|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Sven Leuning
Länder haben eigene Interessen
Bundesrat und Bundesregierung im Zeichen der
Großen Koalition
Bundeskanzler Schröder fehlte die Mehrheit.
Und nicht nur im Bundestag, wie er ungeachtet einer formal durchaus
existenten, wenn auch knappen Mehrheit von Koalitionsabgeordneten
erklärte. Es war ebenso die aus seiner Sicht "destruktive
Blockadehaltung" der Opposition im Bundesrat, die ihn am 1. Juli
dazu bewog, die Vertrauensfrage im Bundestag zu stellen. So war es
denn auch kein Zufall, dass die Idee der Neuwahlen just zu dem
Zeitpunkt verkündet wurde, als in Nordrhein-Westfalen die
letzte parteipolitisch regierungskonforme Landesregierung
abgelöst worden war.
Wie der Kanzler diese Blockade mit dem von
ihm angestrebten "neuen Votum der Wähler" für seine
rot-grüne Regierung beseitigen wollte, blieb indes
ungeklärt: Gerade eine Bestätigung von Rot-Grün
hätte die zumindest zahlenmäßige Ursache für
die von ihm behauptete Blockade ja nicht beendet. Die
unionsgeführten Länder hätten auch weiterhin eine
deutliche Mehrheit im Bundesrat besessen. Dies gilt auch, wenn man
die beiden großen Koalitionen unter
CDU-Ministerpräsidenten (Sachsen und Schleswig-Holstein) aus
dem "Block" der "Oppositionsländer" herausrechnet.
Oder hat der Kanzler insgeheim gar nicht mehr
mit einer Mehrheit "seiner" Koalition gerechnet und vielmehr - in
fast hellseherischer Vorausschau oder, angesichts der damaligen
Wahlprognosen, großem Optimismus - auf eine weitere
Beteiligung seiner Partei an der Regierung gesetzt, nur eben in
einer Großen Koalition? In jedem Fall stehen die Signale
mittlerweile auf Schwarz-Rot. Grund genug, sich einmal mit den
möglichen Entwicklungen im Verhältnis von Bundesrat und
Bundesregierung unter einer solchen Koalition zu
beschäftigen.
Das erste, was angesichts optimistischer
Kommentare über die Handlungsfreiheit jeder "Konstellation
unter Führung oder Beteiligung der Union" (FAZ, 25. September
2005) im Bundesrat etwas überraschen mag, sind die
Zahlenverhältnisse: Betrachtet man diese unter dem Aspekt
"gleichgerichteter Mehrheiten" (also der Übereinstimmung der
die Regierung stellenden parteipolitischen Mehrheit im Bundestag
mit derjenigen im Bundesrat), so stellt man fest, dass eine
Große Koalition nur über eine äußerst knappe
Mehrheit verfügen würde. Den parteipolitisch identisch
beziehungsweise teilidentisch zur Bundesregierung zusammengesetzten
sogenannten "R-Ländern" (Bremen, Brandenburg,
Schleswig-Holstein, Sachsen, Bayern, Hessen, Hamburg,
Thüringen und Saarland) mit zusammengerechnet 36
Bundesratsstimmen stünden zwar keine rein "oppositionellen"
Länder mehr gegenüber (diese müssten sich aus sowohl
ideologisch wie numerisch illusorischen Bündnissen aus FDP,
Linkspartei und Bündnisgrünen zusammensetzen). Gleichwohl
müsste sie eine Reihe von durchaus heterogenen
"M-Ländern" (Länderregierungen, in denen sowohl Parteien
der Bundestagsopposition wie der Regierungsmehrheit vertreten sind)
in ihre Kalkulationen mit einbeziehen, wollte sie sich auf eine
wirklich stabile Mehrheit stützen können. Zwar
könnte man nun mit (Noch-)Kanzler Schröder sagen:
"Mehrheit ist Mehrheit!" Und mit einer Stimme ließ sich schon
in Konrad Adenauers erster Amtszeit trefflich regieren. Knappe
Mehrheiten, so eine Erkenntnis der politikwissenschaftlichen
Forschung, schweißen in Parlamenten bekanntlich eher zusammen,
auch wenn dies, wie eben die Querelen des zweiten Kabinetts
Schröder zeigen, bei entsprechendem Konfliktpotenzial
keineswegs immer der Fall sein muss.
