Dirk Klose
Kulturpessimismus - Fritz Sterns große
Analyse
Kurz notiert
Zur Frankfurter Buchmesse sind nicht nur Neuheiten anzuzeigen.
Mitunter lohnt es auch, auf Wiederauflagen hinzuweisen, weil es
wichtige Arbeiten sind, die lange vergriffen waren, aber von der
Thematik wie von der Analyse her unverändert aktuell sind. Ein
solches Buch ist Fritz Sterns vor 45 Jahren veröffentlichter
Klassiker "Kulturpessimismus als politische Gefahr"; er hat
seinerzeit die sowohl von der NS-Vergangenheit als auch vom
Ost-West-Gegensatz geprägte Totalitarismusdebatte wesentlich
beeinflusst und wirkt heute angesichts der öffentlichen
Melancholie gerade in Deutschland geradezu hellseherisch.
Der 1926 in Breslau geborene Stern hatte Deutschland 1938
verlassen. In den USA wurde er zu einem der großen Historiker
der Gegenwart. Wie nur noch wenig andere Emigranten verkörpert
Stern eine Symbiose deutscher, jüdischer und amerikanischer
Kultur. Im Deutschen Bundestag in Bonn hat er zum Jahrestag des 17.
Juni 1953 gesprochen; vor wenigen Jahren hat er in Breslau zur
300-Jahrfeier der dortigen Universität zusammen mit dem
damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau die geistigen
Traditionen eines geeinten Europas beschworen.
In seinem Buch machte Stern mit Paul de Lagarde, Julius Langbehn
und und vor allem mit Moeller van den Bruck drei einflussreiche
Denker des 19. Jahrhunderts aus, deren radikaler Affekt gegen die
Moderne in der europäischen Intelligenz überaus
einflussreich war und radikale politische Strömungen erheblich
beeinflusst hat. Antidemokratisches Denken, Vorstellungen vom
starken ("heroischen") Staat und Rassenwahn prägten dieses
politische Denken, das den totalitären Bewegungen des 20.
Jahrhunderts in erheblichem Maße den Weg bereitet hat.
Neben der nahezu unveränderten Aktualität des Themas
besticht Sterns Buch auch durch den Bezug zur Gegenwart. Er zeigt
sich "erschrocken" darüber, dass eine "Abart des
Kulturpessimismus" heute in die USA "ausgewandert" ist mit aller
Konsequenz einer Gefährdung von Liberalismus und Toleranz.
Einmal mehr ist es die verhängnisvolle Sehnsucht nach einer
heilen Welt, deren fatale politische Folgen nur allzu offen auf dem
Tisch liegen.
Fritz Stern
Kulturpessimismus als politische Gefahr. Eine Analyse
nationaler Ideologie in Deutschland.
Mit einem Vorwort von Norbert Frei.
Klett-Cotta, Stuttgart 2005; 468 S., 24,50 Euro
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