Nadine Leonhardt
Immer für eine Überraschung gut
Koizumi im Amt bestätigt
Stoppt die Reform nicht!" Mit diesem Wahlkampfslogan zog der
japanische Ministerpräsident Junichiro Koizumi in einen
hochdramatischen Wahlkampf, der ihm am 11. September einen
überragenden Sieg bescherte. Mit dem kleineren
Koalitionspartner, der Neuen Komei Partei, kontrolliert die
Liberaldemokratische Partei (LDP) mit 296 der 480 Sitze nun zwei
Drittel des Unterhauses. Der 63-jährige Ministerpräsident
hatte zuvor alles auf eine Karte gesetzt: Er rief eine vorgezogene
Neuwahl aus, welche er als Referendum über seine
Reformpläne und somit auch über seine politische Zukunft
deklarierte.
Denn Anfang August sah sich "Löwenherz", wie die
japanischen Medien den charismatischen Ministerpräsidenten
nennen, politisch in äußerster Bedrängnis. Das
Herzstück der schon bei seinem Amtsantritt im Jahr 2001
verkündeten Reformagenda, die Privatisierung der Post,
scheiterte in beiden Kammern des Parlaments. Zu diesem Ergebnis
hatten nicht nur die Oppositionsparteien beigetragen; auch 37
LDP-Abgeordnete des Unterhauses hatten ihrem Parteichef die
Gefolgschaft verweigert und gegen die Gesetzesvorlage gestimmt.
Der Machtkampf zwischen den mächtigen
LDP-Parteifürsten (wie Shizuka Kamei), welche eigenen
Flügeln in der Partei vorstehen, und Koizumi hatte somit einen
neuen Höhepunkt erreicht. Das Streitobjekt, die japanische
Post, ist nicht nur für die Briefzustellung zuständig.
Vielmehr hält sie als weltgrößte Bank und
Versicherung Einlagen von umgerechnet knapp 3 Billionen Euro und
übernimmt - vor allem in ländlichen Gebieten - auch die
Verteilung von Pensionen. Ihre aufgeblähte Bürokratie mit
mehr als 380.000 Mitarbeitern ist ineffizient und teuer; ihre
marktdominierende Position erschwert privaten Banken und
Versicherungen eigene Geschäfte. Koizumis Vision sieht daher
die Zerschlagung der Post in vier Bereiche entlang ihrer bisherigen
Aufgabengebiete in eine Bank, eine Versicherung, einen
Postzusteller und eine Verwaltung mit Filialkette vor. Die
Reformgegner hingegen argumentieren, die Privatisierung inklusive
des Wegfalls preisgünstiger Lebensversicherungen gehe zu
Lasten der Armen. Sie sehen auch die Versorgung der ländlichen
Gebiete nicht mehr gewährleistet. Neben der öffentlichen
Rhetorik mag auch eine Rolle spielen, dass das Unternehmen seit
jeher staatliche Bauprojekte finanziert und die Mitarbeiter der
Post zur treuen Wählerschaft der LDP zählen.
Der Disput um die Postreform ist längst zu einem
symbolischen Kampf zwischen Reformern und Bewahrern der Firma Japan
Inc. geworden. Konkret geht es um die Fragen, wohin sich Japan in
den nächsten Jahren entwickeln kann und wird, und wie es die
alte wirtschaftliche Stärke wiedergewinnen kann. Durch die
Auflösung des Unterhauses und die Neuwahlen verlagerte Koizumi
diese Auseinandersetzung von Parlament und Partei in die Mitte der
Gesellschaft.
Seine hochdramatische Wahlkampagne, von den Medien als "Koizumi
Theater" charakterisiert, stilisierte die Wahl als Entscheidung
zwischen alter und neuer LDP. Dazu trugen auch medienwirksame
Schlachten um einzelne Wahlkreise bei, in denen "reformfeindliche"
LDP-Abgeordnete gegen populäre Gegner aus den eigenen Reihen
antreten mussten. Von den 33 "Rebellen" konnten schlussendlich nur
15 ihr Mandat als unabhängige Kandidaten verteidigen.
Der Fokus der Wahl auf Postreform und Richtungsentscheid
innerhalb der LDP ließ der Opposition nicht viel Raum, eigene
Positionen effektiv zu vertreten. So schwand der anfängliche
Optimismus, vom Zwist in der Regierungspartei profitieren zu
können, zusehends. Das Wahlergebnis schließlich ist
für die größte Oppositionspartei, die Demokratische
Partei Japans (DPJ), ein herber Rückschlag: Hatten noch 2003
viele Analysten die DPJ als neue Kraft im politischen System
gefeiert und die Bildung eines Zwei-Parteien-Systems in den
nächsten Jahren vorhergesagt, verlor sie nun 64 ihrer 177
Mandate.
Das Wahlergebnis ist somit für Koizumi aus dreifacher Sicht
erfreulich: Erstens ist die Opposition geschwächt und nach dem
Rücktritt ihres Vorsitzenden Okada in einer Führungskrise
gefangen. Zweitens ist Koizumi innerhalb seiner eigenen Partei nun
die unangefochtene Führungspersönlichkeit. Drittens kann
er jetzt seine Reformpläne mit einer komfortablen Mehrheit
angehen.
Herausforderungen der Zukunft
Und die Herausforderungen der nächsten Legislaturperiode
sind zahlreich: Innenpolitisch stehen eine Steuerreform, die
Revision der Nachkriegsverfassung und die Neuorganisation der
sozialen Sicherungssysteme an. Außenpolitisch müssen noch
in diesem Jahr die Mandate für die japanische Beteiligung am
Afghanistan- und Irakeinsatz verlängert werden. Eine
Entscheidung, die das zukünftige Verhältnis zu den USA
wesentlich prägen wird. Auch regional ist Japan gefordert:
Sowohl bei den Sechs-Parteien-Gesprächen mit Nordkorea als
auch bei den angespannten Beziehungen zur Volksrepublik China ist
Fingerspitzengefühl gefragt. Koizumi selbst, der in dieser
vorgezogenen Wahl abermals sein einzigartiges politisches Talent
bewies, hat zur Bewältigung der Agenda nur noch bis 2006 Zeit.
Dann nämlich läuft seine Amtszeit als LDP-Präsident
ab. Doch auch wenn die LDP-Statuten keine Verlängerung der
zweimal dreijährigen Amtszeit vorsehen: Der japanische
Ministerpräsident ist immer für eine Überraschung
gut.
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