Umso mehr gilt dies aber für den
Bundesrat, der ja eben kein Parlament (nicht einmal eine zweite
Kammer) ist, auch wenn er an der Gesetzgebung des Bundes beteiligt
ist. Hier überlagern landespolitische Interessen häufig
die parteipolitische Konsensfindung, auch wenn dieser Aspekt
seitens der politischen Klasse wie ihrer Kommentatoren gern
übersehen wird. Es ist ja auch viel einfacher, dem Bürger
den Bundesrat als ein zweites, ebenso parteipolitisch dominiertes
Organ wie den Bundestag darzustellen: Man braucht nur die Stimmen
von "Opposition" und "Regierung" zusammenzurechnen und schon
weiß man, wie die Abstimmungen ausgehen, ob die jeweilige
Regierung mit "Blockade" rechnen muss oder "durchregieren"
kann.
Allein, die Dinge sind nicht so, wie
ebenfalls ausführliche Studien bewiesen haben. Zwar war eine
Mehrheit "ihrer" Länder für die jeweilige
Bundestags-opposition schon seit der sozial-liberalen Koalition
stets eine große Verlockung, der Bundesregierung Knüppel
zwischen die Beine zu werfen (oder, neutraler formuliert: Einfluss
auf die Bundespolitik zu nehmen). Gleichwohl, funktioniert hat dies
nicht immer, weder unter den Oppositionschefs Kohl und Strauß,
noch unter dem damaligen SPD-Chef Lafontaine. Selbst scheinbar
klare parteipolitische Blockaden wie die Verhinderung der letzten
großen Steuerreform Helmut Kohls 1997/98 erweisen sich bei
näherer Betrachtung, wie der Magdeburger
Politikwissenschaftler Wolfgang Renzsch gezeigt hat, als durchaus
von handfesten Länderinteressen beeinflusst. Überhaupt
lässt das zentrale politische Instrument der Steuerpolitik die
"Landesväter" ihre Eigenschaft als "Parteisöhne" nur
allzu gern vergessen, wie die designierte Kanzlerin Angela Merkel
bei ihrem Versuch, die rot-grüne Steuerreform 2000 mit Hilfe
des "unionsgeführten" Bundesrates zu torpedieren, schmerzlich
erkennen musste. Ebenso groß ist die Verlockung für
parteipolitisch "regierungsnahe" Länder, bei knappen
Mehrheitsverhältnissen eigenständige Landesinteressen zu
vertreten - Franz Josef Strauß und Ernst Albrecht gaben in den
80er-Jahren dafür Zeugnis ab, wie nahe einem das
landespolitische Hemd und wie fern dagegen die parteipolitische
Jacke sein konnte. Nicht selten hatte sich Helmut Kohl in dieser
Zeit, in der zum Teil nur ein Land das Zünglein an der Waage
spielte, zähneknirschend landespolitischen Interessen seiner
Parteifreunde in der Provinz beugen müssen. Genau dieser
Situation sähe aber eine zu bildende Große Koalition in
Berlin entgegen - einmal abgesehen von den im Vergleich zur
damaligen CDU/CSU-FDP-Koalition gewiss weitaus größeren
Konfliktpotenzialen zwischen den beiden Regierungsparteien, die
ebenfalls nicht abgeneigt sein könnten, das "Schwert des
Bundesrates" zugunsten eigener Positionen in
Koalitionsverhandlungen zu ziehen. Dies würde in diesem Fall
natürlich besonders für die Union mit den fünf von
ihr allein regierten Ländern (immerhin 21 Stimmen) gelten.
Aber selbst das einmütige Zusammenstehen der beiden
Großkoalitionäre vorausgesetzt, bliebe immer noch das
Problem der knappen Mehrheit.
