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Henner Fürtig
Der Stern des Verbündeten ist verblasst
Saudi-Arabien sendet ambivalente Signale in
Richtung Westen
Allein die Tatsache, dass Saudi-Arabien
über ein knappes Drittel der globalen Erdölvorräte
verfügt und die USA als größter Verbraucher zugleich
ein Drittel des täglich auf dem Weltmarkt verfügbaren
Öls konsumieren, begründete die außerordentlich enge
Beziehungen zwischen beiden Staaten, seit sich US-Präsident
Franklin D. Roosevelt und König Ibn Saud vor 60 Jahren auf dem
Kreuzer "USS Quincy" getroffen hatten. 30 Jahre später erhob
Präsident Jimmy Carter die Sonderbeziehungen in den Rang einer
Doktrin, als er der Golfregion eine "vitale Bedeutung" für
sein Land zuschrieb.
Diese Doktrin wurde von allen nachfolgenden
Präsidenten übernommen. Sie bildete zudem, formalisiert
durch bilaterale Militärabkommen, die Grundlage für die
Stationierung von US-Truppen in Saudi-Arabien nach 1990. Dazwischen
und danach lagen Jahre des gemeinsamen Kampfes gegen Kommunismus,
Nasserismus, Baathismus und Chomeinismus. Die
Interessenübereinstimmung war so stark, dass sie
außerordentlich unterschiedliche Gesellschaftsstrukturen,
Weltbilder und Wertvorstellungen überdeckte.
Ein weiterer wesentlicher Grund für die
Kohäsion liegt in der riesigen Summe von etwa 600 Milliarden
US-Dollar, die saudische Investoren in den USA anlegten. Damit ist
Saudi-Arabien unmittelbar am Wohlergehen der US-Wirtschaft
interessiert; es entstand quasi ein Kartell von Erzeugern und
Verbrauchern, die beide einen Preis anstreben, der der Gegenseite
nicht schadet. Zu den Nachbeben des Schocks der
Terroranschläge vom 11. September 2001 zählt zweifellos
die Neubewertung Saudi-Arabiens in der amerikanischen
Öffentlichkeit. Mit einer Mischung aus Unglauben und Erstaunen
fragten sich immer mehr Politiker und Medien, wie zuverlässig
ein verbündetes Land sein kann, aus dem 15 der 19
Attentäter stammen.
Im Juli 2002 gelangten Ergebnisse einer
Studie der Politikberatungsinstitution Rand Corporation für
das Pentagon an die Öffentlichkeit. Sie erklärte
Saudi-Arabien zum Feind erklärt und rief die USA zu einem
Kurswechsel auf. Ebenfalls noch vor dem Irak-Krieg behauptete
Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, der Umgang mit den
irakischen Schiiten sei wesentlich leichter als der mit
saudi-arabischen Wahabiten. Der Stern des Freundes befand sich in
rasantem Sinkflug. Hierzu passt auch die Verlegung von 6.000
US-Soldaten in die "gastfreundlicheren" Emirate Kuwait und Katar,
wofür der Irak-Krieg als Anlass diente.
Die nach wie vor starken gemeinsamen
Wirtschaftsinteressen verhinderten zwar, dass Washington vollends
das Tischtuch zerschnitt, aber viele Kongressabgeordnete standen
unter so starkem Druck der Öffentlichkeit, dass sie der
Regierung Auflagen für die Fortsetzung der Beziehungen zu
Saudi-Arabien erteilten. Dazu gehörten ultimative Forderungen
an Riad, klare Schritte im Kampf gegen den Terror zu unternehmen:
Bekämpfung, Festsetzung, gegebenenfalls Auslieferung von
Terroristen und die Unterbindung finanzieller Unterstützung
für "dubiose" Empfänger. Den längsten Schatten warf
ohne Zweifel die Forderung, Staat und Gesellschaft zu
demokratisieren.
Der 11. September hatte die politische Klasse
der USA veranlasst, viele der bisher als ehern geltenden
Prämissen der Außenpolitik infrage zu stellen. Immerhin
war gerade auf besonders nachdrückliche Weise deutlich
geworden, dass das Beharren auf dem Status quo keinesfalls Schutz
und Sicherheit gewährleisten. Politische Reden und
Publikationen führten in dem Zusammenhang das
Demokratiedefizit in Nordafrika/Nahost als eine der wesentlichen
Ursachen für die Ausbreitung des Terrorismus an. Von da ab war
es nicht mehr weit, die Demokratisierung der Region zum vitalen
Ziel für die nationale Sicherheit der USA zu erklären.
