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Susanne Kailitz
Der Wähler ist unberechenbar - und
unzufrieden mit seiner Wahl
Weder Schwarz-Gelb noch Rot-Grün erreichen
eine Mehrheit
Egal, von welcher Wahlparty die Fernsehteams am
18. September berichteten: Als die ersten Prognosen kamen, blieben
den Politikern aller Parteien die Münder offen stehen. Mit
diesem Wahlergebnis hatte niemand gerechnet. Während sich die
SPD freute, nicht die erwartete verheerende Niederlage erlitten zu
haben, mussten Union und FDP verdauen, dass es für
Schwarz-Gelb nicht gereicht hat. Die Schuldigen waren schnell
ausgemacht: die Demoskopen.
Wenige Tag nach der Wahl sind sich die
Meinungsforschungsinstitute in ihren Analysen einig darüber,
wer wen warum gewählt hat. Wieso aber das Wahlergebnis vom 18.
September für die Demoskopen ebenso überraschend kam wie
für alle anderen, löst Rätselraten aus. Wie ein
Blitz hat insbesondere das CDU-Ergebnis von nur wenig mehr als 35
Prozent eingeschlagen. Noch am 16. September hatte das Institut
für Demoskopie Allensbach 41,5 Prozent für die Union und
acht Prozent für die FDP ermittelt und auch Forsa sah die
Union zwei Tage vor der Wahl noch bei 41 bis 43 Prozent.
Ratlosigkeit der Meinungsforscher
Wie das passieren konnte, darüber sind
sich die Demoskopen uneins. Bei der Forschungsgruppe Wahlen
führt man die ungenauen Vorhersagen darauf zurück, dass
"Umfragen nur die Stimmung zu einem bestimmten Zeitpunkt
wiedergeben". Zudem habe die Bindung der Wähler an eine Partei
stark abgenommen, was zu einem großen Anteil an
unentschlossenen Wählern und Nichtwählern geführt
habe. Da es "auf den letzten Metern" große Veränderungen
innerhalb der beiden Lager gegeben habe, sei eine Form der
Koalitionstaktik aufgetreten. Insbesondere die FDP habe so Stimmen
von CDU-Wählern abgreifen können, die gegen eine
große Koalition gewesen seien.
Bei infratest-dimap sprach man von der
"zittrigen Hand" der Wähler. Die Wechselbereitschaft der
Wähler sei klar gewesen, nicht aber deren Anteil an der
Gesamtwählerschaft. 29 Prozent der Wähler hätten in
diesem Jahr ihre Entscheidung erst in der Woche vor der Wahl oder
am Wahltag getroffen. Die Meinungsforschungsinstitute müssten
aus dieser Erfahrung heraus künftig "Entscheidungsprozesse
besser abbilden".
Bei Allensbach machte man einen weiteren
Faktor für die Abweichungen der Prognosen vom Ergebnis
verantwortlich: Es sei ein Novum dieser Wahl, dass Befragte bewusst
Falschaussagen über ihre Wahlabsichten gemacht hätten.
Hintergrund dessen könnte sein, dass einige Wähler ihre
Stimme nicht Angela Merkel geben wollten, es ihnen aber nicht
opportun erschienen sei, dies offen zu sagen.
Wechselwähler schwächen die
Großen
Das Ergebnis der Bundestagswahl ist
überraschend - und für keines der beiden Lager, die
gegeneinander angetreten waren, befriedigend. Weder Rot-Grün
noch Schwarz-Gelb haben ihr Ziel einer eigenständigen Mehrheit
erreicht. Zum ersten Mal seit 1953 konnten SPD und CDU/CSU weniger
als 70 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen - dies beschleunigt
den seit 1980 erkennbaren Trend, nach dem sich immer weniger
Wähler für eine der großen Parteien erwärmen
können. Manfred Güllner, Chef des Berliner
Forsa-Instituts sprach in diesem Zusammenhang gegenüber einer
Nachrichtenagentur von einem "Bedeutungsverlust der
Großparteien". Nur bei der ersten Bundestagswahl 1949, als
sich das demokratische Parteiensystem in Deutschland nach dem
Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes noch nicht
etabliert habe, sei "die Vertrauensbasis der beiden großen
Parteien geringer" gewesen.
