Nicole Alexander
Das große Versprechen der
Festanstellung
Sie sind entnervt, frustriert, verzweifelt:
Immer mehr Hochschulabsolventen hangeln sich von einem Praktikum
zum nächsten
Wie ein Vollprofi schuftete Florian Lamp
für eine große Werbeagentur in Berlin, ein halbes Jahr
lang, für 400 Euro im Monat. Es war sein drittes Praktikum
seit seinem Germanistik-Examen im Februar 2004. Doch diesmal -
endlich! - winkte im Anschluss eine Anstellung als Junior Texter,
2.000 Euro monatlich würde er dann verdienen. "Der Chef der
Kreativabteilung wollte mich unbedingt übernehmen",
erzählt Lamp. "Und der Finanzchef hat zugestimmt und
mündlich fest zugesagt." Doch am letzten Praktikumstag des
28-Jährigen wurde die Zusage plötzlich
zurückgezogen. Offizielle Begründung: absoluter
Einstellungsstopp.
Schock, Enttäuschung, Wut. Oft kann
Florian Lamp stundenlang nicht einschlafen, weil er sich
ärgert, weil er sich ausgenutzt fühlt, weil er nicht
weiß, wie es weitergehen soll. "Man hat doch seine Eltern als
Vorbilder", sagt er ein wenig hilflos. "Die haben studiert und sind
was geworden. Heutzutage studiert man, macht dann jahrelang
Praktika und lässt sich ausbeuten."
Lamps Fall ist sicherlich ein besonders
krasses Beispiel dafür, wie schamlos in manchen deutschen
Unternehmen mit Hochschulabsolventen umgegangen wird. Vermutlich
nicht ganz untypisch für die Werbebranche. Doch die Erfahrung,
im Berufsleben nicht erwünscht zu sein - es sei denn als
billige und temporäre Arbeitskraft -, müssen immer mehr
junge Akademiker machen.
Andrea Schmidt (Name geändert) zum
Beispiel. In einem dicken Ordner hat sie alle Absagen abgeheftet,
die sie auf ihre zahlreichen Bewerbungen bekommen hat. "Damit ich
wenigstens weiß, was ich die ganze Zeit getan habe",
erzählt die Politologin, die vor einem Jahr Examen gemacht
hat, in einem Anflug von Galgenhumor. Neben ihrem Studium hat sie
ein Volontariat bei einer Tageszeitung und verschiedene Praktika im
Pressebereich absolviert.
Zu zwei Vorstellungsgesprächen wurde die
27-Jährige eingeladen. Doch den Job bekam beide Male jemand
anderes. Zwei Zeitungspraktika - das war alles, was die
ausgebildete Journalistin und studierte Politologin seit ihrem
Examen ergattern konnte.
Fast jeder kennt Leute wie Andrea Schmidt
oder Florian Lamp: Universitätsabsolventen, die zügig
studiert und nebenher jede Menge praktische Erfahrungen gesammelt
haben - und die sich nach ihrem Examen von Praktikum zu Praktikum
hangeln, oftmals ohne Entgelt, ohne soziale Absicherung.
Dass die Zahl der prekären
Übergänge von der Universität ins Berufsleben
zunimmt, darin sind sich auch die Experten einig. Einer Erhebung
der Bundesagentur für Arbeit zufolge entschieden sich im Juni
1999 etwa 3.600 der dort betreuten Hochschulabsolventen für
ein (sozialversicherungspflichtiges) Praktikum. Im September 2004
waren es 8.600 - eine Steigerung um 141 Prozent.
Von einer "Generation Praktikum", die die
"Zeit" vor einigen Monaten ausrief, will Karl-Heinz Minks, Leiter
der Projektgruppe Absolventenuntersuchungen des
Hochschul-Informations-Systems Hannover, dennoch nicht sprechen:
"Das Thema wurde in den Medien überzeichnet dargestellt", sagt
er. "Dass Hochschulabsolventen insgesamt kaum Chancen haben, in den
Beruf zu finden, kann ich nicht erkennen." Von dem Problem seien
vor allem vier Gruppen von Universitätsabgängern
betroffen: Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaftler sowie
Architekten. Doch auch bei diesen seien regelrechte
"Praktikumskarrieren" nach dem Studium eher selten.
Allerdings: Eine repräsentative Studie
zu der Frage, wie viele Absolventen welcher Fakultäten nach
dem Examen erst einmal ein Praktikum machen, gibt es nicht. Daher
weiß auch niemand so genau, wie lange diese dauern und wohin
sie führen. Das Hochschul-Informations-System widmet deshalb
in seiner diesjährigen Befragung von Hochschulabsolventen
diesen Fragen erstmals besondere Aufmerksamkeit. Erste Ergebnisse
werden im Frühjahr 2007 vorliegen. Auch der Deutsche
Gewerkschaftsbund erstellt derzeit in Zusammenarbeit mit der
Hans-Böckler-Stiftung eine Studie zu dem Thema. Die Resultate
werden voraussichtlich im Frühjahr 2006
veröffentlicht.
Was auch immer die Ergebnisse dieser Studien
im Detail aussagen werden - von der Dringlichkeit, auf die
Ausbeutung vieler Akademiker-Praktikanten öffentlich
aufmerksam zu machen, ist Bettina Richter schon lange
überzeugt. Nach ihrem Examen verschickte die
Wirtschaftswissenschaftlerin 120 Bewerbungen und machte drei
Praktika, zwei davon unvergütet. Ein Jahr später hielt
die 26-Jährige endlich die ersehnte Zusage für eine
Anstellung als Marketingassistentin bei einem großen
Sozialverband in den Händen. Die Freude währte nicht
lange. Denn ihr neuer Arbeitgeber verlangte, dass sie zunächst
vier Wochen lang ein unbezahltes Praktikum absolvieren
müsse.
