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Reinhard Baumgarten
Der Neue ist der Alte
Nach der Wahl - Hoffnung auf mehr Demokratie in
Ägypten
Die Wahl ist vorbei. Der Neue ist der Alte.
Husni Mubarak ist mit offiziell 88,5 Prozent bei einer
Wahlbeteiligung von 23 Prozent am 7. September wiedergewählt
worden und bleibt Präsident Ägyptens. Niemand kann davon
überrascht sein. Niemand hat ernsthaft damit gerechnet, dass
einer der neun Gegenkandidaten das Rennen machen wird. Auch die
Bewerber selbst haben nicht an einen Wahlsieg geglaubt. Der Weg war
das Ziel.
Es ging darum, wie der 77-Jährige in
seinem Amt bestätigt wird. Es ging um den Wahlkampf, um die
Kampagne, um die öffentlichen Auftritte und die
öffentlichen Debatten. Ägypten hat das noch nie zuvor in
seiner modernen Geschichte erlebt. Und noch nie hat sich ein
amtierender Präsident des Landes derart viel öffentliche
Kritik anhören und dazu Stellung nehmen müssen. Am
mutigsten hat sich dabei Ayman Nour, Chef der erst im Oktober
vergangenen Jahres zugelassenen liberalen Al-Ghat Partei (Der
Morgen) gezeigt, der dafür mit einem Stimmenanteil von
beachtlichen 7,5 Prozent belohnt worden ist.
Beinah ganz im Stil westlicher Politiker hat
Husni Mubarak während des knapp dreiwöchigen Wahlkampfs
gewaltige Versprechungen gemacht. In den kommenden sechs Jahren
seiner fünften Amtsperiode sollen 4,5 Millionen Jobs
geschaffen, eine halbe Millione Wohnungen, 3.000 neue Schulen und
1.000 neue Fabriken gebaut werden. Mubarak ist in der
Oppositionspresse angesichts der schwer einzulösenden
Versprechungen mit dem ägyptischen Till Eulenspiegel Goha
verglichen worden. Dieser hatte dem greisen Sultan versprochen,
einem Esel binnen 20 Jahren das Lesen und Schreiben beizubringen.
Als die Leute wissen wollten, wie er das zu machen gedenke, sagte
er schlicht: Gar nicht - entweder der Esel oder der Sultan stirbt,
oder aber ich werde bis dahin tot sein.
Ob Husni Mubarak tatsächlich noch sechs
Jahre im Amt bleiben wird, scheint keineswegs ausgemacht.
Gerüchte wollen wissen, dass es ihm gesundheitlich nicht sehr
gut geht. Andere Gerüchte sagen, er wolle in den kommenden
Jahren seinem 42-jährigen Sohn Gamal, der bereits eine
Spitzenposition in der regierenden Nationaldemokratischen Partei
(NDP) bekleidet, den Weg ins Präsidentenamt bereiten. Im Namen
des Vaters und des Sohnes weist das Präsidialamt derartige
Spekulationen jedoch stets entschieden zurück.
Anhaltende Fremdbestimmung
Seit vielen Jahrhunderten werden die Bewohner
Ägyptens fremdbestimmt. Mitte des vergangenen Jahrhunderts
schien die Fremdbestimmung mit der Revolution der Freien Offiziere
zu enden. Der König wurde gestürzt, die Briten mussten
endgültig das Land verlassen. Doch der Umsturz von 1952 hat
den Bürgern Ägyptens keine Freiheit und vor allem keine
Mitbestimmung gebracht. Gamal Abdel Nasser, Anwar el-Sadat und auch
Husni Mubarak - alle drei langjährigen Präsidenten der
Republik Ägypten haben ihr Volk in politischer
Unmündigkeit gelassen.
Diese politische Unmündigkeit, so die
Autoren der im Auftrag der Vereinten Nationen erstellten Berichte
über die Menschliche Entwicklung in der arabischen Welt (Arab
Human Development Reports) ist einer der Hauptursachen für die
wirtschaftliche und technologische Rückständigkeit
Ägyptens. Ein weiterer Grund ist die fehlende
Rechenschaftspflicht für die Herrschenden, die über das
Land und seine Reichtümer nach Gutdünken verfügen,
ohne dafür belangt zu werden. Ein dritter Grund ist die
fehlende Rechtssicherheit, die nachhaltige Investitionen verhindert
und viele kluge Köpfe aus dem Land getrieben hat und weiterhin
treibt.