Die Wahlbevölkerung, so das Fazit des
infas-Instituts für angewandte Sozialwissenschaft am Tag nach
der Wahl, ist "in zwei Lager gespalten" - und die wesentlichen
Wählerwanderungen haben innerhalb dieser Lager - Union und FDP
einerseits, SPD, Grüne und Linkspartei andererseits -
stattgefunden. Dabei hat die SPD massiv an den linken Rand
verloren: Fast eine Million Stimmen mussten die Sozialdemokraten an
die Linkspartei abgeben. Die Lafontainsche Linke, so infas, sei zur
Bastion ehemaliger SPD-Wähler geworden, die "von
Veränderungen des Sozialstaats gar nichts wissen" wollten.
Neben diesen Wechselwählern haben der SPD auch die
Nichtwähler zugesetzt: 370.000 Stimmen hat die Partei an sie
verloren. Größere Probleme bei der Mobilisierung der
Wähler hatte jedoch die CDU. Sie verlor 640.000 Stimmen
ehemaliger Unionswähler, die es in diesem Jahr vorzogen, der
Wahlurne fernzubleiben. Noch gravierender allerdings wirkte sich
für die Union der Wechsel vieler ihrer ehemaligen Wähler
zur FDP aus. Ganze 1.110.000 Stimmen büßte sie damit
ein.
Damit gibt es zwei klare Wahlgewinner: FDP
und Linkspartei. Dass sich in diesem Jahr so viele Wähler den
Liberalen zugewandt haben, die 2002 noch CDU gewählt hatten,
lag maßgeblich an strategischen Erwägungen: Eine
große Gruppe taktischer Wähler unterstützte die FDP
gezielt, um eine große Koalition zu verhindern. Die
Linkspartei profitierte hingegen davon, dass es ihr gelungen ist,
sowohl Wechsel- als auch Nichtwähler - vor allem im Osten des
Landes - zu mobilisieren. Damit konnte die Koalition aus PDS und
WASG das Ergebnis der PDS von 2002 verdoppeln. Allein das Ergebnis
der Grünen hat sich im Vergleich zur vorigen Bundestagswahl
kaum verändert.
Der Norden wählt rot
Verloren haben die beiden Volksparteien vor
allem im Osten. Die SPD büßte hier im Vergleich zu 2002
9,4 Prozent ein - blieb aber aller trotz aller Befürchtungen
mit 30,5 Prozent stärkste Kraft, während die CDU mit 25,3
Prozent hinter der Linkspartei lag. Diese gewann in den neuen
Bundesländern 25,4 Prozent der Stimmen. In den alten
Ländern holte die Linkspartei 4,9 Prozent. In Hamburg, Bremen,
Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz kam sie auf
deutlich über fünf Prozent - für die Wahlforscher
ein Zeichen dafür, dass die Partei dauerhaft zur Konkurrenz
für die etablierten Parteien werden könnte und nicht
länger als ostdeutsche Regionalpartei angesehen werden
sollte.
In Nord- und Ostdeutschland blieb die SPD
stärkste Kraft. Sie liegt in 12 von 16 Bundesländern vorn
- obwohl sie zuvor 11 Landtagswahlen in Folge verloren hatte. In
Sachsen allerdings erlitten die Sozialdemokraten ein Desaster: Hier
verlor die SPD neun Prozent der Zweitstimmen. Dennoch wiederholt
sich ein Trend, der bereits 2002 zu beobachten war und auf der
politischen Landkarte deutlich sichtbar ist: Geht es um die Macht
in Berlin, wählt der Norden mehrheitlich rot. Zudem wurde
erneut klar, dass sich von den Erfolgen bei Landtagswahlen nicht
auf Bundestagswahlen schließen lässt. Bundesweit hatte
sich die Union in den Monaten vor der Wahl im Stimmungshoch
befunden, dennoch verlor sie nun auch dort, wo sie momentan die
Landesregierung stellt. Besonders deutlich wurde das in
Nordrhein-Westfalen. Obwohl die CDU hier erst im Mai dieses Jahres
die rot-grüne Landesregierung abelöst hatte, stürzte
sie am 18. September um mehr als zehn Prozentpunkte ab. In Bayern
brach die CSU ein und erlitt mit 49,3 Prozent eine historische
Niederlage. Auch im Saarland, Sachsen-Anhalt, Thüringen,
Baden-Württemberg und Hessen verlor die Union mehr als im
Bundesdurchschnitt.
