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Astrid Pawasser
Die Dresdner links der Elbe sind überhaupt
nicht wahlmüde
Beobachtungen im Wahlkreis 160 vor der
Nachwahl
Sie haben schon ihren Spitznamen. "Die 160er", das sind die
219.397 wahlberechtigten Dresdner auf der linken Elbseite, die
wegen des Todes der NPD-Direktkandidatin im Wahlkreis 160-Dresden I
erst am 2.Oktober ihre Stimme zur Bundestagwahl abgeben
dürfen. Zwar ist halb Dresden nun nicht zum Zünglein an
der Waage geworden, aber so unbedeutend, wie die Wahlforscher zuvor
geweissagt hatten, ist die Nachwahl auch wieder nicht. Immerhin
könnten sich ohne weiteres zwei Mandate verschieben und der
Union als stärkster Bundestagsfraktion einen etwas
komfortableren Vorsprung gegenüber der SPD verschaffen oder
ihn auf ein Mandat zusammenschrumpfen lassen.
Entsprechend bunt geht es zu in den eher bürgerlichen
Stadtteilen Blasewitz und Plauen, im kleinbürgerlichen Leuben,
im Plattenbauviertel Prohlis mit stellenweise 17 Prozent
Arbeitslosen und in der Altstadt. Die Wahlplakate der Parteien sind
hängen geblieben, die Kandidaten kämpfen weiter unter
bunten Sonnenschirmen um jede Stimme. Dreimal hintereinander hatte
die CDU hier das Direktmandat errungen. Zuletzt allerdings nur mit
5.000 Stimmen Vorsprung vor der SPD. Das sei damals der
Jahrhundertflut und des Kanzlers zupackenden Auftritten in
Gummistiefeln zuzuschreiben, trösteten sich Dresdens
Christdemokraten. Heute sehen sie es eher so, dass Gerhard
Schröders Verhalten bei der "Elefantenrunde" am Wahlabend des
18. September den gegenteiligen Effekt erzielen wird. Doch das
schafft den Protest gegen Hartz IV und die Sehnsucht nach sozialer
Gerechtigkeit nicht aus der Welt, von der die PDS mit ihrer
kämpferischen Kandidatin auch im Wahlkreis 160 profitieren
kann.
Im zweiten Dresdner Wahlkreis, dem rechtselbischen (161-Dresden
II), sind die Stimmenverschiebungen am 18. September weniger
dramatisch verlaufen, als im übrigen Osten der Republik. Die
CDU kam auf 29,7 Prozent der Zweitstimmen, ihr Direktkandidat auf
35,2 Prozent. Die Sozialdemokraten wurden mit 24,2 Prozent
zweitstärkste Kraft vor der Linkspartei.PDS mit 19,4 Prozent.
FDP und Grüne lagen mit je 7,5 Prozent gleichauf und die NPD
erreichte 4,3 Prozent. Ähnlich marginal dürften die
kleinen Parteien auch im benachbarten Wahlkreis rangieren. Die NPD
hat mit dem 82-jährigen Franz Schönhuber als
Nachfolgekandidat der verstorbenen Kerstin Lorenz die letzte
Reserve mobilisiert. Der Ex-Republikaner-Chef hat Dresden zwar als
Geburtsort im Pass stehen, ist hier aber völlig unbekannt. Den
ausgeprägten Dresdner Lokalpatriotismus wird er nicht bedienen
können.
Ärger über die Medien
"Wie ein Marathonläufer, der kurz vor dem Ziel
erfährt, dass er nun noch sieben Kilometer weiter laufen
muss", so habe sie sich gefühlt, sagt Marlies Volkmer, als sie
von dem neuen Wahldatum erfuhr. Die Hautärztin sitzt bereits
seit 2002 für die SPD im Bundestag und gehört auch jetzt
wieder zur Fraktion, weil sie über die Landesliste abgesichert
war. Doch nach dem überraschenden Abschneiden ihrer Partei bei
der Wahl am 18. September will sie als Direktkandidatin weiter um
jede Stimme kämpfen: "Dresden muss deutlich machen, was es
will - weder schwarz-gelb noch eine Kanzlerin Merkel."
