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Alexander Weinlein
Drei Stunden nach Mitternacht
Damals... vor 15 Jahren am 23. August:
Volkskammer beschließt Beitritt der DDR zur
Bundesrepublik
Die Geschichte der Menschheit ließe sich - zumindest in
großen Teilen - recht anschaulich mit Hilfe von Zitaten
nacherzählen. Mal sind sie nur legenhaft überliefert, wie
im Falle von Gaius Julius Caesar, als er im Jahre 49 v. Chr. mit
seiner Armee das Flüsschen Rubikon überschritt und damit
das Römische Reich in den Bürgerkrieg riss. Er soll dies
mit den fatalistischen Worten "Die Würfel sind gefallen"
quittiert haben. Manchmal geben diese Zitate einer bestimmten
Hoffnung Ausdruck, beispielsweise als der englische General
Wellington am 18. Juni 1815 beim Anblick der heranstürmenden
Franzosen unter Napoleon auf dem Schlachtfeld von Waterloo ein
flehentliches "Ich wollte es wäre Nacht und die Preußen
kämen" gen Himmel schickte. Andere berühmt gewordene
Sätze sollten bewusst täuschen, wie im Falle des
DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht, als er am 15. Juni 1961
auf einer Pressekonferenz log: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer
zu bauen." Manchmal sind solch geschichtsträchtigen Sätze
aber auch Ausdruck des Triumphs: So jubelte der Astronaut Neil A.
Amstrong am 21. Juli 1969 "Ein kleiner Schritt für einen
Menschen, aber ein großer Schritt für die Menschheit" als
er als erster Mensch den Mond betrat.
Nicht immer finden diese Zitate ihren Weg in die
Geschichtsbücher und in das kollektive Gedächnis der
Menschen, bringen aber trotzdem das mit ihnen verbundene
historische Ereignis auf den Punkt: "Frau Präsidentin! Das
Parlament hat soeben nicht mehr und nicht weniger als den Untergang
der Deutschen Demokratischen Republik zum 3. Oktober beschlossen."
Mit diesen Worten wandte sich der PDS-Volkskammerabgeordnete Gregor
Gysi sichtlich enttäuscht an Sabine Bergmann-Pohl, die wenige
Minuten zuvor - um Punkt 2:47 Uhr in der Nacht vom 22. auf den 23.
August 1990 - als Präsidentin der ersten frei gewählten
Volkskammer das Ergebnis der Abstimmung über den Beitritt der
DDR zur Bundesrepublik Deutschland für den 3. Oktober bekannt
gegeben hatte: Für den Kompromissantrag aus den Fraktionen von
CDU/DA, DSU, FDP und SPD hatten 294 Abgeordnete gestimmt, 62
dagegen, sieben Parlamentarier hatten sich der Stimme enthalten.
"Ich glaube", so Sabine Bergmann-Pohl, "das ist ein wirklich
historisches Ereignis. Ich danke allen, die es im
überparteilichen Konsens ermöglicht haben." In der Tat,
historisch war dieser Augenblick in jedem Fall. Wann hatte ein
Parlament jemals zuvor die Auflösung des eigenen Staates und
den Beitritt zu einem anderen Staat beschlossen?
Begonnen hatte der Sitzungsmarathon der Volkskammer ganz
regulär am Tag zuvor um 16 Uhr. Auf der Tagesordnung stand
zunächst einmal die Verabschiedung für das erste
gesamtdeutsche Wahlgesetz, das in der Volkskammersitzung 14 Tage
zuvor in der Ersten Lesung an der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit
wegen mangelnder Präsenz der Parlamentarier gescheitert war.
Eine weitere Blamage wurde jedoch verhindert: 295 Abgeordnete
stimmten für das Gesetz, 74 dagegen, zwei enthielten sich der
Stimme.
Dann trat Ministerpräsident Lothar de Maizière mit
ernster Miene ans Pult. Seine Forderung: Eine Sondersitzung der
Volkskammer noch am gleichen Abend. Sein Ziel: Einen Beschluss
über den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland.
Seine Begründung: Der Bevölkerung ist meines Erachtens
das Hin und Her nicht länger zuzumuten. Ich habe viele Anrufe,
Briefe und ähnliches aus der Bevölkerung erhalten. Es
wird Zeit, die quälende Diskussion zu beenden." Nach einer
anderhalbstündigen Debatte im Parlamentspräsidium war man
sich einig. Die vom Ministerpräsidenten geforderte
Sondersitzung wurde für 21 Uhr anberaumt. Stunde um Stunde
debattierten die Abgeordneten dann über verschiedene
Anträge zur Vereinigung der Deutschen in einem souveränen
Staat nach 45 Jahren der Trennung.
Für DDR-Verkehrsminister Horst Gibtner bot die Nachtsitzung
der Volkskammer gleich einen doppelten Grund zum Feiern. Um
Mitternacht konnte er sich zu seinem 50. Geburtstag gratulieren
lassen. Und sichtlich bewegt vom "großen Geschenk" der
Deutschen Einheit wandte er sich an das Parlament: "Vielleicht darf
ich noch einen Geburtstagswunsch äußern, nicht gleich
für das ganze neue Lebensjahr, sondern für die noch vor
uns stehenden Tage gemeinsamer Arbeit. Ich glaube, dass mit dieser
Entscheidung eine schwere Last von unseren Schultern gewichen ist;
und ich wünsche mir, dass wir in der verbleibenden zu
konstruktiver Arbeit zurückkehren, frei und souverän, so
wie unsere Wähler dies von uns erwarten."
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