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Amke Dietert
Der Traum vom vereinten Kurdistan lebt in den
Herzen
Im "neuen" Irak gewinnen die Kurden an
politischem Einfluss
Die Neukonstruktion des Iraks wird
wahrscheinlich dazu führen, dass die Kurden im Norden erstmals
in ihrer Geschichte eine regionale Eigenverwaltung mit rechtlich
abgesichertem Status erlangen. Die Ausgestaltung dieses Status wird
noch Gegenstand schwieriger Auseinandersetzungen mit arabischen
Sunniten und Schiiten sein, aber wie immer das Ergebnis aussieht:
Die Kurden werden keinen Rückfall hinter ihre seit Ende des
Golfkriegs 1991 bestehende faktische Selbstverwaltung
akzeptieren.
Die Kurden sind mit einer geschätzten
Anzahl von 30 bis 40 Millionen das größte Volk im Nahen
Osten ohne eigenen Staat. Ihr Siedlungsgebiet wurde zuerst im 16.
Jahrhundert zwischen dem Osmanischen und Persischen Reich geteilt.
Mit der Neuordnung der Region nach dem Ersten Weltkrieg wurden die
Kurden, die zuvor im Osmanischen Reich gelebt hatten, auf die neu
entstandenen Staaten Türkei, Irak und Syrien aufgeteilt. Diese
jüngste Teilung ist von ihnen im Grunde nie akzeptiert worden
und vor allem in der Türkei und im Irak kam es immer wieder zu
Aufständen. In der Türkei hat es nach der offiziellen
Geschichtsschreibung bis 1938 insgesamt 28 Aufstände gegeben,
die alle niedergeschlagen wurden.
Die Kurden im Norden, in der ehemaligen
osmanischen Provinz Mosul, hatten von Anfang an Widerstand gegen
den Zusammenschluss mit den beiden arabischen Provinzen Bagdad und
Basra zum Staat Irak geleistet. Sie hatten zeitweise Teile des
kurdischen Gebietes unter ihre Kontrolle gebracht und 1970 ein
Autonomieabkommen durchgesetzt, welches aber nie in die Praxis
umgesetzt wurde. Mit dem Vertrag von Algier zwischen Saddam Hussein
und dem Schah des Irans, in dem zwischen beiden Seiten vereinbart
wurde, die Unterstützung der Kurden im jeweils anderen Land zu
beenden, war der Kampf zunächst verloren. 1988 führte
Bagdad einen groß angelegten Angriff gegen das Kurdengebiet
unter Einsatz chemischer Waffen. Nach dem Golfkrieg 1991 wurde mit
der Resolution 688 des UN-Sicherheitsrats dem Irak ein Flugverbot
für das Gebiet nördlich des 36. Breitengrades erteilt und
für die dort lebenden Kurden eine "Sicherheitszone" errichtet.
In diesem Gebiet, das den größten Teil des
Siedlungsgebietes der Kurden im Irak umfasst, gründeten sie
eigene Institutionen, hielten Wahlen für ein Regionalparlament
ab und gründeten eine föderale kurdische
Regierung.
Nach dem Sturz des Saddam-Regimes streben die
Kurden im Irak danach, ihre faktische Freiheit auf eine rechtliche
Grundlage zu stellen. Die im März 2004 angenommene
vorläufige irakische Verfassung entspricht dieser Erwartung im
Prinzip. Bei den Parlamentswahlen vom 30. Januar 2005 erzielte die
Vereinigte Kurdische Liste einen großen Erfolg und wurde -
nach den Schiiten - zur zweitstärksten Kraft im irakischen
Übergangsparlament. Der Kurde Jalal Talabani wurde
Staatsspräsident. Es kann als gesichert betrachtet werden,
dass der Irak ein föderativer Staat sein wird und
Irakisch-Kurdistan eines seiner föderativen
Gebiete.
Aber der Charakter der Föderation ist
unter den Parteien höchst umstritten: Die Kurden, die nach wie
vor von einem unabhängigen Staat träumen, jedoch
einsehen, dass dies nicht realistisch ist, streben eine lose
Föderation an, während die Araber eine sehr viel engere
zentralistische Föderation wollen. Auf der anderen Seite ist
der Status der ölreichen Stadt Kirkuk zentraler Streitpunkt.
