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Karl Klebe
Aus dem Weltverbesserer wurde am Ende ein
Mittäter
Peter Raabe - Präsident der
Reichsmusikkammer
Nach 1933 ließen sich in Deutschland nicht wenige
Intellektuelle mit einem scheinbar fundierten Wertebild auf Hitler
und seine zerstörerische Ideologie ein und wurden zeitweilig
sogar zu Handlangern seines Regimes. Unübersehbar wollten
viele einen Kontext zwischen ihren Idealen und der Person Hitlers
als vermeintlichem Heilsbringer herstellen, galt er doch als Garant
ihrer zumeist auf Traditionalismus beruhenden Identität. So
trifft auch auf diese Gruppe das Wort des ehemaligen
Reichsjugendführers Baldur von Schirach zu: "Einen Hitler kann
es nur in einen Volk geben, das den Wunsch und Willen hat, einen
Hitler zu haben."
Die Richtigkeit dieser These hat sich auf makabre Weise an Peter
Raabe erfüllt, der 1935 nach dem erzwungenen Rücktritt
von Richard Strauß als 62-Jähriger nach einer rund 40
Jahren währenden Karriere als Dirigent, Musikschriftsteller,
Hochschullehrer und Verbandsfunktionär zu dessen Nachfolger
als Präsident der Reichsmusikkammer (RMK) berufen wurde.
Über ihn, der im deutschen Musikleben bekannt, wenn auch
nicht berühmt war, ist in der Nachkriegszeit viel Unrichtiges
geschrieben worden, das meist darin gipfelte, Peter Raabe als einen
eher unwichtigen und letztlich nur zweitrangigen Ehrgeizling zu
schildern. Zudem fehlen weitgehend Beschreibungen darüber, in
welchen Organisationszusammenhang genau die RMK im
bürokratischen Geflecht des Ministeriums für
Volksaufklärung und Propaganda von Joseph Goebbels stand.
Diese Lücken schließt eindrucksvoll die nun
erschienene Biografie der Musikwissenschaftlerin Nina Okrassa. Sie
untersucht "Leben, Denken und Handeln Raabes" vor dem Hintergrund
der Zeitumstände "und der Interaktion mit anderen Personen"
und zeigt anhand reichen Quellmaterials allgemeine Handlungsmuster.
Ihre Untersuchungsmethode führt zu keiner bloßen
Aburteilung der Beteiligten, sondern zum Verstehen, das aber in
keinem Fall Verständnis oder Exkulpation bedeutet.
Peter Raabe selbst hat in seiner Liszt-Biografie zur Frage, ob
der Komponist Antisemit gewesen sei oder von der Fürstin
Wittgenstein hierzu animiert wurde, gesagt: "Liszts
Verantwortlichkeit wird dadurch nicht gemindert, denn unter seinen
Namen ist das Buch erschienen." Daran wird auch Raabe gemessen, der
sich schon lange vor seiner Ernennung zum Präsidenten der RMK
in Zeiten wirtschaftlicher Not im Glauben an die positive Macht der
Musik für soziale, ökonomische und künstlerische
Interessen aktiv eingesetzt hatte. Er, der einerseits die Moderne
bis in die Nazizeit hinein förderte, war andererseits
Anhänger eines undemokratischen Führerprinzips, das er in
seinem Amt glaubte, autoritär verwirklichen zu
können.
Am Ende Resignation
Dadurch wurde er zum nützlichen Handlanger der Nazis.
Obwohl neutral in Rassefragen, ging seine "pflichtbewusste
Amtsführung so weit […], dass er Tausenden von Juden
Berufsverbot erteilte". Sein größter Irrtum war
anzunehmen, die ihm gemäßen Teile der Naziideologie zum
Nutzen der Musik unter Beibehaltung einer annähernd
humanistisch konservativen Einstellung benutzen zu können.
Am Ende hatte sich Raabe in einem Netzwerk komplizierter
Zuständigkeiten verhakelt, in dem er zur Machtlosigkeit
verdammt und eine nach Belieben eingesetzte Marionette war. Wie
sehr ihm diese Situation letztlich doch genehm war, zeigt die
Tatsache, dass er wiederholt eingereichte Rücktrittsgesuche
stets wieder zurücknahm. Im April 1945 ist Raabe resigniert in
Weimar gestorben.
Das spannend zu lesende Buch erhellt das Scheitern eines Mannes,
der in seinem Leben mit drei Epochen konfrontiert (Kaiserreich,
Weimarer Republik, Hitlerdiktatur) war und nicht den adäquaten
Weg für sich fand. Zugleich werden die Strukturen eines
Systems durchleuchtet, das darauf angelegt war, durch verzweigte
Zuständigkeiten Verantwortlichkeiten zu verschleiern und durch
ständiges Gerangel untereinander die "Führerschaft" nie
zu gefährden.
Nina Okrassa
Peter Raabe. Dirigent, Musikschriftsteller und Präsident
der Reichsmusikkammer (1892 - 1945).
Böhlau Verlag, Köln/ Weimar/ Wien 2004; 456 S.,
49,90 Euro
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