|
|
Rüdiger Robert
Auf dem Weg zu einer Wasserkatastrophe
Die Wasserknappheit in den Nahost-Ländern
ist ein Politikum
Wasser, nicht Öl, gilt vielen Beobachtern
seit den 80er-Jahren als wahrscheinlichste Ursache für einen
weiteren Krieg im Nahen Osten. So hat der 1981 ermordete
ägyptische Präsident Anwar al-Sadat anlässlich des
Friedensschlusses mit Israel 1979 erklärt, dass sein Land nie
wieder Krieg führen werde, es sei denn zum Schutz seiner
Wasserressourcen. Ähnlich hat sich der 1999 verstorbene
jordanische König Hussein geäußert. Und der
frühere UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali hat
gewarnt, der nächste Krieg im Nahen Osten könne sehr wohl
ein Krieg um Wasser sein.
Zwischenzeitlich hat die Wasserproblematik
zwar nicht an Brisanz verloren, ist aber wieder in den Hintergrund
politischer Betrachtungsweisen gerückt. Die Ölfrage hat
an politischem Gewicht zurückgewonnen. Vorrang auf der
Tagesordnung der Weltpolitik hat die Gefahr durch den
internationalen Terrorismus, überlappt mit den gleichfalls
wachsenden Risiken einer Weiterverbreitung von
Massenvernichtungswaffen. Das ist zumindest bedenklich, ist Wasser
neben Boden und Luft doch das dritte zentrale Umweltmedium, das
menschliches Leben ermöglicht. Es fehlt objektiv nicht an der
Dringlichkeit, wohl aber an der notwendigen Wahrnehmung und
Dramatisierung der Problematik.
75 Prozent der Weltoberfläche sind von
Wasser bedeckt. Es erscheint als Allgemeingut, ein "freies Gut",
das ohne größere Kosten für die Nutzung in
beliebiger Menge besorgt werden kann. Das ist eine
Fehleinschätzung. Die Wassermenge verteilt sich nicht
gleichmäßig über die Erdteile. Die geringsten
Vorkommen entfallen auf die Länder des Nahen Ostens,
Nordafrikas sowie auf das südliche Afrika. Wasser ist
keineswegs eine unendliche Ressource, ist vielmehr begrenzt, in
einigen Teilen der Erde seit eh und je eine knappe Ressource, die
einer sorgfältigen Bewirtschaftung bedarf. Beispiele
dafür sind die ehemaligen Hochkulturen in Mesopotamien und
Ägypten. Aus der Knappheit wird in weiten Teilen der Welt
zunehmend eine Krise aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung
und des Anstiegs der Weltproduktion in Verbindung mit nicht
nachhaltigen Verbrauchsmustern. Die Lebenserhaltungskapazität
des Planeten Erde wird dadurch einer immer größeren
Belastung ausgesetzt.
So hat die Pro-Kopf-Versorgung mit Wasser
merklich abgenommen. Seit 1970 hat sie sich um 40 Prozent
verringert. Für 2050 wird von der UNESCO erwartet, dass im
schlimmsten Fall sieben Milliarden Menschen in 60 Ländern und
im besten Fall zwei Milliarden Menschen in 48 Ländern von
Wasserknappheit betroffen sein werden. Die privaten Haushalte
beanspruchen weltweit etwa neun Prozent des Aufkommens. Der
Pro-Kopf-Verbrauch der privaten Haushalte in den
Industrieländern (USA circa 630, Deutschland 145 Liter) ist
nach Schätzungen der Vereinten Nationen etwa zehnmal
höher als in den Entwicklungsländern. Der industrielle
Sektor ist mit circa 19 Prozent zweitwichtigster Wasserverbraucher.
Die größte Beanspruchung menschlich nutzbarer
Wasservorkommen resultiert mit 67 Prozent aus der Landwirtschaft.
Rund fünf Prozent des Verbrauchs ist auf die Verdunstung
infolge des Baus von Großstaudämmen
zurückzuführen. Um die Wende zum 21. Jahrhundert hatten
rund 1,3 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser, rund
2,6 Milliarden keinen Zugang zu angemessener Abwasserentsorgung. Zu
einer strukturellen Konfliktursache hat sich der Mangel an Wasser
auch aufgrund von Klimaveränderungen entwickelt.