Von Beginn an war offenkundig, dass die Glaubwürdigkeit des
Projekts nicht zuletzt mit seiner Anwendung auf das seit Ende des
Zweiten Weltkrieges zu den Freunden zählende Saudi-Arabien
steht und fällt. In diesem Sinne durften die saudischen
Prinzen nicht mit der Bekämpfung von Terroristen und der
Austrocknung von deren Finanzquellen "davonkommen", sie mussten
auch substanzielle Fortschritte bei der Liberalisierung ihres
Systems nachweisen.
Genauso schnell wie die Forderung aufkam,
wurde aber auch klar, dass Saudi-Arabien zu jenen Kandidaten in
Nordafrika/Nahost gehört, die schon aus strukturellen und
institutionellen Gründen für den Demokratie-Import am
wenigsten geeignet scheinen. Es bedurfte einer Krisensituation im
bilateralen Verhältnis wie nach dem 11. September, um
schlaglichtartig zu verdeutlichen, dass sich die gemeinsamen
Positionen der USA und Saudi-Arabiens vornehmlich in Wirtschafts-
und Finanzkooperation sowie der Abgrenzung respektive
Bekämpfung von Dritten manifestierten.
Sowohl aus wirtschaftlichen wie auch aus
Sicherheitsüberlegungen sahen sich die Al Saud nicht in der
Lage, die Forderungen vollends zu ignorieren. Deshalb reagierten
sie, wie in Jahrzehnten gelernt: Entgegenkommend in der Form,
unnachgiebig im Inhalt. Der frühere Kronprinz und heutige
König Abdallah versicherte wiederholt den festen Willen des
Königreichs, das jahrzehntelange Bündnis mit den USA
fortzusetzen. In der Terrorbekämpfung erfüllte Riad
nahezu alle US-Forderungen.
Man ergriff Maßnahmen gegen
Geldwäsche und ließ Konten einfrieren, die mit
Terroristen des 11. Septembers in Zusammenhang gebracht werden
konnten. So wurden im Juli 2004 jegliche Bargeldspenden in Moscheen
verboten, im Oktober löste Innenminister Nayif die besonders
kritisierte Al-Haramein-Stiftung ersatzlos auf. Auch in der
direkten Bekämpfung von Terroristen waren 2004
spektakuläre Erfolge gelungen. Von den zu Jahresanfang
veranschlagten 500 bis 600 in Saudi-Arabien wirkenden
Al-Qaida-Mitgliedern wurden bis Jahresende zwischen 400 und 500
gefangengenommen oder getötet.
Auch die Forderungen nach demokratischer
Umgestaltung wurden nicht a priori zurückgewiesen, sondern auf
eigene Weise ausgelegt. Als Regent Abdallah am 20. Januar 2003 eine
von 104 reformorientierten Intellektuellen und gemäßigten
Islamisten unterschriebene Petition ("Vision für die Gegenwart
und Zukunft der Heimat") erhielt, die Wahlen zum Konsultativrat und
Regionalversammlungen, Gewaltentrennung, eine Jus-tizreform,
Bürger- und Menschenrechte sowie mehr Rechte für Frauen
forderten, reagierte die Herrscherfamilie anders als noch ein
Dutzend Jahre zuvor bei ähnlichen Petitionen nach dem 2.
Golfkrieg 1991. Abdallah ließ die Initiatoren nicht nur
ungeschoren, er lud vielmehr 36 von ihnen zum Gespräch.
Dadurch ermutigt, folgten weitere Petitionen. Aus sporadischen
Eingaben mit willkürlichen Reaktionen wurde ein permanentes
Forum des "Nationalen Dialogs". Obwohl über den Inhalt kaum
etwas in die Medien gelangte, war ein Zeichen gesetzt, wie die Al
Saud im Allgemeinen und Abdallah im Besonderen gedachten, den
Reformprozess zu gestalten. Der gelenkte Dialog mit auserlesenen
Reformern ließ die Herrscherfamilie Kurs und Geschwindigkeit
der Umgestaltungen selbst bestimmen und demonstrierte der
kritischen Weltöffentlichkeit gleichzeitig ernsthafte
Bemühungen um mehr Partizipation.
Die Übernahme der Königswürde
durch Abdallah nach dem Tod seines Vorgängers Fahd am 1.
