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Susanne Kailitz
Aufgekehrt...
In einer Glosse, so die Theorie, beschreiben Journalisten
ironisch die Geschehnisse und spitzen zu. In der Praxis ist es
allerdings gelegentlich so, dass alles, was eine Glosse orginell
machen könnte, längst von der Realität vorweg
genommen wurde. So wie jetzt etwa: Es gibt keinen noch so absurden
Einfall, der nicht schon längst als ernsthaft verkündeter
Gedanke über den Ticker läuft, und keine widersinnige
Idee, die nicht gerade erbittert diskutiert würde.
Oder hätten Sie sich bis zum 18. September vorstellen
können, dass bei einer Wahl alle angetretenen Parteien
gewinnen können? Wo bisher galt, dass immer einer das
verlieren muss, was ein anderer dazubekommt, gilt nun: Alle sind
Sieger. Und fast alle Kanzler. Soviel Einigkeit war selten. Was
macht es da schon, dass es vor der Wahl stabilere Mehrheiten
gegeben hat als danach? Klarheit hat der Wahlsonntag zwar nicht
gebracht - dafür aber das ganze Land in ein kollektives
Urlaubsfeeling versetzt. Alle schwelgen im Farbenrausch und
träumen von einer entspannten Urlaubsinsel. Angela Merkel mit
Rastafrisur und Guido Westerwelle im Baströckchen als
Jamaika-Koalitionäre sind nichts mehr, das bösartige
Journalisten als Schreckensbilder malen, sondern ernsthafte
Optionen. Gar nicht zu reden von den schönen
Wortschöpfungen: Früher garantiert Anwärter auf den
Titel "Unwort des Jahres", avanciert die "Schwampel" heute zur
Lieblingsvokabel von Parteistrategen und Meinungsforschern.
Letztere kriegen zwar gerade mächtig Prügel, müssen
aber keine Angst vor der Zukunft haben, denn nach der Wahl ist vor
der Wahl - und wer mit seinen Prognosen noch im September
meilenweit daneben lag, der kann es vielleicht im Januar nochmal
probieren. Auch das ist eine Idee, die diese Wahl hervorgebracht
hat: Gewählt wird so lange, bis es passt.
Das macht Ihnen Angst? Keine Panik. Vielleicht ist das, was
gerade passiert, nur ein chemisch ausgelöster Spuk. Der
Grüne Christian Ströbele hat einen Verdacht: Mit Blick
auf Kanzler Schröders Gebaren in der Elefantenrunde vermutete
er, die Freigabe des Hanfanbaus sei längst heimlich
durchgesetzt. Das würde einiges erklären - und Hoffnung
machen, denn der kollektive Politikerrausch wäre bald vorbei.
Nur die Kopfschmerzen danach, die werden grausam sein. Aber das ist
Stoff für die nächste Glosse.
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