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Katja Niethammer
Das bahrainische Experiment
Die Golfstaaten unterscheiden sich erheblich in
ihren wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen
Strukturen
"Wir haben der arabischen Welt ein politisches
Erfolgsmodell anzubieten", bewirbt der bahrainische
Vizeaußenminister, Scheich Abdulaziz bin Mubarak Al Khalifa,
das Reformprojekt seines Kleinstkönigreichs selbstbewusst.
"Unsere Herrschaftsform kann nur durch Reformen überleben. Wir
brauchen gute Regierungsführung und einen neuen
Gesellschaftsvertrag. Wir können auf exzellente Traditionen
zurückgreifen - das offene Madschlis (jour fixe) unserer
tribalen Tradition bietet Partizipationsmöglichkeiten, aber
das ist natürlich nicht mehr zeitgemäß. Wir
müssen zukunftsfähige Formen und Institutionen für
Partizipation schaffen. Regional bilden wir die
anstoßerregende Ausnahme. Anfangs bekamen wir nur Ablehnung zu
spüren, aber heute sehen uns die Nachbarn als
Experimentierfeld: Wir zeigen, wie man eine Monarchie modernisieren
und gleichzeitig stabilisieren kann."
Abdulaziz ist ein typischer Vertreter der
neuen Generation von Scheichs. So selbstverständlich er in
traditioneller Kleidung Gäste empfängt und Gespräche
im Fünfminutentakt durch Reichung neuer Süßigkeiten
und Getränke unterbrechen lässt, so sicher beherrscht er
das globale Demokratisierungsalphabet von Accountability
(Verantwortlichkeit) bis Ownership (Besitz) und Rule of law
(Rechtsstaatlichkeit). Am Reformdiskurs kommt heute kein Akteur der
Region mehr vorbei, ob religiöser oder weltlicher Scheich, in
Bahrain oder bei den Nachbarn.
Die kleinen im Golfkooperationsrat
zusammengeschlossenen Staaten Kuwait, Bahrain, Katar, Vereinigte
Arabische Emirate (VAE) und Oman - der große sechste im Bunde
ist Saudi-Arabien - werden von Europa meist als homogene
Staatengruppe wahrgenommen. Es regieren Dynastien - die
herrschenden Familien stellen neben dem Emir die wichtigsten
Entscheidungsträger - deren traditionell schwache
Autorität erst durch Öleinnahmen konsolidiert wurde. Doch
hier enden die Gemeinsamkeiten.
Heute sind die ökonomischen Grundlagen
im armen Bahrain oder im schwerreichen Abu Dhabi wenig
vergleichbar. Auch die ethnische und religiöse Zusammensetzung
der jeweiligen Bevölkerung variiert beträchtlich. In der
komplexen bahrainischen Gesellschaft mischen sich Araber und Perser
sunnitischer und schiitischer Denomination; nur eine Minderheit,
darunter die Königsfamilie, ist sunnitisch-tribaler Herkunft.
Solche Gruppen bilden dagegen die große Mehrheit der
Staatsbürger in den Emiraten und Katar.
"Liberalität des
Alkoholausschanks"
Schließlich unterscheiden sich die
Institutionen erheblich. So verfügt Kuwait seit 1963 über
ein partiell gewähltes Parlament mit weitgehenden legislativen
Befugnissen, wahlberechtigt indes waren aufgrund des
Mehrklassensystems kuwaitischer Staatsangehörigkeit bis vor
kurzem nur rund zehn Prozent der Bevölkerung. Am anderen Ende
stehen die VAE, in denen keine Wahlen stattfinden. Die
Liberalität, mit denen die Emirate werben, beschränkt
sich noch auf Alkoholausschank. Auch die kürzlich erfolgte
Berufung der ersten Frau in ein emiratisches Ministeramt lässt
die Autokratie unberührt.
Oman nimmt hinsichtlich der
Partizipationsmöglichkeiten eine mittlere Position unter den
Golfstaaten ein. Das Sultanat experimentiert mit einer Kombination
aus direkten und indirekten Wahlen zu einem beratenden Gremium ohne
legislative Kompetenzen. Katar wird - dank des TV-Senders Al
Dschasira - im Ausland häufig als reformfreudig wahrgenommen.