Finanzielle Anreize
Bei den schon genannten "M"-Ländern hat
man es mit einem sehr heterogenen "Block" zu tun, der daher
eigentlich auch nicht als ein solcher betrachtet werden darf: Da
sind zum einen die vier schwarz-gelb regierten Länder
Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und
Niedersachsen (zusammen 22 Stimmen), dann die SPD/PDS-Koalition in
Berlin (mit allerdings "nur" sieben Stimmen) und schließlich
das seit langem sozial-liberale Rheinland-Pfalz mit seinen vier
Bundesratsstimmen. Mindestens eines dieser Länder müsste
eine Große Koalition im Einzelfall noch auf ihre Seiten
bringen. Nur welches? Auf den ersten Blick mögen sich die
CDU/FDP-Koalitionen anbieten, nicht nur aufgrund der Stimmenzahl,
die sie einbringen könnten, sondern auch aufgrund ihrer
Nähe zum Berliner Koalitionspartner CDU, was allerdings die
SPD im koalitionsinternen Machtpoker nicht gerade erfreuen
dürfte. Doch sollte man sich keinen Illusionen hingeben -
Guido Westerwelles FDP wird sich auch auf Landesebene nicht allein
aus Verbundenheit zum verhinderten Koalitionspartner im Bund zur
Zustimmung zu großkoalitionär ausgehandelten Kompromissen
bewegen lassen. Schließlich gilt es, Wahlen zu gewinnen,
sowohl - alsbald - in den Ländern als auch - irgend eines
(womöglich gar nicht so fernen?) Tages - im Bund. Und da
bietet sich ein Schmusekurs mit Schwarz-Rot nicht immer an, sofern
nicht handfeste landespolitische Gründe - in der Regel
finanzieller Art - dafür sprechen.
Gleiches gilt für Kurt Becks liberalen
Koalitionspartner in Mainz. Ihn zu gewinnen, dürfte nun
für den sozialdemokratischen Teil der Berliner Regierung kein
leichtes Unterfangen sein. Gänzlich unkalkulierbar und wohl
kaum für die SPD nutzbar sind schließlich die rot-rot
regierten Länder Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Waren sie
bislang noch recht verlässliche Verbündete der alten
rot-grünen Regierung, so dürfte die Linkspartei im Bund
unter der kollegialen Führung Oskar Lafontaines und Gregor
Gysis wenig Neigung zeigen, ihrer sozialdemokratischen Bruderpartei
hilfreich zur Seite zu springen. So zeigt sich ein erstes Ergebnis:
Das Kräftegleichgewicht innerhalb einer Großen Koalition
dürfte sich unter dem Einfluss der Mehrheitsverhältnisse
im Bundesrat in jedem Fall etwas deutlicher zugunsten der CDU
neigen als zur SPD.
Landtagswahlen stehen bevor
Aber es gibt auch andere, freilich
kurzfristig kleinere Gefahren, die dem harmonischen Miteinander von
Bundesregierung und Bundesrat drohen könnten: die
Landtagswahlen. Bekanntlich, und auch das ist ein Ergebnis der
Beobachtung von Wahlen unter Großen Koalitionen, werden in
solchen Konstellationen die Oppositionsparteien links und rechts
gewöhnlich gestärkt. Dies dürfte sich angesichts der
Bedeutung der Bundespolitik für Landtagswahlen auch auf diese
auswirken. Nun mag das für die relativ stabilen CDU-
beziehungsweise SPD/FDP-Regierungen in Baden-Württemberg und
Rheinland-Pfalz kein allzu großes Problem werden. Höchst
fraglich ist allerdings, ob sich die CDU/FDP-Regierung
Sachsen-Anhalts über den nächsten Wahltag im März
2006 wird hinausretten können, insbesondere, wenn man sich die
Erfolge der Sozialdemokraten und Linkspartei bei der Bundestagswahl
dort vor Augen führt. Was aber kommt dann? Eine weitere
rot-rote Koalition erscheint durchaus im Bereich des
Möglichen. Ebenso denkbar ist freilich, dass die
Koalitionsparteien in Berlin eine gewisse Vorbildfunktion für
die Länder ausüben, wie dies zu Zeiten der bisher
einzigen Großen Koalition im Bund von 1966 bis 1969 der Fall
war. So verfügte die damalige Große Koalition praktisch
von ihrem Beginn im Dezember 1966 an bis zu ihrem Ende im Dezember
1969 über eine, wenn auch knappe, Mehrheit von einer Stimme im
Bundesrat. Diese kam zustande, weil im Zuge der Großen
Koalition in Bonn auch in Baden-Württemberg eine Koalition aus
SPD und CDU gebildet wurde, die eine CDU/FDP-Regierung
ablöste. Damals war das "Kräfteverhältnis" auf der
R-Länder-Seite im Übrigen gerade umgekehrt: Diese setzten
sich aus zwei SPD-regierten Ländern (7 Stimmen), zwei
großen Koalitionen (10 Stimmen) und dem CSU-regierten Bayern
(5 Stimmen) zusammen. Auch die damaligen M-Länder konnten die
Waage nur unwesentlich zu Gunsten der CDU verändern: Drei
CDU/FDP-Koalitionen (11 Stimmen) standen drei sozial-liberal
regierte Länder (8 Stimmen, ausschließlich der damals
nicht zu zählenden Stimmen Berlins) gegenüber.
