse an mehr Markt und
Öffnung - das könnte ihre Machtposition gefährden.
Doch ging es bei den letzten Präsidentschaftswahlen im Iran
nicht nur um die Pfründe der "kleinen Könige".
Die Reformpolitik des in Europa so sehr bewunderten Chatami, der
bei seinen Liberalisierungen keine glückliche Hand bewiesen
hat, hat viele Verlierer zurückgelassen. "Importe aus dem
Westen" sind eben nicht nur eine "Bedrohung" vom religiösen
Standpunkt aus gesehen. Sie haben auch die einheimischen
Produzenten unter Druck gesetzt und die Arbeitslosigkeit weiter
ansteigen lassen. Bei all diesen Verlierern der
Öffnungspolitik Chatamis hat Ahmadinedschad heute neue
Hoffnungen geweckt.
Doch wenn der neue Präsident den in der Verfassung
festgeschriebenen sozialen Staatszielsetzungen gerecht werden will,
wenn er seine "islamische Sozialpolitik" Realität werden
lassen will, dann muss er das tun, was in einer Studie der
Internationalen Imam-Chomeini-Universität unlängst
gefordert wurde, nämlich die Stiftungen der Kontrolle eines
neu zu schaffenden, einheitlichen Sozialministeriums unterstellen.
Doch dass dies geschehen könnte, bezweifeln viele.
Dr. Peter L. Münch-Heubner ist Orientalist und
Lehrbeauftragter an der Universität der Bundeswehr
München/Neubiberg.
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