Ägypten sieht sich heute einer Vielzahl
wachsender Probleme gegenüber: Bevölkerungsexplosion,
steigende Arbeitslosigkeit, zunehmende soziale Schieflage,
vermehrte Armut, Verknappung der Ressource Land. Ägypten
gleicht einem Pulverfass und die Lunte daran brennt bereits. Sie
kann kontrolliert und gelöscht werden - aber nur mit aktiver
Mitwirkung des Volkes. Es mag sein, dass vor allem amerikanischer
Druck Husni Mubarak dazu bewogen hat, sich auf das Wagnis einer
Wahl mit Gegenkandidaten einzulassen. Wobei die Wahl an sich nie
eine ernste Bedrohung für sein Verbleiben im Amt gewesen ist,
sondern die damit in Gang gesetzten Prozesse. Und diese Prozesse
werden von wirklich reformwilligen Kräften wie der
außerparlamentarischen Kefaya-Bewegung (Kefaya: Es reicht!)
getragen. Politischer Druck von außen und gesellschaftlicher
Druck von innen haben die in den vergangenen Wochen zu
spürende sanfte demokratische Brise in Ägypten
ermöglicht. Beides muss zum Wohle Ägyptens, des gesamten
Nahen Ostens sowie der angrenzenden Regionen Europa und
Schwarzafrika aufrecht erhalten werden. Ägypten braucht
dringend politische Reformen, damit das Land wirtschaftlich
vorankommt und nicht in einem Sumpf von Armut und
Vernachlässigung versinkt. Ein kleiner Anfang ist mit der
Mehrkandidatenwahl zumindest gemacht worden - auch wenn es
Berichten unabhängiger nationaler Wahlbeobachter zufolge
offensichtlich wieder zu Mogeleien und Betrügereien seitens
der herrschenden NDP gekommen ist.
Ungesunde Dominanz Mubaraks
Für die bislang weitgehend
marginalisierte ägyptische Opposition gilt jetzt: Nach der
Wahl ist vor der Wahl. Die nächste wichtige Etappe auf dem Weg
zu einer politischen Umgestaltung Ägyptens wird die
Parlamentswahl im November sein. Denn dann geht es darum, die
ungesunde Dominanz von Husni Mubaraks NDP zu brechen, die mehr als
90 Prozent der Sitze in der Nationalversammlung einnimmt und die
Regionalräte sowie die Beratende Versammlung
beherrscht.
Filz, Korruption und Vetternwirtschaft haben
im Ägypten des Husni Mubarak in den vergangenen 24
Regierungsjahren gewaltige Blüten getrieben. Die bes-ten
Mittel dagegen sind Transparenz, Pluralismus und Mitgestaltung.
Bislang hat Mubarak das seinen Landsleuten hartnäckig
verweigert. Den Westen hat er vor allem mit dem Hinweis auf die
drohende Gefahr islamischer Extremisten hinzuhalten vermocht.
Dieser vorgeschobene Grund darf nicht länger akzeptiert
werden. Und der Westen, der sich unter Führung Washingtons so
vehement für mehr Demokratie im Nahen Osten ausspricht, muss
lernen, sich gegebenenfalls auch mit demokratisch errungenen
unbequemen Mehrheiten zu arrangieren. In Ägypten heißt
das ganz konkret: Muslimbrüder und moderate Islamis-ten, die
als die zweitstärkste politische Kraft nach der NDP gelten,
dürfen nicht länger von der politischen Willensbildung
ausgeschlossen werden. Sie müssen die Möglichkeit haben,
sich in den politischen Prozess einzuschalten. Ansonsten drohen
Teile der moderaten Islamisten des Landes in den Extremismus
abzudriften. Der weltweit geführte Krieg gegen den Terrorismus
bekäme dann in Ägypten ein neues Schlachtfeld.
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