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Ulrike Freitag/David Schmitz
Arabia felix zwischen Demokratie und
Diktatur
Ein politischer Balanceakt in Jemen
Ahmed Abdullah al-Hasani, ehemaliger Botschafter des Jemen in
Syrien, ersuchte Ende April die britische Regierung um Asyl. Seine
Begründung: die jemenitische Regierung habe einen Mordanschlag
auf ihn veranlasst. Zudem werde er wie andere Persönlichkeiten
aus dem ehemaligen Südjemen systematisch benachteiligt und
verfolgt. Ob al-Hasanis Anschuldigungen im Einzelnen einer
Überprüfung standhalten oder nicht - sie spiegeln eine im
Südjemen weit verbreitete Meinung. Demnach habe der
Bürgerkrieg von 1994, der dem Scheitern der 1990 vollzogenen
friedlichen Vereinigung des eher westlich orientierten,
konservativen Nordjemen und des marxistisch geprägten
Südjemen folgte, einer Annexion geglichen. Die politische
Elite sei entmachtet worden, ein islamisches
Gesellschaftsverständnis oktroyiert und natürliche
Reichtümer wie die bescheidenen Erdölvorkommen seien
fortan als Pfründe zwischen den Mitgliedern der
nordjemenitischen Elite aufgeteilt worden. Der Konflikt zwischen
Norden und Süden besteht, wie dieses Beispiel zeigt, aller
Regierungsrhetorik zum Trotz fort.
Im Gegensatz zu dem Bild eines innerlich gespaltenen und nur
durch Repression zusammengehaltenen Jemen, das Oppositionelle gern
im Ausland verbreiten, gibt es das kontrastierende Bild von dem
Land als blühende Demokratie auf der Arabischen Halbinsel.
Partizipationsmöglichkeiten und bürgerliche Freiheiten
sind sicher nicht mit denen westlicher Staaten zu vergleichen.
Dennoch gehört das Land auch nicht zu der Gruppe
nahöstlicher "Demokratien", die nur auf dem Papier existieren
und hinter denen sich autoritäre Herrscher, umgeben von
Netzwerken aus Geheimdienstlern, Militärs und
Wirtschaftsführern, verbergen. Es finden regelmäßig
Wahlen statt, bei denen vor der Abstimmung noch keine Listen mit
Wahlsiegern exis-tieren. Unregelmäßigkeiten sind an der
Tagesordnung, doch werden diese zumindest teilweise von einer
relativ freien Presse angeprangert.
Manche ausländischen Beobachter und Institutionen wie die
Friedrich-Ebert-Stiftung zeigen sich davon so beeindruckt, dass sie
dem Land eine "institutionell funktionierende und mit politischem
Leben erfüllte Demokratie" attestieren. Eine solche
Darstellung ist nicht gänzlich falsch. Doch kann man kaum von
einer funktionierenden Demokratie sprechen, wenn sie nicht ein
einziges Mal den Lackmustest eines friedlichen Machtwechsels durch
Wahlentscheidung bestanden hat. Die bisherigen Parlamentswahlen
führten zwar zu Regierungsumbildungen und der Teilhabe
unterschiedlicher politischer Koalitionen an der Macht, aber es kam
nie zu einem Wechsel im Amt des Präsidenten. Dieser, nicht
etwa der Ministerpräsident, legt die Grundlinien der Politik
fest, bestimmt über die Verwendung staatlicher Ressourcen und
stellt damit das eigentliche Machzentrum dar. Amtsinhaber Ali
Abdallah Salih zählt bereits mit zu den am längsten
amtierenden Staatsoberhäuptern und er macht gleichfalls
Anstalten, seinen Sohn als Nachfolger zu installieren. Arabiens
blühende Demokratie - eine solche Einschätzung ist zudem
problematisch, da sie das Spezifische an der jemenitischen
Entwicklung verkennt. Die erfolgreichen Wahlen auf lokaler und
regionaler Ebene, das zunehmend aktiver werdende Parlament, das
seit einem Jahr die Regierungspolitik verstärkt kritisch
begleitet - dies alles spricht für eine solche Entwicklung.