Kein Vertrauen in die
SPD-Kompetenz
Woran hat es gelegen, dass insbesondere die
großen Volksparteien ihre Wähler nicht mehr
überzeugen konnten? Nach einer telefonischen Umfrage der
Forschungsgruppe Wahlen basiert die Niederlage der SPD vor allem
auf der hohen Unzufriedenheit mit der Bundesregierung und einem
zunehmenden Vertrauensverlust in die Kompetenzen der
Sozialdemokraten. Nur noch 21 Prozent der Befragten trauten der SPD
zu, das wichtigste Problem, die Arbeitslosigkeit, bekämpfen zu
können - während 41 Prozent in diesem Punkt an die Union
glaubten. In den Bereichen der Steuer-, Renten-, Gesundheits- und
Familienpoltik lag die SPD nahezu gleichauf mit der Union, aber
deutlich weniger Wähler vertrauten den
Sozialdemokraten
in Wirtschafts- und Zukunftsfragen.
Entsprechend schlechte Noten gaben die Wähler der Arbeit des
Kabinetts von Bundeskanzler Gerhard Schröder: Auf einer Skala
von -5 bis +5 lag Rot-Grün vor der Wahl bei -0,4. 2002 war es
noch ein Wert von 0,5.
Von diesen schlechten Werten konnte die Union
jedoch nicht profitieren. Nur eine knappe Mehrheit von 51 Prozent
der Befragten sprach sich kurz vor der Wahl für einen
Regierungswechsel aus. Geschadet hat der Union vor allem die
Debatte um eine große Koalition: Nur 36 Prozent der
Unionsanhänger votierten eine Woche vor der Wahl für eine
Koalition mit der SPD - deutliche 53 Prozent waren
dagegen.
Merkel und Kirchhof als Manko
Zwei Personen sind es nach Ansicht der
Meinungsforscher, die die Union Stimmen kosteten: Angela Merkel und
Paul Kirchhof. Forsa-Chef Manfred Güllner sagte bei einer
Wahlanalyse, die Anhänger der Union seien "wegen Vorbehalten
gegen Merkel nicht wählen gegangen". Dies schlug sich in den
Zahlen zur Kanzlerpräferenz nieder: Nur 78 Prozent der CDU-
und 62 Prozent der CSU-Anhänger sprachen sich für Merkel
als Kanzlerin aus. Für Edmund Stoiber hatten dagegen 2002 79
Prozent der CDU- und 90 Prozent der CSU-Wähler votiert.
Insbesondere in Bayern hätten die Vorbehalte gegen Merkel die
Union Stimmen gekostet: 800.000 Stimmen habe die CSU hier deshalb
nicht mobilisieren können, so Güllner.
Merkel sei nicht gegen die "personale
Dominanz" angekommen, bilanzierte Matthias Jung von der
Forschungsgruppe Wahlen. Schröder habe insbesondere in der
Endphase des Wahlkampfs mit den Themen soziale Gerechtigkeit und im
TV-Duell gepunktet. Insgesamt sei er als Kanzler deutlich
populärer gewesen als seine Herausforderin. Auch für den
Fall einer großen Koalition hatte sich die Mehrheit der
Wähler Schröder als Kanzler gewünscht, so die
Forsa-Analyse. Insgesamt hatte der Kanzler deutlich höhere
Werte in den Punkten Sympathie, Durchsetzungsfähigkeit und
Kompetenz bei der Regierungsführung. 71 Prozent hielten ihn
für einen Siegertyp, während nur neun Prozent Angela
Merkel so charakterisierten. Ihr attestierten jedoch deutlich mehr
Wähler, die bessere Regierungsmannschaft zu haben. 31 Prozent
der Befragten glaubten, die Union hätte mit einem anderen
Kandidaten ein besseres Ergebnis eingefahren, für 51 Prozent
hätte dies keinen Unterschied gemacht. Merkels Haupthandicap,
so Forsa-Chef Güllner, sei es gewesen, dass sie "im
wiedervereinigten Deutschland keine für die Wähler
zureichende Identität gewonnen" habe; sie sei weder als "Ossi"
noch als "Wessi" akzeptiert worden. Auch die Personalie Paul
Kirchhof hat sich für die CDU/CSU negativ ausgewirkt. Nach
einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen meinten 68 Prozent der
Befragten, Kirchhof habe der Union geschadet. Analysen von
infratest-dimap ergaben, die Steuerpolitik der Union mit Kirchhof
habe große Unsicherheit erzeugt. Viele Wähler
bezweifelten zudem, dass die für einen Wahlsieg
angekündigte Mehrwertsteuererhöhung die Lohnnebenkosten
wie behauptet wirksam senken würden.
