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Konrad Watrin
Editorial
Der Irak-Krieg und seine Folgen,
Auslöser dieser Themenausgabe, hat die globale Perspektive in
mehr als einer Hinsicht verändert. Nicht allein da er
verdeutlichte, wozu die "Arroganz der Macht" der einen, sich
allmächtig wähnenden Supermacht - wie Senator Fulbright
dies auf dem Höhepunkt des Vietnam-Krieges selbstkritisch
titulierte - fähig ist. Längst wird diese Parallele
herangezogen. "Iraqi Freedom" hat vielmehr den nach 1989
gewandelten geopolitischen Stellenwert ganzer Erdteile bewusst
gemacht. Wer das mittelöstlich-zentralasiatische Eurasien -
die energiereiche Region zwischen Kaspischem Meer, Kaukasus, Iran
und Hindukusch - kontrolliert, der beherrsche die Welt, sagen seit
den 90er-Jahren - wie gut 100 Jahre zuvor die Kolonialstrategen des
britischen Empires - amerikanische Entscheidungsträger von
"Zbig" Brzezinski bis "Dick" Cheney. Aus dieser Perspektive sinkt
die Bedeutung der Öl- und Konfliktregion Nahost; sie tritt in
den zweiten Rang hinter das neue Great Game der USA, Chinas und
Russlands, das oberste Priorität genießt. Aus dieser
Sicht wird selbst die vordringliche Lösung des alle
übrigen Fragen in der islamischen Welt tangierenden
Palästina/Israel-Problems eher sekundär. Diese
neokoloniale Perspektive deckt sich nicht unbedingt mit der von
Europa als Nahost-Nachbar. In jedem Falle kann man Arabien nicht
mehr isoliert von Eurasien betrachten. Damit beschäftigen sich
vor allem die Beiträge von Udo Steinbach und Sonja Hegazy.
Dies zeigt nicht zuletzt auch der gewandelte Umgang der USA mit dem
seit dem 11. September 2001 als gefährdet-gefährlich
eingeschätzten Hauptverbündeten Saudi-Arabien oder die
neue, selbstbewusste Rolle der Brückenmacht Türkei, des
eurasischen Türvorstehers am Bosporus, die Henner Fürtig
und Günter Seufert analysieren.
Gerade im Zuge des Anti-Terrorkampfes mit
seinen wohl ebenso unleugbaren Auswüchsen ist Michael
Lüders' Erinnerung an das westliche Vorurteil
unerlässlich, Islam und Demokratie seien nicht miteinander
vereinbar. Ähnlich Arnold Hottingers Hinweis auf
überkommene, nun aufgefrischte Ressentiments in der
Wahrnehmung von Ost und West. Die Schwierigkeiten beim Versuch des
neuen "nation building" im Irak und in Afghanistan beschreiben
Heiko Flottau und Lennart Lehmann. Beim eigentlichen
Nahost-Konflikt um Palästina/Israel, dessen Lösung im
Grunde fraglicher geworden ist, werden die zum Teil
gegensätzlichen Ansätze von Ludwig Watzal und Richard
Chaim Schneider gegenüber gestellt. Die Diskussion
darüber hat längst alttestamentarische Ausmaße -
nicht jedoch die der zivilgesellschaftlichen Regungen, die von
Auswegen aus der brudermörderischen Situation, von
Friedenssehnsucht und Kooperationsverlangen zeugen.
Außer Kernländern wie Ägypten
(Reinhard Baumgarten), das unter internem Druck steht, oder
externem Druck ausgesetzten Staaten wie Syrien (Carsten Wieland)
und Iran (Rudolph Chimelli) wird die neue Lage kleinerer
Länder wie der vorsichtig mit Reformen hantierenden
Golf-Monarchien (Katja Niethammer) skizziert. Daneben werden
strukturelle, die Gesamtregion betreffende Konflikte behandelt: der
um die 30-Millionen-"Minderheit" der Kurden (Amke Dietert) oder das
widersinniger Weise durch die amerikanische Befreiung des Iraks
entstandene künftige Potenzial der Schiiten (Katajun Amirpur).
Schließlich werden neben der Frage nach den Ursachen des
islamistischen Terrors (Peter Heine) so zentrale Probleme wie der
erneut ansteigende Antisemitismus und Antiamerikanismus (Claus
Leggewie) oder die schwindenden Wasserressourcen beleuchtet, die
nach mancher wissenschaftlicher Prophezeihung - wie der von
Rüdiger Robert - in naher Zukunft für neue kriegerische
Konflikte im Nahen und Mittleren Osten sorgen
könnten.
Dr. Konrad Watrin ist Journalist, Autor und Lehrer. Er lebt in
Aumühle bei Reinbek.
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