Ein Vergleich zwischen den Kontinenten zeigt
erhebliche Unterschiede in der Versorgung. Während Amerika,
Australien und Ozeanien über ein Wasserangebot verfügen,
das oberhalb ihres prozentualen Anteils an der Weltbevölkerung
liegt, gilt für Europa, Asien und Afrika das Umgekehrte. Am
schärfsten betroffen ist Asien. Dort leben 60 Prozent der
Weltbevölkerung. Es verfügt aber nur über 36 Prozent
der globalen Süßwasservorräte. Der Nahe Osten an der
Schnittstelle zwischen Asien und Afrika ist eine der Regionen, die
in besonderem Maß von Knappheit, Mangel, ja, Wassernot
betroffen ist und deshalb auch ein besonders hohes Potenzial an
Wasserkonflikten aufweist.
Die Region ist in ihrer naturräumlichen
Ausstattung durch den Wechsel von Gebirge, Steppe, Wüste und
Oase gekennzeichnet. Entsprechend unterschiedlich sind die
Niederschlagsmengen verteilt. In den großen Steppengebieten
Nordafrikas, auf der Arabischen Halbinsel, aber auch im Inneren
Anatoliens und Irans liegen die Niederschlagsmengen zwischen 200
und 400 Millimeter pro Jahr. Ein Regenfeldbau ist hier zumeist
nicht möglich. Das gilt erst recht für die
Wüstengebiete des Nahen Ostens. Sie bilden einen breiten,
nahezu durchgängig von Westen nach Osten verlaufenden
Gürtel. Er umfasst die Sahara, die Arabische und die Persische
Wüste. Die Niederschläge schwanken in diesen Gebieten
zwischen null und 200 Millimeter pro Jahr und reichen nicht
für eine breite Agrarnutzung. Substanziell beeinflusst wird
das knappe Wasserdargebot (die zur Verfügung stehende
Wasssermenge - Red.) des Nahen Ostens durch die Existenz zweier
großer Flussoasen, des Nil- und des Euphrat/Tigris-Beckens.
Hinzu kommen der Jordan und der Jarmuk als bedeutsame
Flussläufe in einem ansonsten eher trockenen Umfeld. Nicht
zuletzt sind es zahlreiche Quell- und Grundwasseroasen - teilweise
mit fossilen Wasservorkommen -, die als Konzentrationsräume
landwirtschaftlicher Produktion, speziell des
Bewässerungsanbaus, aber auch städtischer Siedlungen
dienen.
Ausschlaggebend für den Wassermangel ist
die Relation zwischen der Menge des angebotenen und der Menge des
nachgefragten Süßwassers. Grundlage ist die sich
jährlich erneuernde Wassermenge pro Quadratmeter. Lediglich
der Libanon und die Türkei liegen hier in einer
Größenordnung zwischen 200 und 430 Litern. Die meisten
Länder und Gebiete des Nahen Ostens müssen sich mit
erneuerbaren Wasservorkommen von weniger als 100 Litern pro
Quadratmeter und Jahr begnügen. In acht Fällen, darunter
Algerien, Libyen und Saudi-Arabien, ist das Dargebot sogar geringer
als zehn Liter.
Bezieht man die Nachfrage ein, so wird
ersichtlich, dass sich die Region in einer Wasserkrise befindet. Zu
Beginn dieses Jahrhunderts sind es noch vier Länder, die rein
rechnerisch nicht unter Wasserknappheit zu leiden haben: der Sudan,
die Türkei, der Irak und der Iran. Auch Somalia und Syrien
scheinen quantitativ ausreichend versorgt. Für alle anderen
Länder des Nahen Ostens gilt das nicht. Marokko und
Ägypten befinden sich an der Schwelle von der Knappheit zum
Mangel, müssen sich also mit etwa 1.000 Kubikmeter
Süßwasser pro Kopf begnügen. Die übrigen
Staaten und Gebiete sind durch Wassernot gekennzeichnet, das
heißt es stehen pro Kopf der Bevölkerung nicht einmal 500
Kubikmeter sich jährlich erneuerndes Süßwasser zur
Verfügung. Betroffen von diesem Notstand sind mehr als 100
Millionen Menschen. Wie prekär die Situation ist, zeigt sich
auch daran, dass vier Staaten - Sudan, Ägypten, Syrien und
Irak - nur deshalb nicht in die Kategorie der Länder mit
Wassermangel fallen, weil sie wegen grenzüberschreitender
Flussläufe auf externe Ressourcen zurückgreifen
können.
