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Erik Spemann
Rückfahrkarte für Stoiber
Bayern - Wer wird neuer
Regierungschef?
In Bayern steigt die politische Spannung seit
kurzem dramatisch: Denn mit dem angekündigten Wechsel von
Ministerpräsident Edmund Stoiber nach Berlin ist in
München ein Kampf um seine Nachfolge entbrannt. Nachdem
zunächst nur der landesweit populäre evangelische
Innenminister Günther Beckstein (61), aus Franken stammend,
als Bewerber feststand, hat inzwischen auch der aus Niederbayern
kommende katholische Staatskanzlei- und Reformminister Erwin Huber
(59) seinen Hut in den Ring geworfen. Es scheint zu einer
Kampfabstimmung zu kommen.
Die Opposition sieht dabei neue Chancen, den
beinharten Spar- und Reformkurs der Regierung Stoiber zu stoppen.
Dem teils drastischen Vorgehen geben viele auch in der CSU die
Schuld am schlechten Abschneiden der Partei bei der Bundestagswahl
(49,3 Prozent, fast zehn Prozentpunkte weniger als 2002). In einer
von der SPD im Landtag beantragten Aktuellen Stunde zur
Sozialpolitik verlangten die Sozialdemokraten, ebenso wie die
Grünen, eine Korrektur der Kürzungspolitik.
Wasser auf die Mühlen der Opposition
waren dabei Äußerungen des bisher knallharten
Reformministers Huber, der eine Lockerung des Sparkurses in
Aussicht stellte und schon für die nächsten Jahre eine
Milliardenspritze für die Bereiche Bildung und Kinderbetreuung
ankündigte. Finanziert werden solle dies nicht nur aus einem
durch Reformen und Stelleneinsparungen sanierten Haushalt, sondern
auch aus weiteren Privatisierungserlösen.
Der Schwenk hin zu mehr Ausgaben wurde dabei
weithin als ein Teil von Hubers Charme-Offensive beim Kampf um die
Stoiber-Nachfolge verstanden. Postwendend schickte Finanzminister
Kurt Faltlhauser, der für 2006 erstmals einen Staatshaushalt
ohne neue Schulden vorlegen will, Sperrfeuer. Huber kenne die
Haushaltslage ganz genau und wisse, dass Privatisierungserlöse
für einen grundlegenden Kurswechsel in der Haushaltspolitik in
keinem Fall ausreichten, erklärte er. Ohne zusätzliche
Neuverschuldung ginge das nicht. Da war kurz Feuer auf dem Dach,
Huber intervenierte. Und keine drei Stunden später gab es ein
neues, erheblich milder formuliertes Fax, das "völlige"
Einigkeit zwischen beiden Ministern darüber bekundete, dass
erst "auf Grundlage des ausgeglichenen Etats" frei werdende
Haushaltsmittel und Privatisierungserlöse
"selbstverständlich" auch für Zukunftsinvestitionen - vor
allem bei Bildung und Familie - eingesetzt würden.
Die Opposition will aber bereits jetzt
Einschnitte vor allem im sozialen Bereich korrigieren. In einer
Aktuellen Stunde führte der SPD-Sozialexperte Jochen
Wahnschaffe als Kronzeugen Landtagspräsident Alois Glück
und Vizepräsidentin Barbara Stamm an (beide CSU), die im
jüngsten Wahlkampf die "richtige Balance zwischen
ökonomischer Kompetenz und sozialer Sensibilität"
vermissten - zu Lasten des Sozialen.
Scharf kritisierte Wahnschaffe die
Kürzungen in den einzelnen Bereichen wie Psychiatrieplan,
Krankenhausfinanzierung, Familienprogramm und Landesaltenplan und
sprach sich gegen Privatisierungen von Einrichtungen der
Daseinsvorsorge aus. Ein neuer Ministerpräsident mit einem
erneuerten Kabinett, so der SPD-Politiker, sollte den Mut haben,
auch die Sozialpolitik auf den Prüfstand zu stellen und die
"unsinnige, zukunftsfeindliche Kürzungspolitik zu
korrigieren". Die Grüne Renate Ackermann schleuderte der
Staatsregierung entgegen, ihre radikale Sparpolitik sei von "Geiz"
geprägt, habe viele Menschen geschädigt und
Organisationen in den Ruin getrieben. Derzeit sei Bayern Spitze,
was soziale Kälte anbelange.
Dem widersprach entschieden Sozialministerin
Christa Stewens. Sie stellte klar, dass es weitere Einschnitte in
ihrem Etat nicht geben werde, der in diesem Jahr gegenüber
2004 noch um 0,6 Prozent höher ausfalle - "nur, vom Sparkurs
kommen wir nicht runter". Angesichts riesiger Haushaltslöcher
bei Bund, Ländern und Kommunen zu sagen, es könne wieder
mehr Geld ausgegeben werden, wäre unreell. Die Ministerin
verwies auf das im Freistaat neu initiierte "Forum Soziales
Bayern", in dem Vertreter von Parteien, Gewerkschaften, Wirtschaft
und Wohlfahrtsverbänden "einen neuen, spannenden Weg" gingen,
um notwendige Strukturveränderungen herbeizuführen.