August lässt eine Verstetigung dieses Kurses erwarten, weil
Abdallah nun nicht mehr die Rücksichten eines Regenten nehmen
muss. Fortgesetzt werden damit aber auch die bisher angewandten
Repressionspraktiken; denn wer den von den Herrschern gesetzten
Rahmen nicht akzeptiert, wird rücksichtslos unterdrückt.
Ein exemplarischer Fall ereignete sich am 16. März 2004 in
Riad, als Reformer, die offenbar kurz vor einer Parteigründung
standen, in ihren Wohnungen oder am Arbeitsplatz verhaftet wurden.
Die meisten kamen bis Monatsende frei, nachdem sie sich
verpflichtet hatten, künftig keine Petitionen mehr zu
unterzeichnen, keine "illegalen" Versammlungen abzuhalten und nicht
mit der Presse zu sprechen. Drei Reformaktivisten, Matruq al-Falih,
Abdallah al-Hamid und Ali al-Dumaini, verweigerten diese
Verpflichtung und bleiben seitdem in Haft.
Die Bestimmung von Faktoren, die den Al Saud
ihr Verhalten erlaubt, beantwortet auch die Frage, ob Saudi-Arabien
zum "Prügelknaben" taugt. Im Wesentlichen drängen sich
zwei Faktoren auf. Zum einen der seit Ausbruch der Zweiten Intifada
2000 stetig, seit dem Irakkrieg exponentiell angestiegene
Antiamerikanismus in der saudi-arabischen Bevölkerung. Eine
vom Gallup-Institut im Frühjahr 2002 durchgeführte
Meinungsumfrage ergab, dass noch 16 Prozent der Saudis den USA
positiv gegenüberstehen. Ein stillschweigender Boykott
amerikanischer Waren legte ein noch offensichtlicheres Zeugnis
über die Stimmung ab. Seit September 2001 fielen die
US-Exporte nach Saudi-Arabien um mehr als die Hälfte. In
dieser Atmosphäre musste die Königsfamilie bedacht sein,
dass ihre zaghaften Reformschritte nicht als Kapitulation vor den
USA bewertet werden.
Andererseits kann mit Kritik an der
israelfreundlichen Politik Washingtons auf komfortable Weise ein
Konsens mit "Volkes Stimme" hergestellt werden. Im November 2001
erklärte Außenminister Saud al-Faisal in Washington auf
die Frage, warum so viele Saudis heimliche Sympathien für
Osama bin Laden hegten: "US-Unterstützung für Israel ...
(ist) der Schlüsselfaktor". Es herrscht weitgehend Konsens in
der Öffentlichkeit, dass es dem Bestreben der USA, den
Völkern der Region die Demokratie zu bringen, so lange an
Glaubwürdigkeit fehlt, so lange die Palästina-Frage davon
ausgenommen ist. Diese Atmosphäre wirkt
selbstverständlich auch auf die Reformkräfte. Selbst wenn
sie Teile der Demokratisierungsagenda der USA in ihre Petitionen
übernahmen, waren sie peinlich darauf bedacht, keine
Querverbindungen zu suggerieren und die Vorschläge damit in
den Augen der Öffentlichkeit zu delegitimieren.
Zum anderen der tiefe Konservatismus der
Saudis. Mit Ausnahme des Wirtschafts- und Rechtsbereichs, wo rasche
Umgestaltungen erforderlich sind, um Inves-titionen zu ermutigen
und Arbeitslosigkeit abzubauen, kommt die Taktik der Al Saud im
politischen Bereich, die Reformschritte langsam anzugehen, dem
Beharrungsstreben der Bevölkerungsmehrheit entgegen. Es
herrscht weitgehend Konsens darin, zunächst zu beobachten,
welche Folgen eine Maßnahme mit sich bringt, ehe die
nächste begonnen wird. So erklärt sich die weitgehende
Zurückhaltung in den Gemeinderatswahlen nur zum Teil aus den
beschränkten Kompetenzen der kommunalen Räte.
Ausschlaggebend war vielmehr der tief verwurzelte Reflex, das
Bekannte dem Unbekannten vorzuziehen. Diese Eigenschaft
präsentiert sich generationen- und
geschlechterübergreifend. Der Westen im Allgemeinen und die
USA im Besonderen tun jedenfalls gut daran zu berücksichtigen,
dass Konservative, nicht Reformer den größten Anteil an
der öffentlichen Meinung halten.
Dr. Henner Fürtig ist Nahost-Referent am Deutschen
Orient-Institut in Hamburg.
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