Roland Löffler
Das "Wolferl" ist Österreicher
Die Ausstellung "Verfreundete Nachbarn" im Haus
der Geschichte in Bonn
Wahrscheinlich gibt es kaum zwei Nachbarländer in Europa,
die sich in den letzten zwei Jahrhunderten derart aneinander
abgearbeitet haben wie diese zwei: Österreich und Deutschland.
Die gleiche Sprache, die verwandte Kultur, die geteilte Geschichte,
die erst mit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher
Nationen 1804/1806 eine Zäsur erlitt, aber als offene Wunde
politisch virulent blieb.
Die nach einem Buchtitel der Wiener Publizistin Gabriele Holzer
benannte Bonner Ausstellung "Verfreundete Nachbarn" nimmt nicht
deshalb beziehungsreich mit der Kaiserkrone ihren Anfang. Sie steht
für die Zeit vor der getrennten Nationalstaatsbildung und wird
zum Kontinuum der Ausstellung. Damit verbindet sich eine Leitthese
der Ausstellungsmacher: Der Anschluss von 1938 ist kein Zufall,
sondern seit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches in
Österreich mental vorbereitet. Die kleindeutsche Lösung
von 1870/71 verhinderte ein früheres Zusammengehen der
selbsternannten "Brüdervölker". Mit dem Trauma des
verlorenen Ersten Weltkriegs und dem Untergang der
Habsburgmonarchie (wie der Hohenzollernregentschaft) wird die
Vereinigungsfrage plötzlich akut, was sowohl das Foto einer
Wiener Großkundgebung für den Zusammenschluss vom Februar
1919 als auch entsprechende Aufrufe von Robert Musil und Thomas
Mann zeigen.
Der Innenarchitekt der Ausstellung, die in neun Räumen 700
Ausstellungsgegenstände präsentiert, hat deshalb die
Wände so angeordnet, dass sie spitz auf eine Leinwand
zulaufen, die Hitlers gefeierter Ankunft in Wien zeigt. Nicht nur
an dieser Stelle gelingt es den Ausstellungsmachern um Kuratorin
Andrea Mork hervorragend, Geschichte zu visualisieren. Die relativ
kurzen Texte und die einprägsamen Exponate sind sensibel
aufeinander abgestimmt, bringen geradezu didaktisch die Grundthesen
zu den wesentliche Stationen des deutsch-österreichischen
Verhältnisses auf den Punkt, bleiben im Gedächtnis
hängen. Der deutsche Besucher erlebt dabei
Überraschungen, etwa wenn er den Austrofaschismus auch als
einen Versuch kennen lernt, den Nationalsozialismus zu
"überhitlern", wie es zeitgenössisch hieß, und damit
zu verhindern. Im Blick auf 1938 wird deutlich, dass die
Begeisterung in Österreich groß war, es aber auch zu
politischen Säuberungen kam. Das eine symbolisiert ein
Geschenk an Hitler, ein Schatzkästlein mit "der heiligen Erde
der Ostmark". Die NS-Verfolgung exemplifiziert Siegmund Freunds
Reisetasche und ein aberwitziger Beleg, nach dem der jüdische
Psychoanalytiker für die Überführung seines
Vermögens nach London 25 Prozent Reichsfluchtsteuer entrichten
musste.
In der Nachkriegszeit dominiert in Österreich - anders als
in Deutschland - der "Opferdiskurs". Österreich sah sich als
"befreites", Deutschland als "besiegtes" Land. Mit der
Übergabe der Reichsinsignien, die Hitler von Wien nach
Nürnberg geholt hatte, durch US-General Clark an Bundeskanzler
Figl und Bundespräsident Renner begann 1946 die Epoche der
österreichischen Identitätssuche. Sie erreichte mit dem
Staatsvertrag vom 15. Mai 1955 ihren ersten Höhepunkt. Als
Gegenleistung für den alliierten Abzug und die
Wiederherstellung der vollen Souveränität, bekannte sich
Wien zur politischen Neutralität und versprach, keine
Vereinigung mit Deutschland einzugehen. Außerdem
fundamentierte das völkerrechtliche Dokument eine
Geschichtspolitik, die Österreich 1938 als Opfer einer
aggressiven Annexionspolitik sah. Das Hamburger Nachrichtenmagazin
"Der Stern" kritisierte mit verletzender Polemik die
Verdrängung der NS-Vergangenheit im Nachbarland. Das
änderte sich erst im Laufe der letzten 20 Jahre - etwa mit
Thomas Bernhards "Heldenplatz", von dessen Premiere
Videoausschnitte gezeigt werden.