Die Kurden bestehen darauf, dass Kirkuk zu Irakisch-Kurdistan
gehört, während gleichzeitig Araber und Turkmenen
Anspruch auf die Stadt erheben. In der Übergangsverfassung
wurde dieses Problem noch nicht gelöst, sondern Kirkuk bis zur
endgültigen Lösung ein Sonderstatus gegeben.
Der politische Status der Kurden ist nicht
nur von wesentlicher Bedeutung für die Neukonstruktion des
Iraks, er wird auch erheblichen Einfluss auf die Kurden in den
anderen Staaten und deren Regierungen haben. Irakisch-Kurdistan
hatte - obwohl nur der drittgrößte Teil - schon immer
starken Einfluss auf die Kurden in den anderen Teilen, da diese
dort am stärks-ten politisch organisiert waren. Mit dem Sturz
Saddams, der Neuetablierung der kurdischen Institutionen, dem
Wahlerfolg bei den Parlamentswahlen und der Wahl eines Kurden zum
Staatspräsidenten wurde bei den Kurden in den Nachbarstaaten
jedoch die Hoffnung geweckt, auch für sie täte sich jetzt
eine Chance auf, ihre Freiheit zu erlangen. Teilweise wird von
ihnen sogar die Erwartung geäußerst, die USA würden
nach den Kurden im Irak auch die in den anderen Staaten
befreien.
Aufgrund der unterschiedlichen Bedingungen in
den Staaten ist jedoch nicht damit zu rechnen, dass die
Entwicklungen in Irakisch-Kurdistan einen Domino-Effekt
auslösen werden. Im Iran wird ihnen zwar keine Autonomie
gewährt, aber es gibt kein Verbot der kurdischen Sprache und
Kultur. Iran ist verwaltungstechnisch in Provinzen aufgeteilt und
es gibt eine Provinz namens Kurdistan. Bestrebungen, mehr Rechte
für sie durchzusetzen, werden auch im Iran massiv
unterdrückt und die Angst vor einem möglichen Einfluss
der Entwicklungen in Irakisch-Kurdistan hat zu verschärften
Repressionen geführt. In jüngster Zeit wurden mehrere
inhaftierte Kurden gar zum Tode verurteilt. Sie sind jedoch nicht
so gut organisiert wie im Irak und ihre Erwartungen richteten sich
in den letzten Jahren eher auf demokratische Reformen im
Iran.
Syrien ist nach dem Sturz Saddam Husseins das
einzige Land, in dem die Baath-Partei mit ihrem arabisch-nationalen
Programm noch an der Macht ist. Der junge Baschar al-Assad
bemühte sich zwar anfangs um ein reformerisches Profil, aber
die Repressionen wurden sehr bald wieder angezogen. Die Zahl der
Kurden in Syrien ist im Verhältnis zu den anderen Staaten am
niedrigsten, sie wird auf circa 1,5 Millionen geschätzt. Ihre
Forderungen beschränken sich auf die Gewährung
kultureller Rechte und die Wiedereinbürgerung der Kurden,
denen in den 60er-Jahren die syrische Staatsbürgerschaft
aberkannt wurde. Davon sind etwa 250.000 Kurden betroffen, die noch
heute als staatenlos gelten.
Aufgrund der guten Kommunikationswege sind
die Einflüsse aus dem Nordirak in Syrien größer als
im Iran, was bei der Regierung in Damaskus Beunruhigung
auslöst. Die Unruhen in Qamishli am 12. März 2004 und das
Vorgehen der syrischen Polizei wird von vielen Kurden als eine
gezielte Einschüchterungsmaßnahme des Staates gewertet.
Anlass für die Gewaltausbrüche war ein Fußballspiel,
bei dem Araber Slogans für Saddam riefen, die Kurden für
Barzani. Die syrische Polizei griff ein und eröffnete das
Feuer. Nach kurdischen Angaben wurden mindestens 30 Kurden
getötet, Hunderte verletzt und circa 2.000 verhaftet.
Insgesamt wurden in Syrien ebenso wie im Iran die Repressionen
gegen sie verschärft.
