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Jens Mattern
Ein Jubiläum mit Wermutstropfen
Vor 25 Jahren: In Polen wird die Solidarnosc als
Gewerkschaft zugelassen
Aus dem Danziger Werfttor 1 rollt ein Werkbus
mit Arbeitern auf dem Weg zum Feierabend; es sind nicht sehr viele
und fast alle haben weisse Haare. Das Danziger Werfttor 2 ist
geschlossen, es ist Geschichte. Die polnische Fahne und das
Weiß-Gelb des Vatikans hängen hier, sowie der polnische
Papst und die Maria mit Jesus im Arm. Mehr Touristen als
Werftarbeiter laufen dort an diesem August durch die jeweils
getrennten Durchgänge. Hauptziel der Besucher ist ein
niedriger Backsteinbau, der ehemalige Speisesaal der Werft.
Hier unterschrieben am 31. August 1980 der
Arbeiterführer Lech Walesa und Vizepremier Mieczyslaw
Jagielski das berühmte Abkommen, dessen wichtigster Punkt die
Zulassung einer selbstverwalteten Gewerkschaft war. Über neun
Millionen Berufstätige traten im Laufe des Herbstes der am 17.
September gegründeten Gewerkschaft Solidarnosc bei.
Die staatlich verordnete Theorie, dass die
kommunistische Partei die Arbeiter vertrete, erwies sich als nicht
mehr haltbar - "wir, die arbeitende Gesellschaft" - stand einem
"sie, die Machthaber" gegenüber. Vorausgegangen waren ein
entscheidender 18 Tage dauernder Streik und eine lang vorangehende
Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Galt Polen Anfang der
70er-Jahre mit seiner Ermutigung zum Konsum als ein Unikum im
Ostblock, so musste der anfangs charismatische Parteichef Edward
Gierek 1975 wieder den Verzicht preisen: das Land hatte sich mit
westlichen Großkrediten übernommen.
Als 1976 Proteste gegen die Erhöhung von
Lebensmittelpreisen brutal niedergeschlagen wurden, gründete
sich das Komitee zur Verteidigung der Arbeiterrechte (KOR), in der
sich Oppositionelle verschiedenster politischer Richtung fanden.
Trotz Repressalien liess sich die Bewegung nicht zerschlagen - zu
groß war die Zustimmung in der Bevölkerung. Auch die
katholische Kirche des Landes erfuhr nach der Wahl des Krakauer
Erzbischofs Karol Woytila zum Papst neues Selbstbewusstsein. Den
Besuch von Johannes Paul II. und den begeisterten Massenauflauf
dazu konnte die polnische Regierung nicht verhindern.
Ebensowenig wie die weitere Anhebung der
Lebensmittelpreise. Die Verteurung von Fleisch führte im Juli
1980 im ganzen Land zu Streiks, der vor allem in der ostpolnischen
Stadt Lublin das öffentliche Leben lähmte. Diesmal
regierte der Staat jedoch nicht mit Gewalt, sondern mit
Gesprächen und innerbetrieblichen Lohnerhöhungen. Die
Entlassung der beliebten Kranführerin Anna Walentynowicz, die
sich in der Danziger Werft für Arbeiterrechte einsetzte, bot
für die Aktivisten der illegalen "Freien
Küstengewerkschaft" den willkommenen Anlass für einen
Streik. Werftarbeiter galten im Sozialismus als "Elite". Gerade
diese Hervorhebung durch die Partei führte zu einer
bewußteren Einstellung der Arbeiter und paradoxerweise zu
einer größeren Bereitschaft, sich oppositionellen Gruppen
anzusschließen, so die Analyse der polnischen Zeitschrift
"Polityka". Schließlich wussten die Arbeiter, dass die meisten
Schiffe an die Sowjetunion verkauft wurden, zu einem recht
ungünstigem Kurs, was neben den Lebensmittelteuerungen
zusätzlich für Unmut sorgte.
Die Werft war aber schon damals politisch
"aufgeladen": hier waren 1970 mehrere streikende Werftarbeiter
durch die Miliz ums Leben gekommen. Zu den Forderung der
Streikenden am 14. August 1980 gehört darum auch ein Denkmal
für die Opfer. Lohnerhöhungen und Wiedereinstellung
vermochte die Werftleitung eingestehen, das Denkmal nicht. Dennoch
schien der Streik am 16. August beinahe zu Ende, hätte er sich
nicht auf weitere Betriebe in Danzig und Gdynia ausgeweitet. Der
Arbeiterfüherer Lech Walesa liess sich darum zu einem
"Solidaritätsstreik" überreden. Am gleichen Tag wurde das
"überbetriebliche Streikkomitee" (MKS) gegründet.