Für die politische Zukunft Österreichs erweis sich die
Teilung Deutschlands als Handicap. Es gehört zu Verdiensten
der Bonner Ausstellung, die oftmals vergessene DDR-Geschichte als
konstitutives Element
des trilateralen deutsch-österreichischen
Verhältnisses stets mit zu dokumentieren. Die deutsche
Zweistaatlichkeit wurde zum abschreckenden Beispiel für
Österreich, dass nun einen konsequenten Neutralitätskurs
einschlug, der sich wiederum für West- wie Ostdeutschland
verbot. Die Nachbarländer blieben deshalb für einander
historisch-politische Referenzgrößen. Allerdings kam es
in der Ära der sozialdemokratischen Bundeskanzler Willy Brandt
und Bruno Kreisky, die beide das Exilanten-Schicksal teilten, zu
einer engen Kooperation in der Entspannungspolitik und einer
Annäherung der Blöcke.
Sehnsucht nach der guten alten Zeit
Kulturell trieb die Suche nach einem österreichischen
Selbstbewusstsein mitunter kuriose Blüten, wovon das erste
österreichische Wörterbuch ebenso ein Zeugnis ablegt wie
ein Schulzeugnis, in dem keine Deutschnote, wohl aber eine im Fach
"Unterrichtssprache" verzeichnet war. Selbst die alpinen Heimat-
und Sissi-Filme besitzen in diesem kulturellen
Selbstfindungsprozess eine gedächtnisgeschichtliche Bedeutung.
In einem Minikinosaal werden deutsche und österreichische
Filme des royalistischen Genres gleichzeitig auf nebeneinander
liegenden Leinwänden gezeigt, die der Zuschauer nur mit hoher
Konzentration auseinanderhalten kann. Die Sehnsucht nach der "guten
alten Zeit" scheint in den 1950 und 1960er Jahren diesseits und
jenseits der Donau ähnlich ausgeprägt gewesen zu sein.
Als "Sissi" aber 1957 in Beirut als "deutscher Film" gezeigt wurde,
sorgte dies auf österreichischer Seite für
Verstimmungen.
Doch die Bonner Geschichtsschau belegt auch eine andere
Entwicklung: Deutschland konnte seine Identität nicht allein
mit einem Rekurs auf Monarchie und ländliches Idyll
konstruieren. Während Westdeutschland deshalb den Kontakt zur
westlich-internationalen Kunstszene suchte, verschrieb sich die DDR
dem sozialistischen Realismus. Auch das ging nicht bruchlos. Pikant
war der Fall Berthold Brecht. Der in Augsburg geborene
sozialistische Vorzeigeliterat ging nämlich erst in dem Moment
nach Ostberlin, als ihm die Alpenrepublik aufgrund seiner Ehe mit
einer Österreicherin und seinem Wohnsitz in Salzburg die
Staatsangehörigkeit verlieh.
Als beliebtestes Urlaubsland der Deutschen und trotz der
legendären 3:2 im argentinischen Cordoba entspannte sich das
deutsch-österreichische Verhältnis im Laufe der Jahre.
Das Ende des Kalten Krieges und die Mitgliedschaft in der EU
führten zum Ende der österreichischen
Neutralitätspolitik. Heute pflegen beide Länder- trotz
fortwährender alltäglicher Vorurteile -eine eher
unproblematische Beziehung. Es sei denn, es geht um Mozart: Als das
Zweite Deutsche Fernsehen 2003 in einer etwas historisch
völlig anachronistischen Sendung "Unsere Besten" wählen
ließ und dabei Mozart auf den vorderen Plätze landete,
reagierte die "Yellow Press" an der Donau empört: Das
"Wolferl" dürfe nicht vereinnahmt werden, da es durch und
durch österreichisch sei.
Vielleicht lag der Wiener Kabarettist Werner Schneyders nicht
ganz falsch, als er zur Eröffnung der Ausstellung, die 2006 in
Wien gezeigt werden soll, meinte: "Wir könnten Deutsche sein,
wenn wir wollten, aber wir wollten nicht. Die Deutschen wären
froh, wenn sie Österreicher sein könnten, aber sie
können nicht."
Verfreundete Nachbarn. Deutschland-Österreich. Ausstellung
unter der Schirmherrschaft der Präsidenten der Bundesrepublik
Österreich und der Bundesrepublik Deutschland.
Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
Willy-Brandt-Allee 14, D-53113 Bonn; 19. Mai bis 23. Oktober 2005;
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 9-19 Uhr.
Eine weitere Präsentation findet vom 2. Juni bis 9. Oktober
2006 im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig statt.
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