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Paul Badde
Ein doppelter Schachzug
Neues altes Wahlrecht in Italien
Jetzt sind die Karten in Rom wieder neu gemischt. Seit diesem
Oktober ist der Ausgang der Parlamentswahl im nächsten
Frühjahr wieder mehr oder weniger offen. Am 11. Oktober begann
in der Abgeordnetenkammer die Debatte über die Pläne
einer Reform, mit der die Regierung Silvio Berlusconis das
Wahlverfahren ändern will. Vier Tage später, am 14.
Oktober, hatte das Vorhaben schon das Votum der Mehrheit. Seitdem
ist der Weg frei für eine letzte geschmeidige Passage des
Gesetzes durch den Senat, wo Silvio Berlusconis
Regierungsbündnis ebenfalls über die Mehrheit der Stimmen
verfügt. Danach wird Staatspräsident Ciampi das Gesetz
absegnen, vielleicht mit, vielleicht ohne eine letzte kleine
Verzögerung.
Es sei ein "Gesetz der Schande" wusste Oppositionsführer
Romano Prodi schon am Wochenende davor auf einer
Großkundgebung, zu der das oppositionelle
Mitte-Links-Bündnis 100.000 Demonstranten zu einem Protest auf
Roms Piazza del Popolo zusammen getrommelt hatte. Der Premier
"verrate die Institutionen" hieß es da, und er
"verfälsche die Wahlnormen auf eine Weise, dass diejenigen mit
weniger Stimmen mehr Sitze bekommen". Kurzum, die Rückkehr zu
dem alten Wahlrecht sei "ein trauriger Tag für Italien".
Der folgende Sonntag wurde dann zu einem Tag des Triumphs
für Romano Prodi, als er erstmals in der Geschichte Italiens
in Vorwahlen nach amerikanischem Vorbild als der unumstrittene
Spitzenkandidat der Opposition auf dem Regierungssitz ermittelt
wurde. Silvio Berlusconi gratulierte seinem Kontrahenten am
späten Sonntagabend Hände reibend als erster zu dessen
Triumph - weil dies "der einzige Sieg" sei, an dem er sich auf
lange Sicht erfreuen könne. Bei den entscheidenden
Parlamentswahlen im Frühjahr werde er im Rennen um das Amt des
Regierungschefs gegen ihn gewiss wieder verlieren. "Wir werden die
linke Opposition in der nächsten Wahl wegputzen", hatte Romano
Prodi sich schon am Donnerstag zuvor von Berlusconi anhören
müssen. Da könnte etwas dran sein. Denn rein formal
betrachtet, bedeutet die gelungene Wahlrechtsreform ja wirklich nur
die Rückkehr zum alten Verhältniswahlrecht, das bis 1993
in Italien gültig war.
Kompliziertes Mischsystem
Das Wahlrecht war damals durch ein kompliziertes Mischsystem aus
Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht ersetzt worden, weil die
alte Regelung bis dahin als eine der vielen Ursachen für die
politische Instabilität des Landes mit seinen notorisch
knappen Mehrheitsverhältnissen und häufigen
Regierungswechseln angesehen worden war. Dieser Analyse mochte das
mehrheitliche Regierungslager nun aus verschiedenen Gründen
nicht mehr folgen. De facto ist dem Regierungschef - ganz
offenkundig - mit dieser Reform als allererstes und kurzfristig ein
doppelter Schachzug gelungen: zuerst gegen seine Widersacher
innerhalb der Regierungskoalition und zweitens gegen die Opposition
des Regierungslagers.
"Jetzt sind wir wieder zur Monarchie zurückgekehrt",
seufzte der Vorsitzende der italienischen christdemokratischen UDC
Marco Follini, nachdem es Silvio Berlusconi gelungen war, das
Regierungslager mit diesem Vorstoß wie mit einer
Vertrauensfrage zu seltener Geschlossenheit zu einigen. Danach trat
Follini resigniert als UDC-Chef zurück - nachdem er davor von
dieser Position aus wiederholt gefordert hatte, die
Regierungskoalition müsse sich mit einem neuen
Spitzenkandidaten der nächsten Wahl stellen, wenn sie sich
nicht schon vorab geschlagen geben wolle. Diese Ansicht ist nun
jedoch in dem maßgeblich von Berlusconi errichteten "Haus der
Freiheiten" endgültig kein Thema mehr - und auch nicht, wer
außer dem derzeitigen Regierungschef aus dem
Regierungsbündnis denn für die Wahl auf den Schild
gehoben werden solle. "Vorwahlen brauchen wir nicht!", jubelte der
Premier deshalb auch gleich nach seinem letzten Winkelzug: "Das
beweist dieses Ergebnis."
Für das Mitte-Links-Bündnis um Romano Prodi ist dieses
Ergebnis vor allem deshalb ein Desaster, weil die von der ersten
Kammer beschlossene Rückkehr zum Verhältniswahlrecht auch
die Pläne des Chefstrategen der Opposition durchkreuzt, die
Liste als Unabhängiger anführen zu können. Er selbst
gehört keiner Partei an. Das lässt das neue Recht nun
aber nicht mehr zu. Deshalb muss sich Prodi als Führer vom
Bündnis der oppositionellen "Union" nun auch selbst einer
Partei anschließen oder rasch noch eine neue Partei
gründen - mit der er dann jedoch zunächst einmal gegen
die anderen Parteien der Union konkurrieren müsste. Damit hat
der Premier seinem Gegenspieler aus der Opposition eine Mühle
aufgemacht, aus der es so leicht kein Entrinnen gibt. Denn ob Prodi
nun einer alten Partei der Mitte-Links-Union beitritt oder selbst
eine neue Liste Prodi gründet: Streit innerhalb der notorisch
von vielen Zerwürfnissen bedrohten Opposition ist damit fast
programmiert.
Dabei schien das Programm bereits festgeschrieben für den
Ausgang der nächsten Wahl. Nur Wochen ist es her, da konnte
man dem Land noch lauschen, wie es einer grundlegenden
Veränderung entgegen seufzte, zumindest im Mund vieler
Kommentatoren. Die große Teuerung, unter der Italien seit
Jahren stöhnt, der unpopuläre Krieg im Irak, dessen
italienische Beteiligung Prodi bei seinem Wahlsieg sofort zu
beenden verspricht, alles schien zu rufen: Basta! Mit der
Rückkehr zum alten Verhältniswahlrecht ist es dem
begabten Zampano auf Roms Regierungssessel nun jedoch gelungen,
plötzlich wieder neu-alte Spielregeln aus dem Zylinder des
ehrwürdigen Parlaments zu zaubern, die illegal nur nennen mag,
wer parlamentarische Verfahren insgesamt verachtet. Plötzlich
ist der Kampf um Rom im nächsten Jahr damit wieder
unentschieden.
Denn die Opposition mag hier die Straße beherrschen. Roms
Parlament aber wird weiter erfolgreich nur von der Regierung
dominiert - zumindest bis zum nächsten April, in einer Zeit,
die Berlusconi auch weiter trick- und ideenreich zu nutzen
verstehen wird.
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