Unterstützt wurde der Protest durch den damaligen Probst der
Brigittenkirche Henryk Jankowski, der eine Messe in der Werft
abhält, die auch außerhalb des Werftors für einen
Menschenauflauf sorgt. Die polnischen Bischöfe richten zwar
mahnende Worte an die Streikenden, doch alle 21 Postulate des
Streikkomitees wurden vom polnischen Episkopat unterstützt.
Ende August hatten sich dem MKS schon 700 Betriebe angeschlossen,
eine Art Staat hatte sich in der Volksrepublik Polen gebildet - mit
der Danziger Werft als Hauptstadt. So musste die polnische
Regierung die größte Kröte der 21 Postulate
schlucken; die Erlaubnis zur Gründung einer selbstverwalteten
Gewerkschaft. Unter anderem gestand sie das Recht auf Streik zu und
versprach eine Einschränkung der Zensur.
Lech Walesa wird Präsident
Auch das ausgerufene Kriegsrecht im Dezember
1981 konnte die Opposition in der Bevölkerung nicht brechen:
Ende 1988 wurde die Solidarnosc wieder offiziell zugelassen, 1989
waren halbfreie Wahlen möglich, Lech Walesa wird 1990 der
erste Präsident der "Dritten polnischen Republik".
Mit vielen Veranstaltungen erinnert sich
Polen an das 25-jährige Jubiläum des Abkommens, wie mit
einem bombastischen Auftritt des französischen Elektromusikers
Jean Michel Jarre am 26. August. Zu den Hauptfeierlichkeiten am 29.
bis 31. August in Danzig wird Lech Walesa Gäste aus aller Welt
treffen, darunter auch Bundespräsident Horst Köhler
.
Das offizielle Plakat dazu hängt schon
seit Juni in ganz Polen aus: es zeigt ein Foto des
Arbeiterführers, wie er die Arme reckt. Das Bild ist auf einer
Art Dominostein montiert, das andere Foto-Dominosteine umwirft: zu
sehen sind der erste frei gewählte Ministerpräsident
Tadeuz Mazowiecki, die Berliner Mauer, Vaclav Havel, Viktor
Juschtschenko und ein weiterer, verdeckter Stein, der gleich
umfallen wird. Die Botschaft ist klar: der Streik (Walesa allein?)
hat den Kommunismus zu Fall gebracht und seine Auswirkungen
schreiben auch in Zukunft noch Geschichte. "Es begann in Danzig"
lautet der Titel des Plakats. Doch wie ging es weiter in Danzig?
Wie ein ironischer Fingerzeig hängt ein großes Billboard
des französischen Verbrauchermarkts Geant in Nähe des
ersten Werkstors: "Schweinerücken, Preissenkung von 20 Zloty
auf 14 Zloty das Kilo". Überteuertes Fleisch gehört also
eindeutig der Vergangenheit an. Um die Werft selber ist es jedoch
nicht so gut bestellt. Etwa 17.000 Menschen arbeiteten dort mal zu
besten Zeiten, heute sind es gerade um die 2.500. Schiffe werden
keine mehr gebaut, nur noch Schiffsteile. Das noch betriebene
Gelände gehört nun der Werft der Nachbarstadt Gdynia.
"Unser eigenes Ding wollten wir machen und auch weg vom Einfluss
des "Ruski". Wir wollten, dass es damals anders wird und es ist
anders geworden", meint Dariusz Flasinski, sehr vielsagend.
Flasinski, Anfang 50, ist gelernter Mechaniker und hat 20 Jahre auf
der Werft Motoren, Aggregate und Pumpen repariert. Dann verlor er
dort 1995 seine Arbeit, kurz bevor die Werft 1996 Bankrott ging.