Wenige Tage später gründete die
resolute Berlinerin mit einigen Mitstreitern "fairwork", die
deutschlandweit erste Interessenvertretung von Hochschulabsolventen
in prekärer Jobsituation. Sie ist nicht nur Anlaufstelle
für Praktikanten-Akademiker, die sich von "ihren" Unternehmen
ausgenutzt fühlen oder einfach frustriert sind über die
Praktikumsschleife, die sie seit ihrem Examen drehen. Den
"fairwork"-Initiatoren gelang es auch, die Aufmerksamkeit der
Medien für das Thema "Praktikum statt Job" zu wecken. Sogar
das "heute-journal" widmete "fairwork" und seinem Anliegen einen
Beitrag.
"Viele Unternehmen suchen gezielt
Hochschulabsolventen als Praktikanten und zahlen ihnen oft weniger
als der Putzfrau. Gleichzeitig sparen sie dadurch reguläre
Arbeitsplätze ein", sagt Richter. Sie findet es empörend,
dass viele Akademiker dadurch lange nach ihrem Hochschulabschluss
immer noch auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind: "Im
Grunde finanzieren die Eltern oder die Gesellschaft ihren
Arbeitsplatz." "Fairwork" fordert deshalb eine gesetzliche
Regelung. Die Unternehmen sollten verpflichtet werden, ihren
Praktikanten eine Vergütung von mindestens 750 Euro Netto im
Monat zu zahlen.
Selbstverspflichtung der
Unternehmen
Minks hält von dieser Forderung wenig:
"Das trägt nur dazu bei, Dumping-Löhne zu etablieren, die
wenig Sinn haben." Statt einer gesetzlichen Regelung plädiert
er für eine Selbstverpflichtung der Unternehmen, Praktikanten
zu fairen Bedingungen einzustellen, und verweist auf das Projekt
"Fair Company" der Zeitschrift "Junge Karriere".
Das Magazin verleiht seit Oktober 2004 ein
Praktikums-Gütesiegel an Unternehmen, die folgende vier
Kriterien erfüllen: Sie entlohnen ihre Praktikanten fair und
werben sie nicht mit der vagen Aussicht auf einen Job an. Sie
ersetzen mit ihnen keine Vollzeitstellen und beschäftigen
Hochschulabsolventen nicht als Praktikanten. Der Initiative haben
sich inzwischen über 200 Firmen angeschlossen, im Juli
erschien erstmals der Ratgeber "Fair Company Guide", in dem alle
diese Unternehmen vorgestellt werden.
Auch die Jugendorganisation des Deutschen
Gewerkschaftsbundes (DGB) nimmt sich seit einiger Zeit
verstärkt des Themas "Ausbeutung von Praktikanten" an. Auf
ihrer Website können junge Leute ihre Praktika bewerten.
Interessierte finden dort auch den "Leitfaden für ein faires
Praktikum". Außerdem berät der DGB Praktikanten in
rechtlichen Fragen. "Viele Praktikanten wissen gar nicht, dass sie
auch Rechte haben", sagt Silvia Helbig, Jugendreferentin beim DGB.
Allerdings: "Die Betroffenen gehen nicht gern an die
Öffentlichkeit, weil sie Angst um ihre berufliche Zukunft
haben." Bettina Richter hingegen machte von den rechtlichen
Möglichkeiten Gebrauch und reichte Klage gegen ihren ersten
Arbeitgeber ein. "Ich wollte dem einfach zeigen, dass es
Arbeitsgesetze gibt, an die auch er sich halten muss", sagt die
junge Frau. "Ich habe im ersten Monat meiner Tätigkeit dort
völlig selbständig gearbeitet und genau die gleichen
Aufgaben erledigt wie in den folgenden Monaten. Das war definitiv
kein Praktikum." In der Güteverhandlung stimmte das
Unternehmen zu, ihr die Hälfte ihres damaligen
Monatseinkommens von 2.000 Euro zu zahlen.
Die Politik hat das Problem
erkannt
Manchmal träumt Richter davon, dass
möglichst viele andere Dauerpraktikanten ihrem Beispiel
folgen. Dadurch, so hofft sie, ließe sich ein Umdenken
erreichen. Doch immerhin: Die Politik scheint auch ohne Klagewelle
auf die Problematik aufmerksam zu werden. Bundestagsabgeordnete
verschiedener Fraktionen haben bereits vereinbart, sich mit den
"fairwork"-Machern zu treffen. Und am 10. November um 18 Uhr findet
im DGB-Bundesvorstand in Berlin eine Podiumsdiskussion mit der
stellvertretenden Bundestagsvizepräsidentin Katrin
Göring-Eckhardt (Bündnis 90/ Die Grünen) und Klaus
Brandner, dem Wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Sprecher der
SPD-Fraktion, zu dem Thema statt.
Andrea Schmidt wird die Politiker nicht
fragen können, wie sie das Problem "Praktikum statt
Anstellung" lösen wollen. Sie hat sich eine Auszeit genommen
vom frustrierenden Dauerkampf um einen Job und ist für
zweieinhalb Monate nach Rom gegangen. "Das Bewerben hatte einfach
keinen Zweck", erzählt sie. Zurück nach Deutschland zieht
es sie nicht sonderlich.
Florian Lamp hat sich inzwischen bei einer
anderen Werbeagentur beworben. Vor ein paar Tagen rief ihn eine
Dame aus der Personalabteilung an: Leider könnten sie ihn
nicht als Junior Texter einstellen. Er könne aber gerne ein
Praktikum bei ihnen machen, ein halbes Jahr lang, für 400 Euro
im Monat.
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