Doch wurden von den hochfliegenden Plänen allein die
Gemeinderatswahlen in der Hauptstadt umgesetzt. Die seit einigen
Jahren angekündigten nationalen Wahlen zu einem partiell
gewählten Parlament werden irgendwann folgen, doch an die
Etablierung von politischen Vereinigungen wagt im Land, das selbst
kulturelle Clubs meist untersagt, noch niemand zu
denken.
Den größten Reformeifer zeigte in
letzten Jahren Bahrain, das auf ein Parlament mit aktiven
politischen Vereinigungen und eine lebhafte Zivilgesellschaft
verweisen kann. Der Reformkurs des Inselstaats ist auch
ökonomisch motiviert. Bahrain verfügt über keine
nennenswerten Ölreserven mehr. So sieht sich die herrschende
Elite gezwungen, neue Wege zu gehen. Die Legitimität der
Herrscher kann sich nicht mehr auf die Verteilung von
Reichtümern ("Öl-Rente") stützen. Andere
Einkommensquellen müssen genutzt werden: Die ökonomische
Diversifizierung seit den 80er-Jahren führte dazu, dass sich
Bahrain als regionales Finanzzentrum und als beliebtes Ziel
für Wochenendtouristen aus den sittenstrengeren Nachbarstaaten
etablierte. Mittwochnacht bis Freitag sind die Inseln fest in der
Hand vergnügungssüchtiger Saudis, Kuwaitis und Kataris.
Beide Einkunftsmöglichkeiten erweisen sich jedoch als
höchst anfällig gegenüber inneren Unruhen. Gerade
solche prägten die 90er-Jahre. Die Opposition hatte versucht,
die autoritäre Herrschaft der Al Khalifa zu begrenzen und
ließ sich auch durch härteste Polizeimaßnahmen nicht
unterdrücken. Der Konflikt lud sich religiös auf und
wurde zunehmend als einer zwischen der unterrepräsentierten
schiitischen Mehrheit und den sunnitischen Klienten der
Königsfamilie wahrgenommen. Um die sozialen und politischen
Konflikte zu beenden, optierte die Elite seit der Thronbesteigung
von Scheich Hamad bin Issa Al Khalifa (1999) für eine
gesteuerte Liberalisierung. Anfänglich war das Reformtempo
beeindruckend: Der Generalamnestie aller politischen Häftlinge
folgte 2001 ein Referendum über die "Nationale Charta", die
den politischen Neuanfang festschreiben sollte. Das
parlamentarische Leben sollte (wieder) aufgenommen und eine
konstitutionelle Monarchie aufgebaut werden, in der
Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Transparenz
herrschten.
2002 verkündete Scheich Hamad die
grundlegend novellierte Verfassung, an der sich heutige Konflikte
entzünden. Der gewählten Kammer des Parlaments wurde eine
gleich große zweite, der Schura-Rat, zur Seite gestellt.
Dessen Mitglieder werden durch den König ernannt. Nach
Herrscherlesart dient diese Kammer, in die Geschäftsleute,
Frauen und Vertreter religiöser Minderheiten berufen wurden,
als Schutz gegen religiösen Extremismus, da beide über
dieselben legislativen Kompetenzen verfügen. Für die
Regierungsüberwachung und Budgetkontrolle ist jedoch allein
die gewählte Kammer zuständig. Die noch 2002 abgehaltenen
Parlamentswahlen wurden aus Protest gegen dieses Arrangement von
vier politischen Vereinigungen boykottiert - so auch vom
schiitisch-islamistischen al-Wifaq, der mitgliederstärksten
politischen Vereinigung des Landes. Die außerparlamentarische
Opposition versucht seither, die Straße zu mobilisieren, um
die Verfassung zu ändern.
Trotz Freiheiten, die in den Nachbarstaaten
keine Parallele finden - seit 2002 sind Restriktionen für
Vereine und politische Zusammenschlüsse aufgehoben, die
boomende oppositionelle Presse kann unzensiert über politische
Debatten berichten -, zeigen viele Bürger wenig Enthusiasmus.
"Können die USA wirklich eine Regierung unterstützen,
die, wenn sie zwei Schritte vorwärts geht, gleich drei
Schritte rückwärts anschließt?", nimmt die
Politikwissenschaftlerin und Aktivistin Munira Fakhro den
ehemaligen Chef in Powells Planungsstab, Richard Haas, ins Gebet.