Dass immer noch die "Roten" regieren, gemeint ist der seit 1995
amtierende Präsident Aleksander Kwasniewski und die linke
Minderheitsregierung, das sei Grund für die Misere. "Heute
sagen sie - Hilf Dir selbst, wir haben freien Markt." Ihm helfe
aber kein feier Markt, wenn es Korruption und für ehrliche
Arbeit kaum Geld gebe. Nach seiner Entlassung fand Flasinki in
Zulieferbetrieben der Werft Jobs. Doch auch dort gingen die
Aufträge zurück. Auf der Stettiner Werft schufteten er
und andere Arbeiter ohne Entlohnung. Da sich im Werftbereich viele
Firmen wieder auflösten und neugründeten, konnte der
ehemalige Arbeitgeber nicht zur Lohnausgabe gezwungen
werden.
Selbst als Statist in dem Brecht-Stück
"Happy End" spielte und sang er in einer alten Lagerhalle auf der
Werft - zusammen mit anderen arbeitslosen Werftarbeitern. Heute
arbeitet Falsinski wieder in seinem Beruf - auf einer Werft in
Dubai, weit weg von seiner Familie in Danzig. Mit dem Geld kann er
das Studium seiner zwei Töchter finanziern. Auf die
Casting-Offerte einer Filmgesellschaft, die neben dem Werfttor
hängt muss er nun nicht mehr zurückgreifen: Dort werden
ehemalige Werftarbeiter als Statisten für die historischen
Streikszenen gesucht. Zu bloßen Statisten sehen sich auch
viele alte Streik-Aktivisten degradiert. So zum Beispiel Andrzej
Gwiazda und die ehemalige Kranführerin Anna Walentynowicz, die
von Walesa nach dem Abkommen im August bald ins Abseits geschoben
wurden. Als Walesa Anfang der 90er als Präsident amtierte,
arbeitete Walentynowicz nach Internierung und Berufsverbot wieder
als Kranführerin auf der Werft. Viele von ihnen leben von
einer kargen Rente. Sie organisieren nun Gegenveranstaltungen, in
denen weniger die internationale Auswirkung des Streiks, sondern
die Bedeutung für die polnische Arbeiter besprochen werden
soll. Walesa gilt als "Verräter" und "Agent" des polnischen
Geheimdienstes, der es ermöglicht hat, das die Kommunisten in
anderer Form weiter regieren. Walesa kommentierte die Gruppe in
einem Zeitungs-Interview: "Am Anfang brauchte man Leute zum
kämpfen, dann zum Organisieren." Idealisten also. Aber auch
die Praktiker, die Mitglieder der jetzigen Gewerkschaft
Solidarnosc, die heute noch in der Werft arbeiten, verweigern sich
den Feierlichkeiten Ende August. Schon die Erinnerung an den
Jahrestag des Streikbeginns verlief disharmonisch:
"Totengräber der Solidarnosc", riefen Gewerkschaftsmitglieder
am Werfttor den Liberalen Tadeusz Mazowiecki und Bronislaw Gieremek
zu. Die "Freiheit des Wortes", die nach jüngsten Umfragen
wichtigste Errungenschaft der Solidarnosc-Revolution, wird von den
heutigen Aktivisten ausgiebig genutzt. Auf den Ruinen der Werft
würde sich das pompöse Jubiläum gründen. Sie
verlangen die Unabhängigkeit der Werft von der Gdynia
Aktiengesellschaft einen Rückkauf der Werftaktien und mehr
Mitbestimmung. Die Protestform Streik fällt bei der maroden
Auftragslage jedoch als Druckinstrument weg. Entfremdet haben sich
zudem die Gewerkschaft und ihr damaliger Gründer. Der heutige
Weltbürger Lech Walesa will aus der Solidarnosc, wie schon
mehrfach angekündigt, nach der Jubiläumsfeier
austreten.
Auch das stillgelegte Gelände der Werft,
in der Industrieruinen herumstehen, wird sich bald verändern.
Die Firma "Synergia 99", deren Inhaber Janusz Lipnski selbst
Solidarnosc-Aktivist war, besitzt einen Teil des Grundstücks.
Dort soll "die junge Stadt" entstehen, ein modernes Wohn- und
Geschäftsviertel nach dem Vorbild der Hafenstadt Rotterdam.
Einen Teil der Fläche hat die Stadt Danzig jedoch für ein
Museumsprojekt wieder zurückgekauft.
Im Gegensatz zu vielen seiner verbitterten
ehemaligen Arbeitskollegen würde Driusz Flasinski ganz gerne
das Jean Michel Jarre Konzert und die Gedenkfeierlichkeiten
besuchen. Doch Flasinksi wird dann schon als Mechaniker gebraucht.
Wenn auch in Dubai und nicht in Danzig.
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