Dynamisieren wir die auf das Jahr 2000
bezogenen Angaben über die Relation von Wasserangebot und
Bevölkerung, so zeichnet sich ab, dass aus der Krise im Nahen
Osten eine Wasserkatastrophe zu werden droht. Ausschlaggebend
dafür ist das nahezu ungebrochene Bevölkerungswachstum.
Ergebnis ist eine Zunahme des bereits gegenwärtig
anzutreffenden extremen Wassermangels. Letzterer liegt vor, wenn
weniger als 500 Kubikmeter an erneuerbarem Süßwasser pro
Kopf und Jahr zur Verfügung stehen. Das war im Jahr 2000 in 13
Staaten des Nahen Ostens der Fall. Dazu zählten nicht nur die
Golf-Emirate, Jemen, Saudi-Arabien und Jordanien, sondern auch
Israel einschließlich der besetzten Gebiete sowie Algerien,
Libyen und Tunesien.
Die sich abzeichnende Entwicklung gibt Anlass
zu außerordentlicher Beunruhigung. 1975 lag die
Bevölkerungszahl der Region (ohne palästinensische
Gebiete und Dschibuti) bei 218,2 Millionen. Bis 2000 ist diese Zahl
auf 420,1 Millionen Menschen angestiegen. In einer mittleren
Projektion kann davon ausgegangen werden, dass sie sich bis 2025
auf 648,4 Millionen erhöhen wird. Das bedeutet ein
Bevölkerungswachstum innerhalb eines halben Jahrhunderts von
nahezu 300 Prozent bei annähernd gleichem Wasserdargebot.
Schlimmer noch ist, dass der Kreis der unter Wasserknappheit und
-mangel leidenden Länder immer größer wird und dass
der Wassernotstand in der Region sich permanent verstärkt.
Dabei ist die Situation heute schon mehr als bedenklich. Nicht
erneuerbare Grundwasserreserven werden deshalb auch bereits in
unverantwortlichem Ausmaß und Geschwindigkeit
ausgebeutet.
Die Wasserkrise des Nahen Ostens ist
letztlich ein Ausfluss globaler Grenzen des menschlichen Wachstums.
Diese Grenzen wahrzunehmen und zu respektieren, wird
spätestens seit den Berichten an den Club of Rome gefordert.
Dies hat in den drei zurückliegenden Jahrzehnten zu einer
Vielzahl internationaler Konferenzen wie der Wasser- und
Umweltkonferenz in Dublin 1992, der UN-Konferenz über Umwelt
und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992, ihrer Nachfolgekonferenz in
Johannesburg 2002 sowie verschiedenen Welt-Wasser-Foren
geführt. Die auf diesen Konferenzen gewonnen Erkenntnisse
zeigen Wege aus der Weltwasserkrise, von der der Nahe Osten in
besonderem Maße betroffen ist, auf.
Als allgemein akzeptierte Auffassung hat sich
die Notwendigkeit eines Wassermanagements durchgesetzt. Management
bedeutet in erster Linie Verhaltenssteuerung. Dazu gehören -
gerade für den Nahen Osten - die Entwicklung und Durchsetzung
des internationalen Wasserrechts, gezielte Maßnahmen der
Entwicklungszusammenarbeit, die Erarbeitung und Umsetzung
einzelstaatlicher Master-Pläne im Hinblick auf die
künftige Wasserver- und Wasserentsorgung, die gezielte
"Inwertsetzung" von Wasser als wirtschaftlichem Gut, nicht zuletzt
der Aufbau grenzüberschreitender Wasserregime an Euphrat und
Tigris, Jordan und Jarmuk sowie am Nil. Nur so lassen sich in
Zukunft sowohl inner- als auch zwischenstaatliche, mit Gewalt
ausgetragene Konflikte um die immer knapper werdende Ressource
vermeiden.
Professor Rüdiger Robert ist stellvertretender Direktor des
Instituts für Politikwissenschaft der Westfälischen
Wilhelms-Universität Münster.
Zurück zur Übersicht
|