Kai Nitschke
Sieg für den "Deutschlandachter"
Alle Prozessparteien loben das faire
Verfahren
Rund fünf Stunden verhandelte das
Bundesverfassungsgericht über die Klage gegen die für den
18. September angesetzten Neuwahlen. Obwohl das Ergebnis noch
aussteht, zollen bereits alle Beteiligten den Karlsruher
Verfassungshütern ihren Respekt.
Das Verfahren gegen die Neuwahlen werfe die
Frage auf, wer das führende Verfassungsorgan sei - der
Bundestag oder der Bundeskanzler, sagte der Verfassungsrichter Udo
Di Fabio gleich zu Beginn der mündlichen Verhandlung in
Karlsruhe. "Wer führt die Republik?" sei die zugespitzte Frage
hinter dem Rechtsstreit, so der für das Verfahren
zuständige Berichterstatter Di Fabio.
Die Entscheidungskompetenz des
Bundesverfassungsgerichts über die bereits angesetzten
Neuwahlen beweist auf jeden Fall ein weiteres Mal, dass neben
Bundestag und -rat sowie dem Bundeskanzleramt die Republik
zumindest mit von Karlsruhe aus geführt wird. Und diesen
Umstand scheinen alle zu begrüßen.
Trotz der drohenden Niederlage zeigten sich
die beiden Kläger Werner Schulz (Grüne) und Jelena
Hoffmann (SPD) mit der Verhandlung sehr zufrieden: "Ich habe das
als sehr ernsthafte Überprüfung erlebt", sagte Schulz.
Und Jelena Hoffmann empfand es als sehr befreiend, "dass die
Diskussion so sachlich abgelaufen ist." Der für die
Bundesregierung in Karlsruhe auftretende Innenminister Otto Schily
(SPD) lobte das Gericht, weil es an seinem Urteil von 1983
grundsätzlich festhalten will.
Die rund fünfstündige Verhandlung
vor dem Verfassungsgericht war vor allem ein Meinungsaustausch
zwischen den führenden Staatsrechtlern der Bundesrepublik
Deutschland. Der für seine humorvolle aber auch straffe
Verhandlungsführung bekannte Vorsitzende des 2. Senats,
Winfried Hassemer, stellte gemeinsam mit dem für die
Urteilsvorbereitung zuständigen Richter Udo Di Fabio noch
einmal den Streitstand dar, bevor nach den Stellungnahmen der
Prozessparteien die übrigen Verfassungsrichter mit ins das
Geschehen eingriffen.
Es entwickelte sich eine lebhafte juristische
Diskussion aller acht Verfassungsrichter mit den Prozessvertretern
der Abgeordneten Schulz und Hoffmann sowie dem Anwalt der
Bundesregierung.
Alle Beteiligten waren durch
hochkarätige Staatsrechtler in Karlsruhe vertreten.
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte mit dem Berliner
Professor Bernhard Schlink wohl einen der bekanntesten deutschen
Juristen nach Karlsruhe entsandt: Der im Nebenberuf literarisch
tätige Staatsrechtler wurde durch seinen Roman "Der Vorleser"
weltberühmt. Die Geschichte eines Schülers, der sich nach
dem Zweiten Weltkrieg in eine frühere KZ-Aufseherin verliebt,
schaffte es bis an die Spitze der Bestsellerliste der "New York
Times" und entzündete eine Debatte über den literarischen
Umgang mit dem Holocaust.
Die klagenden Abgeordneten Schulz und
Hoffmann waren durch die Staatsrechtsprofessoren Wolf-Rüdiger
Schenke bzw. Hans-Peter Schneider vertreten. Der an der
Universität Hannover tätige Föderalismus-Experte
Schneider hat für die SPD schon in zahlreichen Kommissionen
und Sachverständigengremien mitgearbeitet. Der Mannheimer
Staatsrechtler Schenke war als Anwalt der damals klagenden
FDP-Abgeordneten bereits am Verfahren im Jahr 1983 beteiligt. Die
daraus gewonnenen Erkenntnisse hat er in zahlreichen
Fachaufsätzen verarbeitet und in den renommierten "Bonner
Kommentar" zum Grundgesetz einfließen lassen.
Dass Schenke auch beim
Bundesverfassungsgericht hohes Ansehen genießt, zeigte sich
bereits im Verfahren 1983: Die damals zuständigen Richter
übernahmen große Teile seiner Argumentation, im Ergebnis
machten sie aber den Weg für Neuwahlen frei.
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