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Bassam Tibi
Keine Selbstaufgabe durch totale Anpassung an den
Westen
Der Euro-Islam ist nur im Einklang mit der
kulturellen Moderne möglich
In einem Berkeley-Projekt über Zuwanderung ("Islam and the
Changing Identity of Europe") wurde die Frage gestellt: "Muslim
Europe or Euro-Islam?" Dies ist auch der Titel des Bandes mit den
Ergebnissen des Projektes, in dem die Spannung zwischen
Islamisierung und Europäisierung erläutert wird. Der
Euro-Islam beansprucht, diese Spannung zu überwinden.
Im November 1992 tagten in Paris Experten, die neue Konzepte
über den Umgang mit Assimilation und Integration suchten. Das
bisherige Konzept der Assimilation als Voraussetzung für eine
"Citoyennité" (Bürgertum) funktionierte aufgrund des
Ansturms der neuen Migranten, die auf ihrer kulturellen
Identität beharren, nicht mehr. Im Gegensatz zur Assimilation
erfordert das in Paris vorgelegte neue Konzept der Integration
keine kulturelle Selbstaufgabe durch totale Anpassung. Integration
wird hier auf die Annahme einer Bürgeridentität in einer
Zivilgesellschaft beschränkt; es geht um die Rechte und
Pflichten des "Citoyen". In Paris lautete die Frage:
"Intégration ou insertion communautaire (Integration oder
gemeinschaftliche Eingliederung)?"
Der Islam stand im Mittelpunkt der Debatte, weil Muslime -
inzwischen zehn Prozent der französischen Bevölkerung -
die größte Gruppe unter den Migranten stellen. In Paris
legte ich 1992 erstmals in Europa mein Konzept des Euro-Islams
dar.
Das Konzept beruht auf Beobachtungen in Westafrika, die ich zehn
Jahre zuvor machte und bei denen ich eine Afrikanisierung des
Islams feststellte. Unter Berücksichtigung der Erkenntnis,
dass der Islam in Westafrika trotz seiner arabischen Herkunft nicht
fremd ist, fragte ich, ob nicht analog hierzu auch eine
Europäisierung des Islams in Europa angestrebt werden
könnte. Hierdurch würde man erreichen, was in Afrika
Realität ist: eine Endogenisierung (Heimischwerden) des
Islams. Denn der Islam der Migranten ist in Europa
äußerst fremd geblieben, weil er nicht europäisch
ist. Könnte er durch eine Europäisierung heimisch, also
europäisch, werden - und wie? Um es vorwegzunehmen: Ein
Euro-Islam ist ohne kulturelle Anpassung, die religiöse
Reformen erfordert, nicht möglich.
Inzwischen wird - parallel zur inhaltlichen Entleerung - viel
Unfug mit dem populär gewordenen Begriff betrieben. Selbst
Tariq Ramadan, ein Islamist und Nachkomme von Hasan al-Banna, des
Begründers der Muslim-Bruderschaft, tritt als Träger des
Euro-Islams auf. Er meint aber einen orthodoxen Islam ohne
Europäisierung. Der Islam kann nur dann europäisiert
werden, wenn Konzepte des Salafismus wie Scharia und Dschihad sowie
die Vision einer Islamisierung durch Dawa und Hedschra (Migration)
aufgegeben werden. Nur ein Islam, der in Einklang mit den
Grundinhalten der kulturellen Moderne steht (Demokratie,
Menschenrechte, Zivilgesellschaft, Pluralismus), verdient es auch,
als Euro-Islam bezeichnet zu werden.
Das Konzept bezieht sich ausschließlich auf Europa, ist
anders als die frühere Vision der Verwestlichung der Welt,
einschließlich der des Islams, und ist somit nicht universell.
Es bezieht Muslime ein, die auf Dauer in Europa leben, sowie
Länder wie die Türkei, die zu Europa gehören wollen.
Europa hat, wie jede andere Zivilisation, das Recht, seine
zivilisatorische Identität zu bewahren. Die Identität der
Zuwanderer wird berücksichtigt, doch mit der Erwartung einer
Anpassung ohne Selbstaufgabe. Damit wird eine kulturelle Synthese
angestrebt.
Jüngst wurde die Debatte durch den Mord an dem Filmemacher
Theo van Gogh neu entfacht. Der Mord erschütterte die
Niederlande, in der Folge gab es militante Auseinandersetzungen mit
islamischen Fundamentalisten in Den Haag und anderswo. Der
Künstler wurde von dem marokkanischen Islamisten Mohammed
Boyeri ermordet und anschließend nach islamischem Ritual wie
ein Hammel geschlachtet. Der Mord war auch eine
Kriegserklärung an Europa, denn in dem von Boyeri an der
Leiche van Goghs befestigten Brief stand der bezeichnende Satz:
"Europa, jetzt bist du dran." Niederländische Kommentatoren
schrieben, dass ihr Land etwas derartiges seit der NS-Besatzung
nicht mehr erlebt habe.
Es war ein Zufall, dass Monate vor dem Schächter-Mord das
niederländische "Nexus-Instituut" ein großes
europäisch-transatlantisches Dialog-Projekt mit
Unterstützung der Regierung über die Europa-Idee
durchführte. In diesem Rahmen fanden in mehreren Städten
- von Berlin, Warschau bis Rotterdam - Dialoge statt. Die Idee
eines Euro-Islams wurde in das Projekt mit dem einladenden Titel
"Europe, a Beautiful Idea?" aufgenommen.