Insgesamt waren die Zeiten aber angesichts
einer nur aus der FDP bestehenden Opposition sicherlich leichter
für die damaligen Großkoalitionäre. Inwieweit die
Bundesregierung seinerzeit auf die Liberalen hatte Rücksicht
nehmen müssen, beziehungsweise in welchem Ausmaß
landespolitische Interessen Bonner Gesetzesvorhaben behinderten,
harrt noch einer genaueren Untersuchung. Feststellen lässt
sich nur, dass die Zahl der tatsächlich gescheiterten - also
"total blo-ckierten" - Gesetze mit zwei sehr niedrig liegt. Zum
Vergleich: In Zeiten divergierender Mehrheiten liegt diese Zahl
zwischen sieben und elf Gesetzen. Beides zeigt, dass die messbare
Blockadequote verschwindend gering ist, ohne dass dies freilich
etwas über das Ausmaß des Einflusses der
Oppositionsparteien oder gar die Qualität der verabschiedeten
Gesetze aussagt. Viele Vorhaben der Regierung werden bei
divergierenden Mehrheiten oder aus anderen Gründen zu
erwartendem Widerstand in der Regel bereits im Vorfeld so
"angepasst", dass ihr Erfolg im Bundesrat so wahrscheinlich wie
möglich ist.
Um auf die eingangs gestellte Frage nach den
Aussichten für ein Ende der von Bundeskanzler Schröder
festgestellten Blockade zurückzukommen: Eine "Totalblockade",
dass lässt sich zunächst einmal feststellen, hat es auch
in der letzten Legislaturperiode nur in wenigen Fällen
gegeben. In der Regel sind die meisten, auch die bedeutsameren
Gesetze nach mehr oder weniger langen Verhandlungen von CDU und SPD
einvernehmlich beschlossen worden (Arbeitsmarkt, Gesundheit,
Zuwanderung). Das wird sich unter einer in Berlin regierenden
Großen Koalition nicht wesentlich ändern. Die Zahl der
gescheiterten Gesetze wird, wie zwischen 1967 und 1969, gegen null
tendieren, ohne dass ein Scheitern aus landespolitischen oder
länderübergreifenden Interessen völlig
auszuschließen sein wird. Zu vermuten ist, dass der
"Theaterdonner", mit dem die bisherigen Einigungen zwischen
Bundesregierung und Bundesrat einher gingen, wohl deutlich leiser
wird, in Abhängigkeit von anstehenden Wahlen, versteht sich.
Im wahrsten Sinne des Wortes "unberechenbar" ist das Maß an
Einfluss, das einzelne Länder und die Berliner
Oppositionsparteien über ihre Landesregierungen auf die
Regierungspolitik werden nehmen können. Ein "Durchregieren"
wird aber unwahrscheinlich sein. Erhöhen ließe sich das
Durchsetzungspotenzial der Bundesregierung allenfalls mit dem
Abschluss der schon fast vollendeten Föderalismusreform.
Für diese stehen die Chancen nunmehr deutlich
besser.
Zurück zur Übersicht
|