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Imke Rosebrock
Leben im Kiez statt im Grünen
Renaissance der Städte
Trendy gestylte Mütter schauen ihren Kindern beim Spielen
zu, junge, gutaussehende Menschen dösen auf den Bänken in
der letzten Herbstsonne, und in den umliegenden Bars werden die
letzten Vorbereitungen für das florierende Abendgeschäft
getroffen. Ob das illustre, kreative, internationale Publikum, das
hier im Berliner Szenebezirk Prenzlauer Berg unterwegs ist, noch
weiß, wie es an diesem Ort vor zehn Jahren ausgesehen hat?
Damals war der Helmholtzplatz ziemlich schmuddelig, im
wuchernden Gebüsch machten Haschisch-Dealer ihre
Geschäfte, die Fassaden waren abgeblättert. Die Familien
zog es raus aus dem innerstädtischen Kiez, aus Wohnungen mit
Außenklo, Kohleofen und Aussicht auf die nächste
Brandmauer.
Seit Beginn der 90er-Jahre verlor Berlin viele Einwohner ans
Umland. Zwischen 1996 und 2000 wanderten mehr Menschen aus der
neuen Hauptstadt ab, als es Zuzüge zu verzeichnen gab. Die
Suburbanisierung, im Westen Deutschlands schon seit den 60er-Jahren
der Trend in der Raumentwicklung, erfasste nun auch Berlin und die
neuen Bundesländer.
Das Szenario der fortschreitenden Suburbanisierung war
düster. Je mehr Menschen sich den Traum vom Eigenheim mit
Garten im Umland erfüllten, umso mehr hatten die Städte
zu leiden. Die Gutverdienenden wanderten ab, die Arbeitsplätze
zogen hinterher. Das Sterben der Städte wurde prophezeit, und
die Kämmerer mussten mit den sinkenden Steuereinnahmen die
Übriggebliebenen finanzieren: die drei so genannten "As" -
Arbeitslose, Arme, Ausländer.
Doch es kam anders. Die Kernstädte lösten sich weder
auf, noch sind sie verschwunden. Seit spätestens 1998 deute
sich sogar eine Erholung der Städte an, heißt es im
jüngst veröffentlichten Raumordnungsbericht des
Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung - dem ersten seit
fünf Jahren. Der Prozess der Suburbanisierung verlangsamt sich
demnach, und in vielen westdeutschen Kernstädten beobachten
die Experten seit Ende der 90er-Jahre einen kontinuierlichen
Bevölkerungszuwachs. In den neuen Bundesländern, die
insgesamt weiterhin an Bevölkerung verlieren, zeichnet sich
sogar eine Trendwende ab. Der Raumordnungsbericht bestätigt,
dass die vor wenigen Jahren noch wachsenden ostdeutschen
Vorstädte zunehmend an Bewohnern einbüßen,
während manche Kernstädte ihre Einwohnerzahlen
stabilisieren konnten.
Deutschland schrumpft
Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig
und unterscheiden sich bisweilen von Region zu Region. Eines gilt
jedoch für das gesamte Land: Die Einwohnerzahl Deutschlands
sinkt, von heute gut 82 Millionen Menschen auf bis zu 75 Millionen
im Jahr 2050, so die Prognosen der Wissenschaftler. Gleichzeitig
schrumpft die Gruppe der klassischen Bauherren, also junger
Familien mit Kindern. Wirtschaftlich unsichere Zeiten schrecken
zudem viele Menschen ab, den Wegzug aus den Städten zu wagen.
Die Immobilienpreise in den gefragten Speckgürteln sind
gestiegen, zugleich scheint keine Partei mehr eine Zukunft für
die Eigenheimzulage zu sehen. Experten glauben auch, dass viele
Menschen ein stärkeres Bewusstsein für die hohen
Mobilitätskosten entwickeln, die das Leben im Umland mit sich
bringt. So steht zum Beispiel die Pendlerpauschale auf der Kippe,
und die Benzinpreise sind gestiegen.
Gibt es eine Renaissance der Städte also nur, weil keiner
mehr den Sprung nach "draußen" schafft? Wohl nicht. Eine
jüngst veröffentliche Studie des Deutschen Instituts
für Urbanistik (DifU) bescheinigt: Die Innenstädte
gewinnen wieder an Attraktivität. Und das scheinbar nicht nur
in den Augen gutverdienender Singles, sondern bei einer sehr viel
breiteren Personenschicht. "Mittelschichten, Akademiker, aber auch
Familien mit Kindern sind wieder zunehmend am Leben in den
Innenstädten interessiert", sagt der Sozialwirt und Leiter der
DifU-Studie Hasso Brühl, "denn die Lebensqualität in den
Städten hat zugenommen." Das DifU befragte im Rahmen seiner
Studie Bewohner innerstädtischer Wohnviertel in München
(Glockenbach- und Gärtnerbachviertel) und Leipzig (Stadtteil
Schleußig). Das Ergebnis: Hätten sie die freie Wahl,
würden nur weit unter zehn Prozent ins Umland ziehen. Beim
Blick auf den strukturellen Wandel der deutschen Gesellschaft
verwundert dieses Ergebnis nicht. Denn die zunehmende Zahl an
Singles, Alleinerziehenden und Älteren profitiert von den
städtischen Strukturen. Ebenso geht es Familien, in denen
beide Partner ihrer Karriere nachgehen und deren Kinder
möglichst ganztags versorgt sein sollen.
Auch das schlechte Image, wonach Städte vor allem laut sind
und stinken, hat sich gewandelt. Denn mit dem viel beklagten
Abwandern der Industrie nahm die Umweltbelastung ab. Heute bietet
es sich an, Industriebrachen, stillgelegte Bahngelände und
verwaiste Plattensiedlungen umzuwandeln - in Grünflächen
oder auch neue Viertel, in denen die in früheren Jahrzehnten
vollzogene Trennung von Arbeit und Wohnen überwunden wird.
Wohnen, Arbeiten, Kinder und Freizeitgestaltung lassen sich
miteinander verbinden.
Doch allen städtischen Vorzügen zum Trotz - mit einem
Anstieg der Bevölkerungszahlen können in den
nächsten Jahren nur noch wenige Regionen in Deutschland
rechnen. Dazu gehören zum Beispiel der Ballungsraum
München oder das Rhein-Main-Gebiet. In weiten Teilen
Ostdeutschlands aber lässt sich der Bevölkerungsverlust
wohl nicht mehr aufhalten. Hier sind es, wenn die Experten Recht
behalten, allein die Städte, allen voran Leipzig, die sich
gegen den Schrumpfungstrend noch werden behaupten können.
Schrumpfen als Chance? Nur, wenn man sie nutzt. "Die Renaissance
des Wohnens in der Innenstadt ist kein Selbstläufer", sagt
Hasso Brühl. "Gerade die Baukultur muss mehr Rücksicht
auf die neuen Bedürfnisse der Stadtbewohner nehmen." Zentral
wohnen und trotzdem auf der eigenen Terrasse sitzen können -
das ist das Zukunftsszenario.
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