Denn Europa hat trotz seiner hässlichen Kolonialgeschichte,
der beiden Weltkriege und der NS-Verbrechen auch eine andere Seite:
Es ist das Europa der Freiheit, Menschenrechte, Demokratie, des
Pluralismus und der Zivilgesellschaft - eine schöne Idee, die
auch von Nicht-Europäern, etwa von Muslimen, geteilt werden
kann. Das Konzept des Euro-Islams beinhaltet diese Prinzipien.
Können Muslime eine "europäische Identität" in
Synthese mit dem Islam teilen? Für diese Diskussion
müssen Islam und Islamismus unterschieden werden. Europa hat
auf der Basis seiner kulturellen Moderne die Aufklärung als
"Entzauberung der Welt" und in diesem Rahmen einen
Werte-Universalismus hervorgebracht, der weder ethnisch noch
religiös und somit inklusiv ist. Die Inklusivität besteht
darin, offen für die Aufnahme anderer zu sein. Dies ist eine
zivilisatorische Errungenschaft, die ich als Muslim und Araber aus
meinem eigenen Leben in Europa kenne. Die Inklusivität ist die
europäische Leistung im Kontext der Migration. Die Leistung
der anderen - der Migranten - muss in der Harmonisierung ihrer
Identität mit Europa und dem dazugehörigen kulturellen
System liegen. Der Euro-Islam ist eine Vision, die beansprucht,
diese zu erbringen. Wodurch?
Ein in Europa lebender Muslim kann Wahleuropäer werden,
ohne Christ zu sein und ohne ethnisch in einem europäischen
Volk verwurzelt zu sein. Voraussetzung hierfür ist jedoch, die
europäischen Werte, die im Kontext von Renaissance,
Reformation, Aufklärung und Französischer Revolution als
Werteorientierung entstanden sind, zu übernehmen. Können
Muslime vollen Herzens europäische Bürger werden und
für "Europe, a Beautiful Idea" stimmen, ohne aufzuhören,
Muslime zu sein? Die Islamisten, die sich in die Islam-Diaspora
eingenistet haben, teilen die Auffassung vom "schönen Europa"
nicht. Sie propagieren, dass Integration in Europa eine Tarnung
für Christianisierung sei und lehnen sie ab. Die Islamisten
wollen statt Integration Europa durch Dschihad islamisieren. Die
Europäer können dies nur zusammen mit den Euro-Muslimen
verhindern.
Europäische Politiker bekennen sich in ihren Reden zur Idee
Europas, aber nehmen sie ihre Aussagen auch ernst? Was für
Muslime gilt, die europäische Bürger werden wollen, ist
ebenso auf die Türkei, die Europa als Wertegemeinschaft
beitreten will, anzuwenden. In einem größeren Kontext ist
die Vision eines Euro-Islams für die EU als Wertegemeinschaft,
die die Europäisierung der islamischen Herausforderung zu
bewältigen hat, relevant. Eine Loslösung des Islams von
Dschihad und Scharia ist im Zusammenhang der islamischen
Zuwanderung, die Europa massiv verändert, erforderlich. Der
Van-Gogh-Mord muss inhaltlich im Kontext des an der Leiche
befestigten Briefes betrachtet werden. Ministerpräsident
Balkenende hob diese Androhung hervor, während die Presse den
Satz "Europa, jetzt bist du dran" politisch korrekt verschwieg.
Positiv anzumerken ist, dass die Europäer sich vom
bisherigen Eurozentrismus abwenden, jedoch leider nicht immer zum
Besseren, denn heute verleugnen sie ihre Werte. Mit dieser
Einstellung kann weder eine Europäisierung noch ein Euro-Islam
angestrebt werden.
Diese Vision steht auf zwei Ebenen im Kontrast zum
Werte-Relativismus der Europäer: erstens, auf der Ebene der EU
als Wertegemeinschaft. Dies unterstellt eine Verbindlichkeit
für die Geltung europäischer Werte, die vom Islamismus
nicht geteilt werden, der die europäische Wertegemeinschaft
herausfordert. Die zweite Ebene ist die der Migration. In diesem
Rahmen kommen Muslime aus Asien und Afrika, vor allem aus dem
südöstlichen Mittelmeerraum nach Europa, die
zivilisatorisch durch ein Kollektivbewusstsein geprägt sind
und deren Integration bisher gescheitert ist. Manche Muslime in der
Moschee-Vereinskultur stellen so den Anspruch auf eine Erweiterung
des Dar al-Islam (Haus des Islam) auf Europa. Im orthodoxen Islam
dient Hedschra der weltweiten Verbreitung des Islam, so will es die
Doktrin. Die faktische Entstehung von Parallelgesellschaften ist
die erste Folge. Es muss möglich sein, hierüber offen zu
sprechen.
In diesem Zusammenhang entstehen Täuschungen. So hat der
mutmaßliche Islamist Ramadan, den "Die Zeit" als "Doppelagent"
bezeichnet, Europa als Dar al-Schahada bezeichnet, ein anderer
Begriff für Dar al-Islam als Territorium der islamischen
Zivilisation. Die Implikation ist mehr als klar: Wird Europa als
Teil des Dar al-Islam gesehen und so praktisch vereinnahmt, da es
sich auch für Muslime öffnet? Auch der Londoner Imam
Badawi, den die Königin ausgezeichnet hat, argumentierte auf
dieser Linie, als er auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos sagte,
dass ein Territorium, auf dem Muslime leben, zum Dar al-Islam
gehört. Der Euro-Islam strebt jedoch das genaue Gegenteil an -
gegen naive Europäer, zielstrebige orthodoxe Salafisten und
gegen Islamisten: Dass der Islam ein Teil Europas wird und
entsprechend seine Identität teilt.
Professor Bassam Tibi lehrt seit 1973 Internationale Politik an der
Universität Göttingen, seit 2004 parallel an der Cornell
University (USA).
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