Ärgerlich findet sie nicht den Koalitionspoker in Berlin,
sondern örtliche Zeitungsberichte, die sich Mühe geben,
die Wähler über die Folgen ihrer Wahlentscheidung
aufzuklären. "Die Leute werden ja völlig verrückt
gemacht mit statistischen Berechnungen."
Auch ihr Konkurrent von der CDU will sich nicht in
Aufklärungskampagnen über den Hare/Niemeyer-Dreisatz oder
das Wählerzuwachsparadoxon verzetteln. Der gelernte Konditor
und Diplomingenieur Andreas Lämmel schafft den Sprung in den
Bundestag nur, wenn er das Direktmandat gewinnt, denn er ist auf
der Landesliste seiner Partei nicht vertreten. Deshalb war er
zunächst ausgesprochen verärgert über die
Entscheidung des Bundeswahlleiters, in der Wahlnacht des 18.
September ein vorläufiges Ergebnis der Bundestagswahl zu
verkünden. "Das ist eine massive Wahlbeeinflussung in meinem
Wahlkreis."
Kampf um das Direktmandat
Doch mittlerweile sind Lämmels Befürchtungen, bei
einem Wahlsieg der CDU im Bund nicht mehr genügend Wähler
in Dresden an die Urnen treiben zu können, von der
Realität eingeholt worden. "Ein dritter Dresdner im Bundestag
wäre doch gut für unsere Stadt", meint der CDU-Politiker
jetzt und freut sich über jede Unterstützung aus Berlin
für seinen Wahlkampf. Friedrich Merz, Ole von Beust und Angela
Merkel wollen ihm helfen.
Bislang hatte Christa Reichardt dreimal in Folge für die
CDU das Direktmandat im Wahlkreis 160 erkämpft. Andreas
Lämmel muss sich dort als ihr Nachfolger erst bekannt machen.
Und für ihn ist eher PDS-Frau Katja Kipping eine Gefahr. Die
27-jährige Slawistin hat als stellvertretende
Bundesvorsitzende der Linkspartei zwar auch schon über die
Landesliste ihr Bundestagsmandat in der Tasche. Doch sie will mehr:
Den Beweis liefern, dass die Sozialisten in Dresden auch ein
Direktmandat erringen können. Das ist nach den bisherigen
Umfragen auch nicht ganz aussichtslos. Deshalb wollen zwei
Männer ihr kraftvoll unter die Arme greifen. Gregor Gysi und
Oskar Lafontaine geben sich am 28. September ein Stelldichein auf
dem Dresdner Schlossplatz. Die Kandidatin selbst posiert auf einem
neuen Wahlplakat mit einem Glas Rotwein in der Hand und fordert
"Luxus für alle".
Die Dresdener, auf die es nun ankommt, sind alles andere als
wahlmüde. Vor dem zentralen Wahlbüro bildeten sich gleich
am 19. September lange Schlangen für die Abgabe von
Briefwahlstimmen. 1.380 Wähler waren am Abend gezählt.
Ein Auftrieb, wie bei der regulären Bundestagswahl, heißt
es in der Dresdner Stadtverwaltung. "Ist doch gut, dass ich mit
meinen beiden Stimmen noch etwas bewegen kann", hört man von
denen, die das Wahlbüro verlassen, oder: "Ich wusste schon vor
dem 18. September, was ich wähle und habe meine Meinung nicht
geändert."
Etwas weiter vom Zentrum entfernt, am Schillerplatz in
Blasewitz, sind die Meinungen der Passanten geteilt. Eine
ärgert sich, dass ihre Briefwahlstimme nicht zählt und
sie jetzt neu wählen muss. Ein anderer fühlt sich um die
Spannung beim Wahlakt betrogen. Aber es gibt auch Wähler, die
sich über taktische Wahlmöglichkeiten informiert haben.
"Wenn man der CDU etwas Gutes tun will, soll man seine Zweitstimme
lieber der FDP geben", sagt ein junger Mann. Das hat er unter
"www.wahlrecht.de" nachgeschaut. "Und wenn man ein
Überhangmandat für die CDU verhindern will, dann gibt man
ihr besser die Zweitstimme." Die Sache mit dem negativen
Stimmgewicht scheint in Dresden nicht jeden zu überfordern.
Was der junge Mann am 2.Oktober wählen wird, hat er allerdings
- ganz professionell - für sich behalten.
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