Balduin Winter
Der Rote Drache macht Washington zunehmend
nervös
China im Spiegel amerikanischer
Meinungen
Welche Politik soll gegenüber der neuen Supermacht China
eingeschlagen werden? Dass sich die Volksrepublik auf dem Weg zum
ernsthaften Herausforderer der USA befindet, ist für die
meisten Strategen der US-Think Tanks - der politischen Elite und
der Fachleute in der Bush-Administration - inzwischen klar. Schon
in den 90er-Jahren fand eine lebhafte Debatte über
"Engagement" versus "Containment" plus Verfeinerungen, wie Frank
Umbach bemerkt, einen deutlichen publizistischen Fall-out.
Zunehmend wird China, die kommunistische Diktatur plus
Kapitalismus, als unberechenbarer Faktor eingeschätzt. Dabei
findet das Land sowohl Bewunderer als auch scharfe Gegner.
"Amerikaner bewundern Schönheit, aber wirklich fasziniert
sind sie von Größe", so "Newsweek"-Chefredakteur Fareed
Zakaria im Mai dieses Jahres. Differenziert skizziert er die
wichtigsten Probleme: "Weil China … US-Staatsanleihen kauft,
können Amerikaner und ihre Regierung weiterhin auf Pump
konsumieren, und die Weltwirtschaft wächst weiter." Dann warnt
er: "Chinas Aufstieg ist die dritte große Verschiebung im
globalen Kräftespiel - der Aufstieg Asiens."
Taucht ein neuer Aufsteiger auf, kommt es zu Spannungen, denn
die bestehende Ordnung wird erschüttert; für die USA ist
das eine Herausforderung. Käme es zu einem Konflikt zwischen
den beiden Großmächten, würden "all die Probleme,
die uns heute beschäftigen - Terrorismus, Iran, Nordkorea -
vergleichsweise unspektakulär wirken".
Tendiert dieses Land mit seiner reichen Kultur zu etwas
historisch Neuem, wie es der Ex-Herausgeber des "Time Magazine",
Joshua C. Ramo, in "The Beijing Consensus" darlegt? Ramo hat mit
Hunderten chinesischer Denker diskutiert. Offen ist, wohin die
Reise geht. Seine Schilderungen vermitteln eine Ahnung, wie rasch
und widersprüchlich die Modernisierungsprozesse ablaufen. Land
und Führung haben, so Ramo, größtes Interesse an
einem sicheren Umfeld und einer ruhigen Atmosphäre. Er
schreibt: "Ein oft genannter Wunsch in Washington ist, dass Chinas
KP auf Grund der Veränderungen auf der Kippe des Absturzes
steht. Tatsächlich ist die KP die Quelle der meisten
Änderungen in China während der letzten 20 Jahre." Ramo
zählt zu den wenigen US-Experten, die trotz "marketization"
und Beitritt zur WTO nicht von einer "Verwestlichung" Chinas
sprechen; vielmehr zitiert er zahlreiche Fachleute Chinas und
Indiens, die Chinas Entwicklung als eigenen, mit kapitalistischen
Ländern nicht vergleichbaren Weg analysieren.
Im außenpolitischen Denken, so Ramo, tauchen neuerdings
Elemente westlicher Art auf, doch dominiere eindeutig chinesische
Tradition: "Das Ziel des Chinesen ist nicht Konflikt, sondern die
Vermeidung des Konflikts." Das sei eine grundlegend andere Haltung
als etwa die der USA mit ihrem kostspieligen militärischen
Apparat. China nehme eine prinzipiell multilaterale Haltung ein und
suche gute Beziehungen zu anderen Staaten.
Herz des Nationalen Sicherheitskonzepts, im April 2004 von Hu
Jintao vorgeschlagen, sind vier Punkte: Kein Hegemonismus, keine
Machtpolitik, keine Bündnisse und keine Wettrennen (mit den
USA). Ramo bezeichnet das Konzept als "chinesische Monroe-Doktrin".
China passe sich lediglich den erhöhten Anstrengungen der USA
an, die im Westpazifik, wie die chinesischen Führer
befürchten, dabei sind, ein militärisches Aufrüsten
zu beginnen.