Doch sind Institutionen wie Parlament, Gerichte und Ministerien nur
ein Ort, an dem um Macht und Gestaltungsmöglichkeiten
gestritten wird.
In komplexen Wechselbeziehungen zu ihnen stehen die Stämme,
die eine entscheidende militärische Macht darstellen. Sie
verhindern die Entstehung eines effektiven staatlichen
Gewaltmonopols und bilden ein Gegengewicht zu staatlichen
Machtinstrumenten wie Armee, Polizei und Geheimdiensten. Vor allem
im Norden profitieren die Stämme von staatlichen Zuwendungen
und beeinflussen die nationalen Entscheidungsprozesse durch ihre
parlamentarischen Vertreter. Gleichzeitig wehren sie Versuche des
Staates ab, ihnen ihre lokale Autonomie zu nehmen und die
Beziehungen zwischen Staat und Stämmen zu verrechtlichen.
Diese müssen daher immer wieder neu ausgehandelt werden, was
manchmal gewalttätige Formen annimmt, aber im Normalfall eine
andauernde Form der Kommunikation und eine ständige Suche nach
einem tragfähigen Kompromiss beinhaltet. So verhindern die
Stämme die Entwicklung des Jemen hin zu Staatlichkeit und
Demokratie - und sichern gleichzeitig eine quasi-föderale
Beschränkung der staatlichen Macht, die eine Entwicklung zur
Despotie unmöglich macht.
Dieses auf pragmatischer Konsensfindung basierende System des
Interessenausgleichs gerät jedoch häufig aus dem
Gleichgewicht. Beispielhaft hierfür ist der Konflikt zwischen
Regierungstruppen und Anhängern des zaiditischen Predigers
Hussein Badr ad-Din al-Huthi. Allein 2005 starben in diesem
Konflikt (bis Mai) mehrere hundert Anhänger,
Regierungssoldaten und wohl auch Unbeteiligte. Die Familie al-Huthi
und andere Vertreter der Zaidiyya - einer schiitischen Rechtsschule
und die politisch dominante Form des Islams im Nordjemen bis zur
Absetzung des von ihr legitimierten Imam 1962 - werden als
Terroristen bezeichnet, die den Staat umstürzen wollten.
Die Angst der Regierung angesichts der wachsenden
Popularität al-Huthis in Teilen der Bevölkerung ist als
Konfliktauslöser jedoch wahrscheinlicher. Hussein Badr ad-Din
al-Huthi hatte die Regierung für ihre angeblich unislamische
Politik und speziell für die Nähe zu den USA kritisiert.
Die Popularität einer solchen Kritik im Jemen, der sich schon
im zweiten Golfkrieg (1991) nicht der antiirakischen Koalition
angeschlossen hatte, erschien der Regierung womöglich als eine
zu starke Bedrohung.
Auch internationaler Druck auf die Regierung könnte zur
Eskalation des Konflikts beigetragen haben. Diese agierte nach dem
11. September geschickt genug, um die Streichung des Jemen von der
Liste der Schurkenstaaten zu erreichen. Sie wird nun von den USA
als Verbündeter im Kampf gegen den Terror angesehen und
erhält großzügige Militärhilfen. Die Annahme
liegt nahe, dass Sanaa diesen Status behalten möchte und
deshalb einen innenpolitischen Konflikt rhetorisch in der
internationalen Terrorbekämpfung ansiedelt. Gegen das
eigentliche Ziel des "Krieges gegen den Terror", die im Jemen wie
in allen arabischen Ländern vorhandenen sunnitischen oder
wahabitisch-islamistischen Gruppen, ging die Regierung lange sehr
viel weniger vehement vor. Erst in der Folge von Anschlägen
gegen US-Soldaten im Land war sie gezwungen, dies zu
ändern.