Den größten Einfluss haben die
Entwicklungen im Irak auf die Kurden in der Türkei. Die
Politik dort war im Vergleich zu den anderen Staaten am
stärksten auf Assimilierung ausgerichtet. Es war lange
verboten, die kurdische Sprache zu sprechen, geographische
Bezeichnungen wurden durch türkische ersetzt, die Kurden als
"Bergtürken" bezeichnet. Das Sprachverbot wurde 1991
aufgehoben, nachdem Hunderttausende von Kurden aus dem Nordirak vor
den Angriffen Saddams in die Türkei geflohen waren. Im Rahmen
der Beitrittsbemühungen zur EU und der in diesem Zusammenhang
an die Türkei gestellten Forderungen im Bereich von
Demokratisierung und Menschenrechten wurden auch bezüglich der
Kurden einige Reformschritte unternommen. So gibt es seit 2004
private Kurdischkurse und - mit strikten inhaltlichen und
zeitlichen Beschränkungen - kurdischsprachige Sendungen in
Radio und Fernsehen.
Im Gegensatz zu den Kurden betrachtet die
türkische Regierung das Problem mit diesen Reformen offenbar
als gelöst. Ob von Seiten der EU diesbezüglich weitere
Forderungen aufgestellt werden, ist fraglich. Zwar wird in dem
Fortschrittsbericht der EU-Kommission vom Oktober 2004 die
Forderung nach einer vollständigen Achtung der Rechte von
Minderheiten erhoben, dies wird aber nicht konkretisiert und bisher
wurde von der Türkei nicht einmal die Erfüllung der von
EU und Europarat gesetzten Standards für Minderheitenrechte
gefordert.
Unter den Kurden ist die Zustimmung zu einem
Beitritt der Türkei besonders hoch, da sie sich davon eine
Verbesserung ihrer politischen und wirtschaftlichen Situation
versprechen. Sie sind jedoch enttäuscht darüber, dass sie
in dem Dokument zur Beitrittspartnerschaft - der türkischen
Politik folgend - nicht benannt werden und die Frage auch von der
EU als reines Menschenrechtsproblem gesehen wird. Bei ihnen ist
daher in letzter Zeit die Tendenz spürbar, die Hoffnungen
weniger auf eine EU-Mitgliedschaft, als auf die Perspektiven zu
setzen, die sich aus den Entwicklungen in Irakisch-Kurdistan
ergeben könnten.
Neben der Enttäuschung über die EU
und die begrenzten Reformschritte in der Türkei wird unter
ihnen auch zunehmend das Problem diskutiert, dass eine
EU-Außengrenze durch ihr Gebiet die Kurden in der Türkei
noch einschneidender von ihren Volksgenossen in den Nachbarstaaten
trennen würde. Der Traum von einem vereinten,
unabhängigen Kurdistan, der zwar derzeit von keiner relevanten
kurdischen Organisation ernsthaft als politisches Ziel vertreten
wird, aber dennoch in den Köpfen und Herzen weiter existiert,
müsste damit endgültig begraben werden.
Die Bestrebungen der Kurden im Irak nach
größtmöglicher Unabhängigkeit werden von
europäischen Politikern und Beobachtern oft als
Störfaktor und Ausdruck eines rückständigen
nationalen Denkens gesehen. Der Versuch der Gründung eines
unabhängigen Staates - sei es in einem Teil oder unter
Einschluss aller Teile - wäre in der Tat Sprengstoff für
die Stabiliät in der Region. Auch den Kurden ist klar, dass
die Verwirklichung dieses Traumes nicht realisierbar sein wird oder
unvorstellbare Opfer von ihnen verlangen würde. Ihre Erfahrung
hat den Kurden aber auch gezeigt, dass ihnen als Minderheit in den
Nationalstaaten der Region keine politischen und kulturellen Rechte
gewährt werden und letztlich auch ihre physische Existenz
nicht gesichert ist. Stabilität sowohl im Irak als auch in der
gesamten Region wird daher nur erreicht werden, wenn die Kurden in
allen Staaten in Sicherheit und mit einem für sie
zufriedenstellenden Rechtsstatus leben.
Amke Dietert, Ex-MdB, ist Mitarbeiterin am Deutschen
Orient-Institut in Hamburg.
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