Dessen Golftour führt ihn im Mai 2005 wieder nach Bahrain, dem
US-Vorzeigestaat. Erwartungsgemäß lobt er das
Königreich als Vorbild für die Region. Aber auch die
Oppositionellen haben sich modernisiert und versuchen bevorzugt,
Innenpolitik über Bande zu spielen: US-Akteure sollen den
Reformdruck auf König Hamad erhöhen. Fakhro legt
gegenüber Haas nach: "Ist dies eine Demokratie? Oder verdienen
wir nur eine zweit-rangige Version?" Als dieser in gedrechselten
Wendungen auf die vielen gesellschaftlichen Bedingungen, die der
Etablierung einer starken Legislative vorausgehen müssten,
verweist, breitet sich unwillkürlich ein Lächeln auf dem
Gesicht des Vizeaußenministers Abdulaziz aus: "Daran arbeiten
wir und Sie müssen uns helfen. Wir wollen nicht sein wie die
anderen arabischen Systeme, wir wollen mehr: Wir wollen mit Euch
ganz oben stehen."
Dies hält ein substanzieller
Bevölkerungsanteil Bahrains für leere Versprechungen.
Demonstrationen unter dem Slogan "Verfassungsreform zuerst" ziehen
Tausende von Unterstützern an. Nach libanesischem Vorbild
hüllen sich die Demonstranten in bahrainische Flaggen - die
Hisbollah- und Chomeini-Banner sind verschwunden. Der
Hauptorganisator der Proteste, al-Wifaq, ist bemüht, sich im
Mainstream des globalen Demokratie-Aktivismus zu bewegen, sehr zum
Gefallen seiner linksliberalen Alliierten. Sie alle eint das
Verständnis der bisherigen Reformen als Kosmetik: "Die
Regierung gewinnt doch nur Zeit, um sich weiter zu bereichern", so
Fakhro, selbst Mitglied der linken al-Amal al-Watani. Ein
Unwohlsein beschleicht die liberale Fakhro doch, wenn sie sich ihre
Alliierten ansieht, denn auf den vom Wifaq dominierten
"Verfassungsreform zuerst"-Demonstrationen ist sie die einzige Frau
im Männerblock. "Wir haben aber zurzeit keine Wahl. Die
Islamisten stellen seit den 80er-Jahren die Mehrheit. Deshalb will
ich, ehrlich gesagt, auch kein zu 100 Prozent gewähltes
Parlament; aber zumindest zwei Drittel der Abgeordneten müssen
gewählt werden."
Damit spricht sie ein Dilemma an, auf das die
Opposition noch keine überzeugende Antwort gefunden hat: Je
mehr tatsächliche Entscheidungsbefugnisse den gewählten
Parlamentariern gewährt werden, desto stärker wird die
Gesetzgebung islamisiert. Schon heute besteht die Mehrheit der
gewählten Kammer Bahrains aus Islamisten. Die größte
Fraktion bilden die Muslimbrüder, gefolgt von ebenfalls
sunnitischen, an Saudi-Arabien orientierten Salafis. Schiiten sind
im Parlament wegen des Boykotts nur als Unabhängige vertreten.
Einerseits lässt Partizipation die Einstellungen der
Islamisten vor allem in der Außenpolitik moderater werden.
Gleichzeitig versuchen die Abgeordneten dadurch Profil zu gewinnen,
islamische Moralvorstellungen durchzusetzen. In der gewählten
Kammer verabschiedete Gesetzesvorlagen schränken so den
Alkoholverkauf ein und erlauben Auto fahrenden Frauen, sich mit
komplettem Gesichtsschleier ans Lenkrad zu setzen. Die
vorparlamentarische Regierungspolitik dagegen wollte die
Verschleierung erschweren: Autofahren war nur ohne Schleier
möglich.
Besonders kontrovers ist die verabschiedete
Einrichtung eines Komitees, das "das Gute anordnen, das Schlechte
unterbinden" soll. Das Parlament sorgt also im liberalen Bahrain
dafür, die Art von Sittenpolizei einzurichten, die man beim
großen Nachbarn gerne loswerden würde und die weder den
Tourismus noch die Bankenansiedelung befördern dürfte. So
fällt es Scheich Abdulaziz leicht zum erprobten Argument zu
greifen: "Wissen Sie, ich bin glücklich, dass wir einen
Schura-Rat haben, denn ich will keine religiöse Gesetzgebung.
Aber, ich verrate Ihnen etwas: meine Frau ist noch viel
glücklicher darüber, als ich es bin."
Katja Niethammer ist Thyssen-Stipendiatin der Stiftung Wissenschaft
und Politik, Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und
Afrika.
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