Seit 2002 geschieht dies durch eine Doppelstrategie von
Repression und Dialog. Zwar kam es auch hier zu Massenverhaftungen,
dubiosen Gerichtsverfahren und extralegalen Hinrichtungen, die in
mindestens einem Fall von den USA durchgeführt wurden, aber es
gibt auch eine Art Reintegrationsprogramm. Das vom Richter Hamud
Abdulhamid al-Hitar geleitete Projekt beabsichtigt die
Änderung der Überzeugungen von Islamisten durch
Diskussion über ein anderes Religionsverständnis. Obwohl
der langfristige Erfolg nicht gesichert ist, kann dieses Projekt
als der erste ernsthafte Versuch in der arabischen Welt angesehen
werden, dem Dilemma im Umgang mit Islamisten zu entkommen:
Arabische Länder haben seit den 60er-Jahren die Erfahrung
gemacht, dass das Einsperren von Islamisten nicht nur zur
Radikalisierung führt, sondern ihnen auch noch die
Möglichkeit gibt, ganze Gefängnisse von ihren Ansichten
zu überzeugen. Der Jemen übernimmt hier eine
Vorreiterrolle.
Eine wesentliche Quelle von Instabilität ist die zunehmende
Armut im Lande. Der Jemen gehört mit einem durchschnittlichen
Jahreseinkommen von 460 US-Dollar pro Kopf zu den ärmsten
Ländern der Welt und liegt laut AHDR auf Platz 148 von 175
Ländern. Die Bevölkerung wächst rasant, was zur
Überforderung der ohnehin rudimentären Infrastruktur im
Bildungs- und Gesundheitswesen beiträgt. Im Unterschied zu den
anderen Ländern auf der Halbinsel verfügt der Jemen nur
über geringe Ölvorkommen, deren Ausbeutung trotzdem
über 70 Prozent der Staatseinnahmen ausmacht. Dem Staat als
mit Abstand größtem Arbeitsgeber steht eine immense
Zerreißprobe bevor, wenn das Öl ab 2012 zur Neige geht.
Die Arbeitslosenquote von über 30 Prozent dürfte dann
weiter steigen. Zudem ist die weiterhin vom Großteil der
Bevölkerung praktizierte Landwirtschaft durch rapide sinkende
Grundwasserspiegel bedroht. Ein seit 40 Jahren überwunden
geglaubtes Schreckgespenst droht wieder aufzutauchen:
Hungersnöte, die sich über einen Großteil des Landes
erstrecken und mangels Devisen nicht durch Importe abgemildert
werden können.
Der Jemen steht somit "auf der Kippe". Eine viel versprechende
politische Entwicklung wird durch einen Präsidenten mit
dynastischen Plänen bedroht. Zwar kündigte dieser
kürzlich an, er wolle bei den Präsidentschaftswahlen 2006
nicht mehr kandidieren, aber dies könnte wie vor sechs Jahren
auch ein Manöver sein, mit dem er zeigen will, dass es keine
Alternative zu ihm gibt - oder mit dem er seinen Sohn an die Macht
bringen will.
Zudem stellen ökonomische und ökologische Probleme
eine Gefährdung für das Land dar. Um zu verhindern, dass
es in einigen Jahren zur Gruppe der vom Bürgerkrieg
zerrütteten "failed states" gerechnet werden muss,
benötigt es eine massive eigene Kraftanstrengung. Doch selbst
dies wäre ohne Unterstützung seitens reicherer
Länder wohl umsonst. Staaten wie die USA und einige
europäische Länder stehen vor der Wahl, ob sie die
hunderte Millionen Dollar, die sie zurzeit vor allem für den
Aufbau des Militärs ausgeben, nicht in Infrastrukturprojekten
und Bildungsmaßnahmen anlegen, um so einen sozialen und
effektiveren Beitrag im "Kampf gegen den Terror" zu leisten.
Professor Ulrike Freitag leitet das Zentrum Moderner Orient (ZMO)
zu Berlin; David Schmitz ist Islamwissenschaftler und arbeitet als
studentische Hilfskraft am ZMO.
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