Stewens sprach von einem "neuen Demokratisierungs-Prozess". Daneben
berichtete sie von ihren Begegnungen mit Sozialministern aus A- wie
B-Ländern: "Die träumen alle vom Sozialstaat Bayern." Und
sie zog das Fazit, dass das "soziale Antlitz Bayerns" bewahrt
geblieben sei.
2008 stehen Wahlen an
Seine soziale und menschenfreundliche Seite
versucht unterdessen auch Erwin Huber zu präsentieren. Er
hatte im Machtkampf um die Stoiber-Nachfolge zunächst die
eindeutig schlechteren Karten gegenüber Günther
Beckstein: Als "Reform-Rambo" tituliert, der ohne viel Beteiligung
der Betroffenen in Rekordtempo zum Ziel kommen wollte, von dem sich
die CSU-Fraktion (die ja letztlich über die Nachfolge
entscheidet) immer wieder übergangen fühlte und der an
einer unzufriedenen Basis als unsensibler und rabiater Vollstrecker
von Stoibers Politik angesehen wurde - für diesen
Anwärter hätte zunächst nur eine Minderheit die Hand
gehoben. Dies umso mehr, als 2008 Kommunal- und Landtagswahlen
anstehen und immer wieder Befürchtungen in der CSU laut
werden, der Wähler könne ihr diesen Kurs heimzahlen.
Unvergessen ist des Reformers salopper Ausspruch geblieben: "Wer
einen Teich trockenlegen will, darf die Frösche nicht
fragen."
Huber bereut das jetzt öffentlich und
sagt, dies sei nicht der "wahre Huber", bei dem stünden die
Frösche unter Naturschutz. Er räumt ein, dass er manches
Mal mit dem Kopf "durch die Wand wollte" und die Wand mitunter
stärker gewesen sei. Fast schon zerknirscht verspricht er bei
Redaktionsbesuchen, künftig zuzuhören und bei
Entscheidungen die Fraktion noch besser einzubinden. Als positiv
wird bei ihm vermerkt, dass er als durchsetzungsstarker und
vielseitig erprobter Politik-Manager vom nötigen Reformkurs
nicht abweichen werde.
Das hat auch Beckstein nicht vor. Der
bundesweit als kompetenter Gegenpart von Bundesinnenminister Otto
Schily bekannt gewordene Franke war praktisch der einzige im
Kabinett, der sich eine Reform der Polizei nicht von Hubers
Staatskanzlei diktieren ließ, sondern schließlich die
eigenen Vorstellungen durchsetzte. Weil er diese auch noch mit den
Betroffenen in einem aufwendigen Prozess beraten und abgestimmt
hatte, verschaffte er sich höchsten Respekt. Gleichzeitig
werden ihm eher landesväterliche Eigenschaften zugetraut, mit
denen er verlorene Sympathien und Vertrauen an der Basis
zurückgewinnen könnte.
Hinter den Kulissen laufen die Drähte
heiß. Beide Kandidaten ordnen ihre Heerscharen und versuchen,
die noch Unentschlossenen hinter sich zu bringen. Stoiber hat nach
außen hin noch nicht Partei ergriffen, doch gestreut wird,
dass er seinen engsten Vertrauten Huber favorisiere. Andererseits
ist er aber auch seinem alten und treuen Weggenossen Beckstein sehr
verbunden, den er als Innenminister nach Berlin mitnehmen wollte
(dann aber wegen CDU-Ansprüchen nicht durchsetzen konnte). Die
Partie schien durch Hubers Charme-Offensive zuletzt ziemlich
ausgeglichen, wobei leichter Vorteil für Beckstein
signalisiert wurde. Der Münchner Merkur sah ihn Mitte
vergangener Woche nach kühner Recherchier- und Rechenarbeit
mit 60 zu 52 der 124 CSU-Abgeordnetenstimmen (bei zwölf
Unentschlossenen) vorn.
Eine wochenlange, zermürbende
Hängepartie steht bevor, denn Parteichef Stoiber will an
seinem in der Fraktion häufig kritisierten Zeitplan
festhalten: Die Nachfolgeentscheidung soll erst fallen, wenn die
Große Koalition und damit der Wechsel Stoibers nach Berlin
endgültig beschlossene Sache ist. Also voraussichtlich Mitte
November. Ein Krisengipfel mit dem CSU-Vorsitzenden,
Landtagsfraktionschef Joachim Herrmann sowie den Bewerbern
Beckstein und Huber bestätigte diese Vorgehensweise. Die
Fraktion billigte den Zeitplan in einer Sondersitzung bei nur vier
Enthaltungen, doch zum Teil mit sehr gemischten Gefühlen:
Nicht wenige murren über die Kräfte verschleißende
Taktiererei Stoibers.
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