Der amerikanische Geheimdienst CIA hat zusammen mit zahlreichen
Nichtregierungs-Organisationen (NGO) im Dezember 2004 sein "Mapping
the Global Future" zur globalen Entwicklung bis 2020 vorgelegt. Als
aufsteigende Mächte werden China und Indien charakterisiert,
deren Wirkung auf den Wandel der geopolitischen Landschaft
"möglicherweise so drastisch wie jener in den vergangenen zwei
Jahrhunderten" sein wird: China und Indien werden "den Prozess der
Globalisierung umwälzen". Bereits in wenigen Jahren werde
China Japan ökonomisch übertreffen. Auch Gefahren werden
skizziert, so der demografische Faktor, die Überalterung der
Gesellschaft (2020: rund 400 Millionen Chinesen über 65 Jahre)
und die daraus resultierende Explosion der Altersvorsorge,
epidemische Krankheiten, Korruption, hohe Arbeitslosigkeit und
soziale Unruhen.
Zwischen den Mächten werde es "bedeutende
Veränderungen" geben: China und die USA hätten zwar
"einen starken Ansporn, eine Konfrontation zu vermeiden, aber der
wachsende Nationalismus in China und die zunehmende Angst in den
USA vor China als auftauchendem strategischen Konkurrenten
könne ein im steigenden Maße entgegenwirkendes
Verhältnis erzeugen".
Eine Schreckensvision des Weltmachtrivalen der USA entwickeln
Richard Bernstein und Ross H. Munro in ihrem viel gelesenen Buch
"Coming Conflict with China", das sogar CIA-Experten zur Widerrede
veranlasst hat: "Prophetentum aus vollkommener Unklarheit." Dem
steht diametral gegenüber das Buch des Stanford-Professors
Gordon Chang, der in "The Coming Collapse of China" den Rivalen als
einen "Papiertiger" bezeichnet, dessen wirtschaftliche Blüte
alle Anzeichen des Zerfalls in sich trägt: Peking könne
nicht gleichzeitig "kapitalistisch und kommunistisch" sein, die KP
sei unfähig zu einem Wirtschaftserfolg, die staatlichen
Unternehmen versagten, die Korruption säge an der Substanz der
Gesellschaft.
Erstaunlich, dass in der Strategischen Bewertungsgruppe, dem
ideologischen Hirn des CIA, neuerdings philosophiert wird. Josh
Kerbel orakelt über "nichtlineare Systeme" mit nahezu nicht
berechenbaren komplexen Verhalten, demgegenüber viele
Beobachter dazu neigen, sich "auf die niedrig hängende Frucht
zu konzentrieren". Er zitiert eine liberale Historikerin: "China
war schon immer ein Problem, für das es keine amerikanische
Lösung gab."
Frank Umbach
Konflikt oder Kooperation in Asien-Pazifik? Chinas Einbindung
in regionale Sicherheitsstrukturen und die Auswirkungen auf
Europa.
R. Oldenbourg, München 2002; 396 S., 45,80 Euro
Fareed Zakaria
"Does the Future Belong to China?"
In: "Newsweek International", 09.05.2005
Joshua C. Ramo
The Beijing Consensus.
Foreign Policy Centre Books, London 2004; 79 S., 9,95
£
Mapping the Global Future.
Report of the National Intelligence Council's 2020
Project.
Washington 2004; 114 S.
http://www.cia.gov/nic/NIC_globaltrend2020_imp.html)
Richard Bernstein, Ross H. Munro
Coming Conflict with China.
Knopf Ltd., New York 2004; 272 S., 13 US-Dollar
Gordon Chang
The Coming Collapse of China.
Random House, New York 2001; 368 S., 14,95 US-Dollar
Josh Kerbel
Thinking Straight: Cognitive Bias in the US Debate about
China.
In: Studies in Intelligence. Journal of the American
Intelligence Professional. Vol. 48, No. 3, 2004
(http://www.cia.gov/csi/studies/vol48no3/article03.html)
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