Insgesamt hat die Union bei den älteren
Wählern deutlich erfolgreicher abgeschnitten als bei den
Jüngeren. Sie ist bei den über 60-Jährigen mit 43
Prozent stärkste Partei. In allen anderen Altersgruppen liegt
dagegen die SPD vorn. Vor allem bei den Jungwählern konnten
die Sozialdemokraten punkten: Nach einer Umfrage von
infratest-dimap hat die SPD fast 40 Prozent der
Erstwählerstimmen auf sich ziehen können. Dafür
musste sie überdurchschnittlich große Verluste bei den
Arbeitern (37 Prozent, minus sechs) und Arbeitslosen (34 Prozent,
minus sieben) hinnehmen. Die Linkspartei hingegen konnte hier
gewinnen: Sie wurde mit 25 Prozent der Stimmen bei den Arbeitslosen
zweitstärkste Kraft vor der Union, die 20 Prozent erhielt.
Während die Union überdurchschnittliche Verluste bei den
Männern hinnehmen musste, verlor die SPD erheblich bei den
Frauen.
Das Ergebnis befriedigt nicht
Insgesamt hat die Bundestagswahl, so das
Fazit der Forschungsgruppe Wahlen, äußerst schwierige
Mehrheitsverhältnisse hervorgebracht. Auch wenn noch nicht
klar sei, wer in Zukunft in Deutschland regieren werde, werde es
"eine Koalition sein, die keine der Parteien vorher gewollt hat".
Und auch die Wähler scheinen dieses Ergebnis nicht gewollt zu
haben: Nach einer Blitzumfrage der Forschungsgruppe sind 70 Prozent
der Deutschen unzufrieden mit dem Ausgang der Bundestagswahl 2005.
Am größten ist die Unzufriedenheit unter den
FDP-Anhängern: 88 Prozent sind hier enttäuscht, bei der
Union sind es 81 Prozent. Doch auch die Anhänger von
Linkspartei (69 Prozent), Grünen (68 Prozent) und SPD (61
Prozent) freuen sich nicht über den Wahlausgang. Zum
Vergleich: 1998 waren 60 Prozent der Deutschen zufrieden mit dem
Wahlausgang, 2002 noch 45 Prozent. Dennoch würden 87 Prozent
der Wähler an ihrer Entscheidung festhalten - nur sechs
Prozent der Befragten hätten in Kenntnis des Resultats anders
gewählt. Allerdings würden 14 Prozent derer, die FDP
gewählt haben, jetzt der CDU/CSU ihre Stimme geben.
Darüber, welche Parteien künftig
miteinander regieren sollen, gehen die Meinungen auseinander: 33
Prozent der Befragten würden eine große Koalition
befüworten, 26 Prozent ein Bündnis aus Union, FDP und
Grünen. 19 Prozent favorisieren eine Ampel aus SPD,
Grünen und FDP und neun Prozent sind für ein Bündnis
aus SPD, Grünen und Linkspartei. Im Fall einer großen
Koalition wären 50 Prozent der Befragten für Gerhard
Schröder als Regierungschef, 43 Prozent sähen lieber
Angela Merkel als Kanzlerin.
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